Es ist der 30. April, 04:08 Uhr: Bernhard Raimann erfüllt sich mit dem Pick der Indianapolis Colts in der dritten Runde (77. Stelle) des NFL-Drafts 2022 seinen langersehnten Traum und schreibt zugleich Sportgeschichte.
Der Burgenländer wird im Beisein seiner Familie und seiner Freundin in die weltbeste Football-Liga berufen und tritt bei der Franchise aus der AFC South das Erbe von Toni Linhart (damals Baltimore Colts, Anm.) und jenes des nunmehrigen TV-Experten Björn Werner an.
Raimann erlernt im Jugendalter als Wide Receiver der Vienna Vikings sein Football-Handwerk. Auf ein Austauschprogramm an der Delton-Kellogg High School folgt ein Stipendium an der Central Michigan University.
Für die "Chippewas" läuft der Steinbrunner von 2018 bis 2021 auf und fungiert zunächst als Tight End, später als Offensive Tackle. Der Ex-U-Nationalspieler schafft in seinem letzten College-Jahr den Einzug in die Auswahlen "Second-team All-American" sowie "First-team All-MAC".
Der ehemalige Vikings-Nachwuchsspieler spricht im LAOLA1-Exklusiv-Interview über seine historische Draftnacht, die Freundschaft zu Björn Werner, Neo-Teamkollege Tyler Warren, den NFL-Leistungsdruck, die täglichen Herausforderungen, das Gehalt und über Leander Wiegand sowie Valentin Senn.
NFL-Draft: Alle Erstrunden-Picks 2025
LAOLA1: Bernhard, fangen wir direkt mit dem Draft an, der bei dir drei Jahre her ist. Wie erinnerst du dich zurück?
Raimann: Ich habe ihn gemeinsam mit meiner Freundin und ihrer Familie verbracht. Meine Eltern sind extra nach Michigan gekommen, um den Draft anzuschauen. Um ehrlich zu sein, war es eine ziemlich stressige Erfahrung.
LAOLA1: Warum stressig?
Raimann: Man hat mit den Medien zu tun und dann werden auch noch die ganzen Draft-Experten gefragt. Wenn man seinen eigenen Namen hört, möglicherweise First-Round-Pick zu sein, erwartet man sich natürlich so etwas auch.
LAOLA1: Bei dir war es aber die dritte Runde…
Raimann: Genau. Und das war schon eine enttäuschende Erfahrung, nicht in der ersten Nacht gedraftet worden zu sein. Als Sportler möchte man so hoch wie möglich gedraftet werden, man möchte der Beste auf seiner Position sein.

LAOLA1: Ist das alles ein wenig eine Achterbahnfahrt der Gefühle - zwischen Combine, Medienterminen, Draft…?
Raimann: Ja. Ich habe im "Senior Bowl" in Alabama gespielt und hatte anschließend ein Training in Kalifornien. Der Combine war in Indianapolis, der Pro Day war auf meinem College, der Central Michigan University. Und dann musste ich wieder zurück nach Kalifornien. Hinzu kamen die ganzen Medientermine. Ich war bei den Dallas Cowboys für ein privates Workout und Interview eingeladen. Dann bin ich rauf nach Boston zu den New England Patriots. Es ging drunter und drüber und habe so viele Flugmeilen wie nie zuvor gesammelt.
LAOLA1: Du hast gesagt, der Sportler möchte so hoch wie möglich gedraftet werden. Ist es eine Sache des Geldes, des Prestige, Status des First-Round-Picks…?
Raimann: Es ist natürlich alles dabei. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass Geld überhaupt keine Rolle spielt. Aber mit jedem "schlechteren" Draftpick wird der Spieler auch mit weniger Geld entlohnt. Aber mir ging es darum, als bester Offensive Tackle positioniert zu sein, der sportliche Reiz war mir wichtiger. Ich wollte einfach der Beste sein.
LAOLA1: Gab es einen Moment im Draft, wo du dir gedacht hast, nachdem du nicht in Runde eins oder zwei ausgewählt wurdest: Wird das überhaupt noch was?
Raimann: Natürlich gehen da in dieser Zeit alle möglichen Gedanken durch den Kopf. Man überlegt dann: Was ist, wenn ich nicht gedraftet werde? Aber so oder so, egal ob du gedraftet wirst oder als Undrafted Free Agent unterschreibst, musst du dich beweisen.
"Björn habe ich damals als Spieler der Vienna Vikings kennengelernt. Wir haben die Telefonnummern ausgetauscht und sind in Kontakt geblieben. Natürlich versucht man, in solche Fußstapfen zu treten."
LAOLA1: Wie oft musst du das tun?
Raimann: Beim Rookie Minicamp, dann beim Mandatory Minicamp im Sommer. Dann auch nochmal auf dem Trainingslager. Du musst dich eben für die Saison für einen Platz auf dem Active Roster beweisen.
LAOLA1: Dich haben die Colts in der dritten Runde an 77. Stelle gepickt. War es für dich ein Traum, nach Indianapolis zu gehen oder war es eher Zufall?
Raimann: Ich hatte ziemlich gute Interviews mit den Colts. Ich habe mich aber nur zweimal oder so mit ihnen getroffen, wobei ich mich mit anderen Teams vier oder fünfmal unterhalten habe. Es war jetzt nicht unbedingt das, was ich erwartet habe, aber ich habe mich auf jeden Fall sehr gefreut.
LAOLA1: Dein deutschsprachiger Vorgänger in Indianapolis ist Björn Werner. Beim Frankfurt-Spiel 2023 gingen die Bilder von euch beiden quasi um die Football-Welt. Woher kommt diese Freundschaft?
Raimann: Björn habe ich damals als Spieler der Vienna Vikings kennengelernt. Das müsste auch, glaube ich, schon zehn Jahre her sein. Wir haben die Telefonnummern ausgetauscht und sind in Kontakt geblieben. Er hat mir während meiner Uni-Zeit in den USA geholfen und natürlich versucht man, in solche Fußstapfen zu treten.

LAOLA1: Blicken wir auf den Draft 2025: Deine Colts haben in der ersten Runde Tyler Warren gepickt. Damit hast du einen neuen Kollegen in der Offensive, der Tight End ist. Was kannst du uns darüber sagen?
Raimann: Ich freue mich riesig. Ich habe während der Saison auch die Spiele von Penn State gesehen, und er ist mir immer wieder aufgefallen. Ich glaube, er ist ein echter Playmaker und hat bei den Interviews sehr sympathisch gewirkt.
LAOLA1: Wie wichtig kann ein neuer Impuls für eure Offensive sein?
Raimann: Das ist schwierig zu sagen. Ich habe das Highlight-Tape gesehen. Er fängt nicht nur die Bälle, sondern macht auch Plays und setzt gute Blocks. Ich glaube, dass er generell, ob Passing- oder Running-Game, eine große Hilfe für unsere Offense sein wird.
LAOLA1: Du hast in der Offseason zwei Lineman-Kollegen verloren. Ryan Kelly (Center, Anm.) und Will Fries (Guard, Anm.) sind beide nach Minnesota abgewandert. Wie schwer wird das ins Gewicht fallen, zwei Lücken füllen zu müssen?
"Der Wettbewerb um deine Position macht dich immer stärker."
Raimann: Das ist natürlich immer eine Herausforderung, diese Positionen zu füllen. Aber das gehört auch zum Football dazu, dass immer wieder Leute woanders unterschreiben, ihre Karriere beenden oder verletzungsbedingt aussetzen müssen. Ich glaube aber, dass wir das schon hinbekommen werden.
LAOLA1: Deine Colts haben sich auch auf der Quarterback-Position verstärkt. Daniel Jones ist von den Minnesota Vikings gekommen. Wie ordnest du das ein, dass ihr jetzt zwei gute Spieler auf der Position (mit Anthony Richardson, Anm.) habt?
Raimann: Der Wettbewerb um deine Position macht dich immer stärker. Egal, was da jetzt rauskommt, wer von den beiden im Herbst spielen wird, wichtig ist, zwei gute Quarterbacks zu haben. Daniel und Anthony sind ähnlich athletisch und ähnlich stark. Beide haben eine gute Wurfkraft. Es kommt einfach nur darauf an, wer konstanter ist. Ich glaube, dass sie sich gegenseitig besser machen werden.
LAOLA1: Hast du einen persönlichen Favoriten?
Raimann: Natürlich Anthony. Wir sind schon seit zwei Jahren Teamkollegen, er ist ein super Typ. Letzte Season hat er in den Medien mehr Hitze abbekommen, als er verdient hat. Aber auch Daniel ist ein super Typ. Ich glaube, beide haben es verdient, der Starter zu sein, aber wir werden sehen, was rauskommt.

LAOLA1: Dieses Jahr haben mit Leander Wiegand (Deutschland, New York Jets, Anm.) und Valentin Senn (Tirol, Arizona Cardinals, Anm.) zwei deutschsprachige Spieler den Sprung in die NFL geschafft. Wie schätzt du ihre Chancen ein?
Raimann: Es ist immer schwierig zu sagen, weil beide nicht gedraftet wurden (Wiegand und Senn sind IPPP-Spieler, Anm.). Der Vorteil, gedraftet zu werden, ist, dass man bei einem Fehler vielleicht nicht so schnell gecuttet wird, weil das Team eine Investition geleistet hat. Bei einem Undrafted Free Agent ist das hingegen leichter. Aber auf der anderen Seite kannst du dir als Undrafted Free Agent mehr oder weniger das Team aussuchen, sofern es Interesse gibt. Ich glaube aber, dass Leander und Valentin ihre Chance ergreifen und das Beste daraus machen werden.
LAOLA1: Also würdest du damit d'accord gehen, dass das IPP-Programm eine echte Möglichkeit für deutschsprachige Spieler ist, um in die NFL zu kommen?
Raimann: Ja, es ist etwas Positives. Man bekommt die Chance, weil man einen extra Platz im Kader einnimmt, auch wenn es "nur" für den Trainingskader reicht. Es ist trotzdem eine Riesenchance, man lernt so viel in dieser Zeit. (Leander und Valentin, Anm.) können sich dadurch beweisen, um zu zeigen, dass sie gut genug für die NFL sind. Ich habe das auch schon mit Marcel Dabo, meinem Teamkollegen bei den Colts, besprochen. Wir sind da der gleichen Meinung, was das IPP-Programm anbelangt.
"Mir jetzt da eine Nummer rauszusuchen, nur um der Topverdiener zu sein, finde ich wirklich übertrieben."
LAOLA1: Seit deinem Einstieg in die NFL hast du auf ganzer Linie überzeugt. Du wurdest von "Pro Football Focus" als einer der zehn besten Offensive Tackles der Liga gelistet. Tangiert dich so etwas?
Raimann: Um ehrlich zu sein, versuche ich mich so weit wie möglich von diesen ganzen Webseiten und Online-Experten fernzuhalten. Ob die jetzt etwas Positives oder Negatives sagen, macht keinen Unterschied auf meine jetzige Situation. Ich versuche jeden Tag mein Bestes zu geben und besser zu werden. Auch wenn man Letzter auf so einer Liste ist, macht das keinen Unterschied. Ich glaube, wer seinen Antrieb in solchen Rankings oder Statistiken sucht, der ist ziemlich schnell wieder raus aus der NFL-Welt.
LAOLA1: Was sind deine "Baustellen" in der Offseason?
Raimann: Ich werde zum Beispiel an meiner Pass Protection und an meiner Bewegung entlang der Line of Scrimmage arbeiten. Es sind so Kleinigkeiten, die immer besser werden können, egal, wie gut man schon ist. Das ist auch das Hauptziel, diese "Fehler" auszubessern.
LAOLA1: Du gehst bei den Colts in dein viertes Vertragsjahr. Gibt es schon Gespräche über eine Verlängerung?

Raimann: Ich konzentriere mich auf das, was ich kontrollieren kann. Alles andere macht die Sportagentur. Das heißt für mich, dass ich nochmal alles geben muss. Ich kann nur meinen Einsatz und meine Einstellung kontrollieren, aber das Resultat der Verhandlungen etc. ist manchmal sowieso nicht vorhersehbar.
LAOLA1: Das Thema Gehalt ist im Sport omnipräsent. ÖFB-Star David Alaba ist aktuell mit 22,4 Millionen Euro jährlich Österreichs bestbezahlter Sportler. Dein NFL-Positionskollege Tristan Wirfs (Tampa Bay Buccaneers, Anm.) verdient jährlich ca. 25 Millionen Euro. Besteht die Chance, dass du mit deinem neuen Vertrag zum Topverdiener Österreichs wirst?
Raimann: Ganz ehrlich, natürlich ist Geld toll, aber mir geht es so oder so gut, ich kann mich um meine Familie kümmern. Mir jetzt da eine Nummer rauszusuchen, nur um der Topverdiener zu sein, finde ich wirklich übertrieben und offen gesagt interessiert mich das auch nicht, mehr als ein anderer Sportler zu verdienen.
An dieser Stelle endet der erste Teil des Interviews. Der zweite Teil folgt in Kürze…