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Causa Andretti: Ein Machtkampf auf Kosten des Sports

Die Zulassung eines elften Teams wird zum Tauziehen zwischen den Lagern. Was Fürsprecher und Widersacher des Projekts antreibt. Und wie es weitergeht.

Causa Andretti: Ein Machtkampf auf Kosten des Sports Foto: © getty

Die Formel 1 ist ein exklusiver Klub. Und will das auch bleiben.

Mit Andretti schickt sich zum ersten Mal seit längerer Zeit wieder ein neues Team konkreter an, in die "Königsklasse" einzusteigen und das Feld auf elf Rennställe zu erweitern.

Doch der große Name und ein Projekt mit Hand und Fuß im Hintergrund sind für die Verantwortlichen mittlerweile nicht mehr Argument genug, die Tür zu öffnen. Obwohl der Interessent sogar aus dem heißgeliebten US-Markt kommt und gewichtige Argumente auf seiner Seite hat.

Während Teams und die F1-Rechteinhaber zögern und zaudern, steht die FIA dem Projekt positiv gegenüber und hat zuletzt ihrerseits grünes Licht gegeben.

Nun ist die Andretti-Bewerbung auch zum Spielball zwischen zwei Fronten geworden, die Entscheidung über einen Einstieg keine rein sportliche Frage.

LAOLA1 erklärt vor dem Grand Prix der USA in Austin (alle Sessions im LIVE-Ticker>>>) die Ausgangslage.

Wer steht hinter Andretti und warum wollen sie in die Formel 1?

Der Name "Andretti" muss im Motorsport nicht mehr vorgestellt werden. Auch nicht in der Formel 1, in der sich Mario Andretti 1978 zum bis dato letzten US-amerikanischen Weltmeister machte.

Die Karriere seines Sohnes Michael war mit 13 Rennen für McLaren anno 1993 zwar kurzlebig, in der IndyCar lief es für ihn aber besser – und später als Teambesitzer sowieso. 2003 kaufte sich Andretti in das "Team Green" in der Indy Racing League ein, in den folgenden 20 Jahren wurde ein Motorsport-Imperium aufgebaut.

Derzeit ist der Teamname Andretti unter anderem in der IndyCar und der Formel E vertreten, insgesamt 21 Fahrer treten in diversen Serien in einem Andretti-Auto an.

2023 fährt etwa Romain Grosjean für Andretti IndyCar
Foto: © getty

Und die Expansion soll weitergehen. Das Ziel: In alle großen Rennserien dieser Welt einzusteigen und unter einem Dach zu betreiben. Le Mans, das Indy500 oder eben Monaco: Überall sollen die US-Fans mit Andretti einen Anker der Identifikation vorfinden.

Ein Vorhaben, das ohne die Formel 1 nicht gelingen kann. Und der Zeitpunkt ist vermeintlich ideal: Der Boom der "Königsklasse" hält an, auch in den USA wird das Interesse immer größer. Mit dem Grand Prix von Las Vegas steht das diesjährige Highlight noch bevor und wird den Fokus in den Staaten noch einmal vergrößern.

Und Michael Andretti überlässt dabei nichts dem Zufall: Mit Dan Towriss und Mark Walter – seines Zeichens einer der neuen Miteigentümer des FC Chelsea – stehen milliardenschwere Unterstützer im Hintergrund. Aber damit nicht genug.

Mit General Motors hat sich das Andretti-Projekt einen der größten US-Autokonzerne an Bord geholt, über die Marke Cadillac will der "Big Player" auch im Konzert der Großen vertreten sein. Gerade zu einem Zeitpunkt, an dem Ford über deren Partnerschaft mit Red Bull nach zwei Jahrzehnten zurückkehren wird.

 

Warum es Andretti eilig hat

Im Gegensatz zu einigen anderen nun gescheiterten Mitbewerbern war das Projekt "Andretti in die Formel 1" seit seiner Geburtsstunde öffentlich sehr präsent. Michael Andretti fährt einen aggressiven, öffentlichkeitswirksamen Kurs, um Werbung für sein Projekt zu machen.

Und das hat auch seine Gründe: Andretti will schnell in die Formel 1. Schon 2025 will das US-Team dabei sein. Ein Jahr vor dem neuen Reglement ein seltsamer Zeitpunkt, der aber seine Gründe hat.

Mit dem alten Regelwerk läuft nämlich auch das derzeit gültige Concorde Agreement aus. In diesem sind die finanziellen Rahmenbedingungen zwischen Rechteinhaber Liberty Media, der FIA und den zehn Teams geregelt.

Und eine "Anti-Verwässerungs-Klausel" in Höhe von 200 Millionen US-Dollar festgeschrieben, die ein Neueinsteiger an die zehn bestehenden Teams zu zahlen hat. Quasi als Ausgleich für Einnahmen, die fortan in mehr Hände wandern.

Eine Summe, die angesichts der Entwicklung der Formel 1 als Kompensation mittlerweile aber zu gering scheint. Darum wird sie im neuen Concorde Agreement deutlich steigen – derzeit wird eine Summe um die 600 Millionen US-Dollar kolportiert.

In der Formel E ist Andretti seit der ersten Saison dabei
Foto: © getty

Ein Unterschied von 400 Millionen, den Andretti lieber in die Infrastruktur stecken würde. Selbst, wenn ein Teil dieser Summe in die Entwicklung eines Autos einzig für 2025 wandert.

Um diesen ambitionierten Zeitplan zu verwirklichen, die Ambitionen zu unterstreichen und auch etwas Druck auf die Entscheidungsträger auszuüben, erfolgte der Spatenstich für die neue Fabrik bereits. Übrigens in den USA, womit Andretti im Gegensatz zu Haas – das aus Europa operiert – wirklich ein US-Team wäre. Ohne Planungssicherheit ein Risiko.

Eine Motorenvereinbarung mit Alpine lief bereits aus, wäre aber im Zweifelsfall kein Problem: Das Reglement der Formel 1 verpflichtet den Motorenhersteller mit den wenigsten Teams als Kunden im schlimmsten Fall sogar dazu, einen Motor bereitzustellen.

 

Wer ist dafür?

Ein großer Motorsport-Name, ein gutes Konzept und die Aussicht auf mehr Geschehen auf der Strecke: Die Fans hat das Andretti-Projekt in den letzten Monaten dem Anschein nach auf seine Seite gezogen.

Aber nicht nur die Fans: Auch der Weltverband steht dem Projekt wohlwollend gegenüber. Nach erfolgreicher Absolvierung des Prüfverfahrens hat die FIA ihrerseits jüngst grünes Licht für einen Einstieg gegeben: Finanzen, Infrastruktur und Personal sind in ihren Augen einer Teilnahme an der Formel 1 würdig. Das Projekt ist laut FIA gesund genug, um einen Mehrwert für die "Königsklasse" darzustellen und in ihr zu überleben.

Dabei zieht der Weltverband vor allem Aspekte in Betracht, die den Sport betreffen. Und das Ziel, ihn weltweit noch größer zu machen. Als wirklich US-basiertes Team wären die Voraussetzungen gut. Überhaupt mit General Motors im Schlepptau. Und der Zusage, mit zumindest einem US-amerikanischen Fahrer anzutreten.

Aus Sicht der FIA gibt es wenig Argumente, Andretti den Weg in die Formel 1 zu versperren. Und dementsprechend zeigt sich auch Präsident Mohammed Ben Sulayem als Befürworter des Projekts.

 

Wer ist dagegen?

Das Problem: Seit der Übernahme der Rechte an der Formel 1 durch Liberty Media ist auch ein Machtkampf mit der FIA im Gange, wer wirklich das Sagen hat.

Und die Verantwortlichen der Formel 1 – mitsamt beinahe aller der zehn aktuellen Teams – stehen Andretti skeptisch gegenüber. Ihr Hauptargument: Das Geld.

Die Teams betrachten das Einkommensschema der "Königsklasse" auch in Zeiten des Booms nach den Eindrücken der Corona-Pandemie als fragil und sind der Ansicht, ein weiterer Teilnehmer könnte die Einnahmen für jeden Einzelnen im größeren Maß senken, als durch den Mehrwert an Mehrerlös erzielt werden könnte.

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Auch wird als nicht fair betrachtet, dass sich die aktuellen Teams in schwierigeren Zeiten unter größeren Risiken zur Formel 1 bekannten und ihren Anteil am Wachstum hatten, von dem ein Neueinsteiger ausschließlich profitieren würde.

Vor diesem Hintergrund werden auch Argumente bemüht, die einer Überprüfung im Vorhinein nur schwer unterzogen werden können: Der Sport brauche für die Unterhaltung kein elftes Team, wenn er bereits jetzt gut funktioniere. Auch sei in manchen Sessions schon jetzt zu viel Betrieb auf der Strecke.

Ein Mitspracherecht haben die zehn Teams bei der Entscheidung zwar nicht, der Rechteinhaber muss ihre Meinung vor einer Entscheidung aber anhören. Und CEO Stefano Domenicali äußerte sich noch im Sommer auf ähnliche Weise skeptisch.

 

Was sagen die Zahlen?

200 Millionen US-Dollar "Einstiegsgebühr" würden eine einmalige Zahlung von 20 Millionen für jedes der anderen Teams bedeuten. Damit sehen die zehn Rennställe ihren Verlust aber bei weitem nicht gedeckt.

Liberty Media muss jedes Jahr 45 Prozent der Einnahmen an die Teams ausschütten. Im Jahr 2022 handelte es sich um eine Summe von 1,157 Milliarden – also 115,7 Millionen pro Team. Geteilt durch elf, würden 105,2 Millionen pro Team herauskommen.

Ein Verlust pro bestehendem Team von über 10 Millionen Dollar – jedes Jahr, diverse Leistungsprämien noch nicht eingerechnet. Spätestens ab der dritten Saison wäre ein Einstieg von Andretti also ein Verlustgeschäft für die Konkurrenz.

Allerdings: Eine Wertsteigerung des gesamten Zirkus durch den Andretti-Einstieg und damit auch ein finanzieller Mehrwert, der eingebracht wird, ist in dieser Milchmädchenrechnung nicht berücksichtigt und kann nur schwer abgeschätzt werden.

Der einzige Anhaltspunkt dahingehend war der Sprung der F1-Aktie nach der Zusage durch die FIA am 2. Oktober: Sie legte im Wert um 8,7 Prozent zu.

 

Wie geht es weiter?

Der Ball liegt nun bei Liberty Media. Nach der Zulassung Andrettis durch die FIA fehlt nur mehr die Zustimmung des Rechteinhabers.

Der sich mit einer Entscheidung aber Zeit lassen kann. Womöglich mehr Zeit, als sie Andretti nach den getätigten Investitionen hat.

Bei der Überprüfung werden im Gegensatz zu jener durch die FIA – die den Fokus auf den sportlichen Aspekten hatte – die wirtschaftlichen Bedingungen geprüft. Und welchen Beitrag Andretti in diesem Bereich liefern kann.

Noch könnte die Entscheidung auch durch den Machtkampf zwischen FIA und Rechteinhaber beeinflusst werden. Wird Andretti gar zu einem Exempel, wer das letzte Wort bei solchen Dingen hat?

Sollte es zu einer Ablehnung kommen, droht gar ein Rechtsstreit. Eine EU-Richtlinie besagt, dass "einem Bewerber die Teilnahme nicht ohne nachvollziehbare Gründe verweigert werden kann". Da die Formel 1 auch zahlreiche Rennen in EU-Ländern austrägt, kein irrelevanter Aspekt.

Ein Rechtsstreit um einen Einstieg würde wohl nur Verlierer kennen.

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