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Hondas grausamer Absturz zum MotoGP-Nachzügler

Japaner dominierten einst die Motorrad-Königsklasse - nun fährt man hinterher:

Hondas grausamer Absturz zum MotoGP-Nachzügler Foto: © GEPA

Zwölf Konstrukteurs-Titel, zehn Team-Titel und zehn Fahrer-Titel - macht 32 von 60 möglichen WM-Triumphen seit Einführung der MotoGP-Klasse im Jahr 2002.

Honda war seit der Verabschiedung der 500-ccm-Klasse über viele Jahre das Maß aller Dinge, ganz besonders seit 2013. Damals verpflichteten die Japaner einen gewissen Moto2-Weltmeister, der in den folgenden Jahre alles in Grund und Boden fahren sollte: Marc Marquez.

Mit dem zu jenem Zeitpunkt erst 20-jährigen Spanier ging Honda kein großes Risiko ein, galt Marquez doch seit jeher als neues Supertalent. Diesen Status bestätigte der Katalane auch eindrucksvoll. Jedoch wurde in den letzten neun Jahren jedes kleinste Detail auf den inzwischen achtfachen Weltmeister ausgerichtet - und das rächt sich nun.

Denn Marquez, dem während seiner Karriere Spitznamen wie "El Niño" oder "Smiling Assassin" verpasst wurden, zog sich bei einem verhängnisvollen Sturz in Jerez im Juli 2020 einen Oberarmbruch zu, der ihn noch heute körperlich einschränkt.

Zwar befindet sich der 29-Jährige nach seiner insgesamt vierten Oberarm-Operation auf dem Weg zu alter Stärke, steigt an diesem Wochenende in Aragon nach viermonatiger Pause auch wieder in den MotoGP-Zirkus ein.

Doch in den letzten zwei Jahren entwickelte sich Honda von einem der erfolgreichsten und renommiertesten Motorrad-Hersteller der Königsklasse zu einem Team, das darum kämpfen muss, es überhaupt mit einem seiner vier Piloten in die Punkte zu schaffen.

Ein Bike nur für Ausnahmekönner?

Aber warum ist dem so?

In den Anfangszeiten der MotoGP-Klasse war es keine Seltenheit, dass Honda - ähnlich wie Ducati aktuell - gleich mehrere Piloten unter den ersten fünf bzw. zehn hatte. Die Honda Racing Corporation (HRC) war stets bemüht, maximale Leistung aus den Bikes zu generieren.

Dadurch waren die Honda-Motorräder jedoch nie einfach zu beherrschen. Es war Stars wie Valentino Rossi, Casey Stoner oder Marc Marquez vorbehalten, für Erfolge zu sorgen. Und das gelang ihnen auch, da sie Ausnahmekönner sind und waren.

Valentino Rossi damals auf der Repsol Honda
Foto: © getty

Nicht minder großartige Piloten wie Dani Pedrosa oder der zweifache MotoGP-Weltmeister Jorge Lorenzo bissen sich allerdings die Zähne aus. Der Erfolg gab dem japanischen Hersteller jedoch lange Zeit Recht, alleine Marquez wurde in den letzten neun Jahren sechs Mal Weltmeister. Rechnet man 2020 und 2021 weg, die Jahre in denen er verletzungsbedingt fehlte, sind es gar sechs Titel in sieben Saisonen.

Nun rächt sich aber die Einstellung, das Bike hauptsächlich auf einen Fahrer auszurichten. Denn weder Werkspilot Pol Espargaro und Marquez-Ersatz Stefan Bradl noch die LCR-Fahrer Takaaki Nakagami und Alex Marquez kommen mit der RC213V zurecht.

Nur Marquez konnte Concession-Status verhindern

Vergangenes Jahr sorgte ein keinesfalls vollständig genesener Marquez bereits dafür, dass Honda nicht den Concession-Status von der MotoGP zugesprochen bekommt.

Mit diesem werden den Teams gewisse Zugeständnisse gegeben. Darunter fallen die Verwendung von mehr als den sieben erlaubten Motoren, die Entwicklung der Triebwerke während der Saison und mehr Testmöglichkeiten.

Um den Status nicht zu erhalten, muss ein Team im Zeitraum von zwei Jahren mindestens sechs Concession-Punkte sammeln. Wie man das macht? Mit Rennsiegen und Podiumsplatzierungen. Ein Sieg bringt drei Punkte, der zweite Platz zwei Zähler und der dritte Platz einen.

Und abgesehen von Marquez fuhr nur Espargaro einmal einen zweiten Platz ein, während der Superstar der Szene drei GP-Triumphe und einen zweiten Rang holte. Noch dramatischer stellt sich das Bild in der laufenden Saison dar, die mit einem dritten Platz von Espargaro zum Auftakt in Katar eigentlich vielversprechend begann.

Danach ging es jedoch drastisch bergab, nicht einmal der sichtlich gehandicapte Marquez erreichte das Stockerl. Während der 29-Jährige mit einem vierten Platz in Jerez zumindest daran anklopfte, waren Bruder Alex und Takaaki Nakagami mit ihren siebten Plätzen in Portimao oder Le Mans weiter davon entfernt.

Und für Pol Espargaro steht gar nur ein neunter Rang als bestes Ergebnis zu Buche - übrigens sein einziger Top-Ten-Platz seit Katar.

Ducati und Co. "ein oder zwei Stufen voraus"

Doch: Woran hakt es? Will man den Piloten Glauben schenken, ist Honda nicht mit der Zeit gegangen.

Waren HRC und Yamaha in früheren Zeiten die absoluten Vorreiter in puncto Innovationen, ist es nun insbesondere das Ducati-Team, welches unter der Leitung von Rennsportchef Luigi Dall'Igna den Ton angibt. Diverse Aerodynamik-Tools wie das Ride Height Device oder Verkleidungen an Front und Heck des Bikes waren erstmals auf einer Ducati zu sehen.

Hinzu kommt, dass das Team aus Pangale auf den stärksten Motor setzen kann und insgesamt das beste Gesamtpaket stellt. Ausnahmekönner wie Marquez oder Yamaha-Fahrer Fabio Quartararo müssen ständig All-In gehen, um den acht Ducatis im MotoGP-Grid Paroli bieten zu können.

Die Ducatis im Windschatten von Marc Marquez
Foto: © GEPA

Dadurch erhöht sich freilich nicht nur das Sturz-, sondern auch das Verletzungsrisiko erheblich. Marquez forderte schon bei seinem Besuch in Spielberg, dass sich Honda stärker an den europäischen Herstellern orientieren und die Entwicklungsgeschwindigkeit erhöhen müsse.

Erst Deutschland-Debakel ließ Honda nachdenken

Nakagami sprach davon, dass Ducati und Aprilia aerodynamisch "ein oder zwei Stufen voraus sind". Aber auch die Elektronik und das Chassis stünden aktuell mehr denn je auf dem Prüfstand, heißt es. Allerdings auch erst seit dem historischen Debakel beim Grand Prix von Deutschland am Sachsenring, als Honda erstmals seit 40 Jahren punktelos blieb.

Denn davor wurden aus Japan keinerlei neue Teile geliefert, kritisierte Testpilot Bradl mehrmals. Dadurch konnten sich die Honda-Fahrer tatsächlich gar nicht verbessern, schlagen sich inzwischen seit Monaten mit denselben Problemen herum. Schuld daran ist auch die "schreckliche" Kommunikation, meinte LCR-Fahrer Nakagami.

Mit Marquez' Rückkehr soll dieser Umstand plötzlich wieder behoben werden, schon bei seinem Besuch in Spielberg hatte der Katalane viele Meetings mit den Japanern. Dass Honda neue Wege gehen will, zeigt sich außerdem daran, dass der deutsche Motorrad-Hersteller Kalex nun Hinterradschwingen aus Aluminium für Honda konstruiert.

Ducati, KTM und Aprilia setzen derzeit ausnahmslos auf Karbonschwingen, auch Honda testete seit 2018 verschiedene Varianten. So richtig glücklich wurde man jedoch nie, die Aluminum-Schwingen werden allerdings keinen Quantensprung auf der Jagd nach besseren Zeiten bringen. "Aber es zeigt, wie verzweifelt die Japaner sind", meint etwa ein gegnerischer Crew-Chief gegenüber "Speedweek.com".

Mit Marquez soll der Aufschwung erfolgen

Viel glücklicher schätzt man sich im Hause Honda über die Tatsache, dass Marquez vor seinem MotoGP-Comeback steht.

Nach dem GP-Wochenende in Misano blieben die Teams in San Marino, um zwei Testtage zu bestreiten. Mit dabei war der mehrfache Champion, der sich erstmals seit seiner vierten Oberarm-Operation wieder auf ein MotoGP-Bike schwang.

"Es zeigt, wie verzweifelt die Japaner sind."

Der Test verlief über weite Strecken erfolgreich, der Arm bereitete bei seinen 100 gefahrenen Runden kaum Probleme. Erst gegen Ende des zweiten Testtages musste Marquez kürzer treten, da die Muskeln schlichtweg nicht mehr mitspielten.

"Es lief gut. Ich bin wirklich glücklich, denn es war sehr wichtig für mich, den zweiten Tag zu überstehen. Am Nachmittag habe ich tatsächlich ein paar Probleme mit der Position des Arms bekommen, weil die Muskeln am Ende waren. Dadurch habe ich eine komische Haltung angenommen und Schmerzen bekommen. Wir haben dann gestoppt", so Marquez.

2023 wieder an der MotoGP-Spitze?

Bezeichnend: Trotz der Schmerzen war der Spanier neuerlich der schnellste aller Honda-Piloten, beendete den Test nur mit einer halben Sekunde Rückstand auf Quartararo.

Nachdem in Folge vorerst ein Fragezeichen hinter einem möglichen Comeback in Aragon stand, wurde dieses am vergangenen Dienstag offiziell verlautbart und Marquez wird auf einer seiner absoluten Lieblingsstrecken im Rennkalender seine Rückkehr feiern.

Den ersten Trainingstag beendete der 29-Jährige prompt auf Rang acht, was gleichbedeutend mit einer direkten Teilnahme an der zweiten Qualifying-Session wäre. Damit war er der einzige Honda-Fahrer in den Top Ten, was erneut die These belegt, dass die Japaner schlicht und einfach vom spanischen Superstar abhängig sind.

Mit einem vollständig wiedererstarkten Marc Marquez will Honda in der nächsten Saison auch wieder an die Spitze zurückkehren - ob sich Joan Mir, immerhin Weltmeister von 2020, einen großen Gefallen mit dem Wechsel gemacht hat, wird abzuwarten sein.


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