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"Mr. Red Bull" - Das Wirken von Didi Mateschitz

Öffentlichkeitsscheu als Markenzeichen. Wie sich Dietrich Mateschitz immer mehr zurückzog und doch immer präsenter wurde.

Foto: © getty

"Jesus Christ, es gibt Sie wirklich?!" Es war wohl seine bekannteste Marotte, aus Prinzip keine Interviews vor TV-Kameras zu geben. Wie überhaupt Auftritte in der Öffentlichkeit von Dietrich Mateschitz über die Jahre immer seltener wurden.

Wenn, dann nur im kleinen Kreis von Freunden oder Geschäftspartnern und nur wenn es unbedingt erforderlich war.

Die Liste abgelehnter (TV-)Interviews ist so umfassend wie die Medienlandschaft. Für Print-Medien machte Mateschitz seltene Ausnahmen. Und einmal, ein einziges Mal, ließ er sich "überrumpeln", was der Euphorie des Augenblicks geschuldet war.

Am 14. November 2010 hatte eben Sebastian Vettel in einem verrückten Finale gegen Red-Bull-Kollegen Mark Webber und Ferrari-Star Fernando Alonso seinen ersten Formel-1-Titel auf dem Yas Marina Circuit von Abu Dhabi gewonnen.

Mateschitz - ausnahmsweise zu einem Rennen außerhalb Europas angereist (sonst kam er nur nach Barcelona, Monza, einmal Sotschi und Spielberg -, war so begeistert, dass er seine Emotionen über Vettels und Red Bulls bis dahin größten Erfolg vor den ORF- und Sky-Kameras auslebte, Wortspenden inklusive.

Ein einmaliger "Ausrutscher".

Immerhin stand Mateschitz der heimischen Sportjournalisten-Vereinigung (Sports Media Austria) zwei Mal für Diskussionsrunden zur Verfügung. Die jeweils weit länger dauerten als die vorher vereinbarte Zeit und in seinem Wahlheimat-Bundesland Salzburg stattfanden.

Heute kaum vorstellbar, dass sich der am 20. Mai 1944 in St. Marein im Mürztal geborene Steirer zu Beginn der Red-Bull-Ära einmal selbst der Presse vorstellte.

Es war ein schöner Sommertag vor 35 Jahren, als Mateschitz seinen ersten (und fast auch seinen letzten) Medienauftritt in einem Salzburger Vorstadt-Wirtshaus absolvierte – in einer Zeit, als sein neues Produkt gänzlich unbekannt war.

Der Eishockey-Bundesligist Salzburger EC lud am 28. August 1987 zur Saisoneröffnungs-Pressekonferenz in den Lieferinger Hartlwirt.

Die Clubführung präsentierte neben der Mannschaft mit den Sowjetstars Viktor Schalimow und Sergej Kapustin auch den neuen Sponsor: "Herrn Mateschitz von der Firma Red Bull."

Der war tatsächlich persönlich anwesend, stellte seine Firma – die damals niemand kannte –, sein Produkt – kein Mensch wusste mit dem Begriff "Energy Drink" etwas anzufangen – und sich selbst vor. Die Handvoll Salzburger Journalisten in dieser kleinen Runde konnte nicht abschätzen, wen sie da eben kennengelernt hatten – und was dieser Herr noch bewegen würde.

Mateschitz: "Dem Eishockey gehört mein Herzblut!"

Die Red Bull GmbH. war erst drei Jahre davor gegründet worden, aus einem Büro in der Salzburger Alpenstraße. Mateschitz selbst bestätigte viele Jahre später seine Loyalität zu "seiner" ersten Sportart: "Dem Eishockey gehört mein Herzblut."

Bis heute. In Salzburg. In München. Und wieder in Liefering, diesmal nicht im Wirtshaus, sondern in der Nachwuchsakademie für Eishackler und Kicker, die weltweit Beachtung fand.

Sein Markenzeichen waren Unternehmergeist, Risikofreudigkeit, Marketingexpertise (die hat er ja schon im Studium "Welthandel" kennengelernt), Innovation und ein Hang zum Extremen. Vom Start-up-Unternehmer zum Multimilliardär, wurde in vielen Porträts über ihn geschrieben.

Doch Red-Bull-Gründer Dietrich Mateschitz entwickelte sich nicht nur zum erfolgreichen Multiunternehmer und größten Sportförderer in Österreich (und vielleicht in einigen anderen Ländern), sondern auch zu einer Persönlichkeit des nicht-öffentlichen Lebens.

Marotte oder gezielte Strategie, wer weiß es schon, warum sich Mateschitz als persönliches Credo den Auftritt vor TV-Kameras versagte. "Die Marke ist wichtig, ich bin es nicht", erklärte er mehr als einmal.

Aufstieg von Red Bull startete mit Einstieg in Formel 1

Der Aufschwung von Red Bull zur globalen Marke ging parallel zum Einstieg in die Formel 1 im Jahr 1995 bei Sauber vonstatten. Immerhin war Mateschitz bei diversen Teamvorstellungen des Rennstalls, an dem er zuerst ein Drittel, dann zwei hielt, persönlich dabei, wenn auch stets im Hintergrund.

Zehn Jahre mit Sauber nützten sich ab, weil es zwischen Peter Sauber und Helmut Marko, dem Formel-1-"Berater" von Mateschitz immer öfter Kontroversen gab. Die zuerst zur Unterstützung eines zweiten Teams (Arrows) führten, weil es um die Fahrerbesetzung bei Sauber für 2001 Differenzen gab.

Marko wollte Enrique Bernoldi, Sauber beharrte auf dem unbekannten Kimi Räikkönen. Worauf der Brasilianer bei Arrows geparkt wurde. Mateschitz/Marko (Bild) hatten, obwohl Mehrheitseigentümer bei Sauber, keine Entscheidungshoheit. Das sollte nie wieder passieren, was 21 Jahre später zum Bruch der Gespräche mit Porsche wesentlich beitrug.

Im November 2004 setzte Mateschitz in der Formel 1 den lang erwarteten Schritt zum eigenen Team: mit dem Kauf von Jaguar Racing. Als er die Fabrik in Milton Keynes wenige Wochen später erstmals persönlich besuchte, wurde der neue "Big Boss" vielen Mitarbeitern vorgestellt.

Die ältere Dame an der Rezeption bekam leuchtende Augen, als der damalige Teamchef Tony Purnell ihr Didi Mateschitz vorstellte: "Jesus Christ, you are real?!", staunte die Britin.  

Mateschitz erkannte früh den Werbewert von Sportlern, vor allem der "wilden Hunde". So war neben Eishockey sein erstes Testimonial der eben zu Ferrari gewechselte F1-Jungstar Gerhard Berger.

Über 5.000 Athlet:innen werben weltweit für Red Bull

Der Kreis der Red-Bull-Sportler wuchs und wuchs (auf heute an die 5000 Athlet:innen weltweit), Schwerpunkt: Extremsportarten. Das reichte später bis zu Basejumper Felix Baumgartner, dem ein Sprung aus dem Weltall finanziert wurde – und der dem eben aufgebauten eigenen TV-Kanal ServusTV die erste Megaquote bescherte.

Der Siegeszug der blau-silbernen Dose gerade bei jungen Konsumenten gab ihm recht. In deutschen Medien wird er oft mit viel Abschätzigkeit (Neid?) "Brausefabrikant" tituliert. Die Art, wie der Konzern Red Bull mittlerweile in der Sportwelt auftritt, ist zwiespältig wegen des Anspruchs, überall führend zu sein.

Von kritiklosem Applaus bis zu protestierendem Aktionismus reicht das Reaktionsspektrum, aus einem Grund: Wenn Red Bull = Dietrich Mateschitz etwas anpackt, dann gründlich. Mit Zielstrebigkeit zum Erfolg.

Kontrovers wurde bis heute vor allem sein Engagement im Fußball gesehen, weil das Jetzt viel, die Zukunft mehr und die Historie nichts zählte.

Fußball war für ihn lang ein Tabuthema. Mehrere Versuche von "Westbahn-Rudi" Quehenberger, dem Geschäftspartner (Quehenbergers Spedition war Logistikpartner von Red Bull) seine marode Austria Salzburg einzuverleiben, waren erfolglos. Ehe im Winter 2004/05 Mateschitz unter Mithilfe von Franz Beckenbauer schnell umzudenken begann.

Per Fax gab Red Bull am 5. April 2005 Engagement im Fußball bekannt

Es war bezeichnend für die traditionell holprige Öffentlichkeitsarbeit von Red Bull, dass die Medien am 5. April 2005 nach 20 Uhr per zweizeiliger Fax-Meldung von der Übernahme der Austria durch Red Bull informiert wurden. Groß waren ab sofort die Ziele, die Champions League war jahrelang schon in der Qualifikation vorbei. Und es wurde massiv expandiert: Leipzig, New York, Brasilien, Ghana.

Dabei wurde Mateschitz auch vom Wunsch geprägt, Visionen anzudenken und auszuführen. Nicht nur im Sport, auch mit Förderung der steirischen Heimat, mit Schaffung eines Bauwerks, das mittlerweile ein Salzburger Wahrzeichen und Touristenmagnet ist, sondern auch im Mediengeschäft.

Denn als gäbe es mit dem Core Business und allen Sportaktivitäten nicht genug zu tun, wurde Mateschitz auch noch Medienmanager. Print, Digital, TV. Die mediale Dose zum Lesen, Schauen, Hören, Mitagieren. Klar: Auf besonderem Niveau und mit Konsequenz, die in der politischen Berichterstattung zuletzt "gegen den Strom" ankämpfte.

Und ohne Betriebsrat, dieser einmalige Versuch verleitete ihn zu einer Massenkündigung, die er tags darauf zurücknahm.

Ein Augenblick der Vernunft statt Emotion.

Das Delegieren war nach einer großen Enttäuschung beim Versuch, eine "rechte Hand" einzusetzen, so gar nicht seins. Was bei ihm am meisten zählte: neben Einsatz vor allem Loyalität. Wer beides zeigte, war "„auf ewig" versorgt. Wer nicht, hatte die Gunst von "Didi" verspielt.

Dienstreisen als "First Officer" in seiner Falcon

Mateschitz hatte auch eine Passion fürs Fliegen. Die Flying Bulls betreuen in Salzburg eine außergewöhnliche Sammlung historischer Flugzeuge. Zu Dienstreisen flog der Chef oft selbst als "First Officer" im Cockpit seiner Falcon.

Viel weniger beachtet als seine Aktivitäten im Sport und in der Medienbranche waren seine karitativen Bestrebungen. Für "Wings for Life", der auch in Salzburg beheimateten Stiftung zur Unterstützung der Rückenmarksforschung, für die medizinische Privatuniversität Paracelsus und manchmal für Menschen in Not da draußen flossen Millionen.

Die für Mateschitz nicht Marketing, sondern Bedürfnis waren.

Und er hinterlässt bei vielen Mitarbeitern, Partnern und unterstützten Sportlern die bange Frage, wie es nun weitergehen würde.

Dabei hatte er selbst diesbezüglich mehrmals geantwortet: "Macht euch keine Sorgen, es ist alles geregelt."  

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