Seit dreieinhalb Monaten ist Horst Nussbaumer (54) Präsident des Österreichischen Olympischen Komitees (ÖOC).
Der ehemalige Spitzen-Ruderer will international übliche Trainingsbedingungen auch in Österreich verfügbar machen, ein Zusammenrücken und verstärkten Know-how-Austausch der Fachverbände sowie den jungen Sportlerinnen und Sportlern glaubwürdig Wege zum Erfolg vermitteln.
Mit den Europäischen Olympischen Jugendspielen ab 20. Juli in Skopje wartet das erste Großereignis.
Im Interview spricht der ÖOC-Chef über den Status quo in Österreichs Sport, Wachstums-Notwendigkeiten und mehr:
Frage: Allgemein heißt es immer, es ist schlecht um Österreichs Sport-Infrastruktur bestellt. Hatten Sie schon Zeit, Olympia-Stützpunkte und Sportstätten zu besichtigen und welches Bild bot sich Ihnen?
Horst Nussbaumer: Die Olympia-Zentren sind sehr gut ausgestattet. Es entsteht auch eine neue Bewegung mit der LSA, also der Leistungssport Austria im Osten von Österreich. Die ist bundesunterstützt, das andere ist weitgehend landesunterstützt. Es entsteht sehr viel in Österreich. Es sind drei Dinge, wo der Spitzensport noch mehr braucht: Infrastruktur, Material und Trainingswissenschaft. Keines von diesen dreien funktioniert ohne die zwei anderen. Und all das müssen wir herstellen. Ich habe schon ein paar Olympia-Zentren besucht, wir haben tolle Infrastruktur, tolles Material, tolle Leistungsdiagnostik. Aber natürlich, um international mithalten zu können, müssen wir noch besser werden und noch mehr machen und das flächendeckend in der ganzen Republik ausrollen.
Frage: Wie verfolgen Sie die Diskussion um ein neues Nationalstadion. Hätten Sie lieber ein paar mehr überdachte 50-m-Schwimmbecken?

Nussbaumer: Ich würde mich nie auf die Diskussion einlassen, das eine oder das andere. Es braucht im Sport in ganz Österreich einfach mehr. Die Frau Staatssekretärin spricht immer davon, dass es eine Strategie braucht. Da bin ich ganz ihrer Meinung, weil eine Strategie brauche ich für alles. Ich kann mein Ziel nur erreichen, wenn ich den Weg kenne. Bei der Infrastruktur muss sehr gut überlegt sein, wie ich diese knappen Ressourcen einsetzen möchte. Wir brauchen für jede Sportart zuhause die Trainingsbedingungen, die man international braucht. Ich brauche beim Tischtennis den richtigen Tisch und die richtige Halle mit der richtigen Temperatur, mit der richtigen Luftzirkulation, um mich international vorbereiten zu können. Das müssen wir den Leuten, auch den Politikerinnen, den Sponsoren begreiflich machen, dass wir da hinmüssen. Wenn wir das nicht haben, geht es nicht.
Frage: Bei Ihrem Amtsantritt gab es ein großes Bekenntnis zum Jugend- und Nachwuchssport. Am 20. Juli beginnen die Europäischen Olympischen Jugendspiele in Skopje. Ein für Sie also perfekter Auftakt in die Serie von olympischen Großevents?
Nussbaumer: Also ich freue mich sehr, viele europäische Präsidentinnen und Präsidenten kennenzulernen und auch in meiner neuen Rolle kennenzulernen. Ich habe schon gute Kontakte, weil ich ja im europäischen Ruderverband immer unterwegs gewesen bin. Aber was viel wichtiger ist, ist natürlich dieses Bekenntnis zum Jugend-und Nachwuchssport. Das ist schon etwas, was meiner langjährigen Erfahrung, Beobachtung und der Logik innewohnt. Wir müssen ihn fördern, möglichst in Vereinen, möglichst strukturell begleitet, damit wir in der Zukunft neue Stars haben.
Frage: Die Drop-out-Rate ist unter den 16- bis 17-Jährigen am höchsten. Die höchste Leistungsfähigkeit ist da bei vielen noch lange nicht erreicht. Was sagen Sie einem Teenager, warum es erstrebenswert sein kann, eine Karriere im Spitzensport anzustreben?
Nussbaumer: Es gibt Sportarten, wo ich mit 16 schon merke, das wird ein Supertalent, ein Superstar und der ist schon fast am Zenit seiner Leistung. Und dann gibt es Sportarten, da erreiche ich den Zenit erst mit 30, also fast doppelt so alt oder mit dreimal so vielen Trainingsjahren. Was man solchen Leuten aufzeigen sollte, sind Wege, wie ich dorthin komme, Entwicklungspfade. Auf Englisch heißt das Pathways. Ich muss in allen Altersklassen immer glaubwürdige Szenarien aufbauen können, damit dieser junge Athlet merkt, wenn ich mich daran halte, wenn ich da mitmache, wenn ich gute Trainerinnen und Trainer habe, wenn ich gutes Material habe, entsprechende Anzahl von Stunden trainiere, wenn ich gewisse Meilensteine erreiche, dann werde ich glaubwürdigerweise dort hinkommen. Und dafür braucht es Vorbilder. Und deswegen müssen wir die Spitze fördern, weil wir diese Glaubwürdigkeit nur herkriegen, wenn wir vorne jemanden haben, der das geschafft hat. Junge Menschen glauben am allermeisten demjenigen, der es geschafft hat. Dann ist genau die Frage beantwortet, was ich einem 16-Jährigen sage: wenn du es genauso tust wie die Magdalena Lobnig, dann wirst du eines Tages so schnell sein wie sie.
Frage: Die Sparmaßnahmen der Regierung treffen auch den geförderten Sport. Wird das die Sportlerin, der Sportler zu spüren bekommen?
Nussbaumer: Das wird die große Herausforderung für uns. Dass wir den Top-Athletinnen und -Athleten ein Umfeld schaffen, dass sie zum Beispiel in der Vorbereitung für Milano-Cortina keine Einschränkungen bemerken, dass sie so weiter tun können, so trainieren können, sich so vorbereiten, das Material haben und alles Mögliche, als ob nichts gewesen wäre. Das Sparpaket wird zwei Jahre dauern, da wird es gewisse Einschränkungen geben, da muss man schauen, das womöglich mit privaten Sponsoren abzufangen. Brutal für den Sport sind die Steuererhöhungen beziehungsweise die Abgaben für die Lotterien. Die Lotterien sind einer der größten Sponsoren für den österreichischen Sport, und wenn die auch in ihrer Leistung für den Sport sparen müssen, dann trifft es den Sport doppelt. Das wird heftig und bemerkbar sein.
Frage: Österreich hat in vielen Sportarten auch historisch gewachsen viel Tradition und auch Erfolg, in einigen deutlich weniger. Wie wichtig ist eine gewisse Sportartenvielfalt?
Nussbaumer: Das ist eine extrem spannende Frage, die ganz viele Dimensionen hat. Ja, stimmt, in gewissen Sportarten wiederholen sich die Erfolge. Das hat natürlich schon damit zu tun, dass diese Verbände strukturell gut aufgestellt sind. Das, was ich vorher beschrieben habe, mit diesem Pathway für Athleten, das muss sich der Verband genauso überlegen. Das braucht aber eine gewisse Struktur und Erfahrung im Verband, das hat nicht jeder. Sollte man aber haben, und dann würden mehr Erfolge herauskommen. Ich habe gemeinsam mit der Geschäftsführung schon mit mehr als der Hälfte der olympischen Fachverbände Gespräche geführt. Um genau herauszuhören, wo stehen die, was brauchen die. Es wird bereits heuer im Herbst einen großen Olympic Workshop geben, an dem alle Verbände, die Chancen auf Los Angeles 2028 haben, teilnehmen werden. Wir werden einen Erfahrungsaustausch machen und schauen, dass man das Know-how bei allen anhebt. Mein Traum ist, dass die olympischen Fachverbände näher zusammenrücken und gegenseitig voneinander profitieren. Und dann gemeinsam einen Schritt nach vorne kommen in der Qualität der Betreuung, in den Umsetzungsmöglichkeiten. Die Ressourcen sind begrenzt, es kann nicht jeder Verband oder jede Sportart in Österreich alles selber haben. Das ist auch nicht sinnvoll, es ist viel besser, ich habe das gebündelt. Und gewisses Know-how für alle zur Verfügung.
"Letztendlich wollen wir dem Geldgeber und dem Steuerzahler zeigen, dass wir diese Vorbilder wirklich produzieren, dass es die wirklich gibt und dass die vorne stehen und Österreich mit der Fahne vertreten."
Frage: Mailand-Cortina 2026 wird logistisch aufgrund der weit auseinanderliegenden Sportstätten zwar eine große Herausforderung. Für Österreich könnten es aufgrund der geografischen Nähe aber Fast-Heimspiele werden.
Nussbaumer: Die Ticketverkäufe sind sehr hoch, es gibt eine Riesennachfrage aus Österreich. Der österreichische Tourismus hat wahnsinniges Interesse daran, dort zu promoten, weil es uns so ähnlich und so nahe ist. Dann haben wir den Vorteil, dass wir keine Zeitverschiebung haben, wir sind zu den besten Tageszeiten mit den Sportprogrammen in den Medien. Es wird perfekt. Die Bilder, die produziert werden, mit den Dolomiten im Hintergrund, werden die schönsten und besten sein. Insgesamt wird es großartig. Das schafft Olympia immer wieder. Das fasziniert mich so an Olympia. Das ist eine ganz besondere Kraft. Die Marke strahlt dann so richtig. Die ganze Welt ist begeistert, was Olympia kann. Das wird sicher wieder dort herauskommen.
Frage: IOC-Präsidentin Kirsty Coventry ist seit kurzem im Amt. Sie plant, den Vergabeprozess für Olympische Spiele zu überdenken, bis 2034 sind alle vergeben. Was ist Ihre Meinung dazu?
Nussbaumer: Man kann sich immer verbessern. Wichtig ist, dass die Nachhaltigkeit wirklich spürbar ist. So ähnlich wie es in Paris gewesen ist, dass dort Sportstätten verwendet werden, die es entweder schon gegeben hat oder man macht temporäre. Man gibt der Stadt die Chance, sich selbst zu präsentieren. Dass man eben vor dem Eiffelturm Beach-Volleyball hat. Unsere olympische Idee muss ja von jemandem bezahlt und getragen werden. Deswegen finde ich es sehr fair, wenn das an tollen Stätten stattfindet. Der Bewerbungsprozess muss fair, offen und transparent sein. Das war er in den letzten Jahrzehnten ganz bestimmt auch schon. Ich bin ein großer Freund davon, dass man die Entscheidungen in den dafür geschaffenen Gremien trifft. Das sind ja die Experten.
Frage: Wie misst und bewertet man die Arbeit eines ÖOC-Präsidenten? An Medaillen?
Nussbaumer: Da habe ich auch ganz viel nachgedacht. Für mich ist Leistung durchaus etwas Positives und im Endeffekt im olympischen Bereich geht es um gute Platzierungen bei Olympischen Spielen. Eine große Anzahl an Teilnehmern, die sich international qualifizieren und auch gute Resultate und letztendlich Medaillen machen. Aber das machen nicht wir, das ist Aufgabe der Fachverbände. Meine Aufgabe ist, die Leute von der olympischen Idee zu begeistern, dass sie dort mitmachen wollen, dass sie dort hinkommen wollen, dass sie diese Mühsal des Trainings und des Aufwands auf sich nehmen, dass sie viel Geld und Lebenszeit in die Hand nehmen. Diese Begeisterung möchte ich als mein großes Ziel beschreiben. Bewerten müssen es diejenigen, die mich vielleicht einmal wiederwählen. Ich hoffe, dass die Athletinnen und Athleten eine Freude daran haben, dass das alles für sie gemacht wird, für die Trainerinnen und Trainer. Das ist schon ein großer Parameter, an dem ich mich messen möchte.
Frage: Es ist also ganz legitim, dass man sich von einem großen Ereignis Medaillen erwarten darf.
Nussbaumer: Absolut. Da wollen wir hin. Letztendlich wollen wir dem Geldgeber und dem Steuerzahler zeigen, dass wir diese Vorbilder wirklich produzieren, dass es die wirklich gibt und dass die vorne stehen und Österreich mit der Fahne vertreten. Andererseits möchte ich auch international aufzeigen, dass alle merken, Österreich ist ein total tolles Sportland. Das sind schon Dinge, an denen ich mich messen lasse. Nicht nur ich, sondern der gesamte Vorstand. Das sind alles Leute, die einen Leistungsgedanken haben und das Ganze umsetzen möchten. Ich selber kann keine Medaille erringen, ich habe leider nie eine olympische Medaille errungen, ich werde auch jetzt keine machen können. Aber ich möchte die Leute dazu begeistern und motivieren, da mitzumachen und das Beste aus sich herauszuholen.