Durchdachte Entscheidungen können nur gefällt werden, wenn man sich von Vorurteilen löst.

Was für die Politik oder die Gesellschaft im Allgemeinen gilt, ist natürlich auch auf Fußball-Klubs, in diesem Fall den SK Rapid, ummünzbar.

Bei den Grün-Weißen kocht die Fan-Seele schnell einmal hoch. Schon ein kleiner Funke kann zu einem Flächenbrand führen. Nach wenigen Negativerlebnissen wird alles hinterfragt: Vorstand, Mannschaft und natürlich auch der Trainer.

Noch schwieriger wird es für einen Chefbetreuer, wenn er von vornherein nie eine richtige Chance bekommen hat. Es war schon sehr verwunderlich, wie Goran Djuricin von Anfang an zum Buhmann auserkoren wurde, zur Zielscheibe enttäuschter Fans, die ihn am liebsten mit einer „One hundred and eighty“ vorzeitig versenkt hätten. Der Tenor beim Thema Vertragsverlängerung: Bloß nicht!

Doch woher rührt diese strikte Ablehnung und die fehlende Bereitschaft zur Akzeptanz des 43-jährigen Wieners, der mit Rapid zwar (heuer) nicht Meister werden wird, aber nachweisbar eine Entwicklung forcierte, das Ziel Europacup in der Tasche hat und vor allem das vergangene Seuchenjahr Schritt für Schritt vergessen ließ?

Wo wir wieder bei den Vorurteilen wären. Djuricin kam als Landesliga- bzw. Regionalliga-Trainer, gehörte dem Trainerteam des bei Rapid gescheiterten Damir Canadi an – und für viele hält diese Wahrnehmung bis zum heutigen Tag an. Vorurteile hin, Vorurteile her. „So ein Trainer ist nicht gut genug für Rapid“, „Rapid braucht einen Top-Trainer mit großem Namen“ und „So werden wir nie Meister“ sind nur einige Phrasen, die in diesem Zusammenhang gedroschen werden. Und welche die große Problematik schonungslos aufzeigen.

Nämlich, dass der Verein in der Vergangenheit lebt, vom für sich beanspruchten Rekordmeister-Titel, obwohl die hässliche Fratze der Realität seit zehn Jahren keinen Titel aufzeigt. Dass Fans trotz aller Rahmenbedingungen noch immer glauben, dass Rapid eigentlich Jahr für Jahr Meister werden müsste. Verblendet von der eigenen Wunschvorstellung. Mit „Hire and Fire“ und jährlichen Umbrüchen wird sich jedoch nie eine positive Entwicklung einstellen.

Eigentlich sollten die vergangenen zwei Jahre als abschreckendes Beispiel genügen. Drei Trainerwechsel (Barisic-Büskens, Büskens-Canadi, Canadi-Djuricin), große Investitionen und wenig Ertrag – und trotzdem wurde von vielen Seiten schon wieder ein neuer Trainer gefordert, ein neuerlicher Umbruch, um wieder von Null zu beginnen. Dass dann nach einem halben Jahr wieder Unzufriedenheit aufkommt, warum Rapid noch nicht so weit ist wie gewünscht, ist bei dieser Erwartungshaltung nur die logische Folge.

Deshalb ist das Vertrauen in Goran Djuricin und seine bevorstehende Vertragsverlängerung - das Präsidium wird diese am Montag abnicken, sofern Rapid am Sonntag nicht gegen Sturm untergeht - in der aktuellen Situation die einzig richtige Entscheidung. Rapid braucht Kontinuität wie einen Bissen Brot und „Gogo“ hat mit dem besten Punkteschnitt (46 Pflichtspiele/1,85 Punkte pro Spiel) seit Heribert Weber (1,88) die Argumente auf seiner Seite. Dazu kommt die Entwicklung einzelner Spieler, die unter ihm aufblühen. „Man braucht sich nur Schwab, Strebinger, Ljubicic oder Murg anschauen – sie sind alle besser geworden“, bestätigte Sportdirektor Fredy Bickel, der sich stets hinter Djuricin stellte, in der „Krone“ – so wie auch die Spieler. Und zudem wurde bereits das Minimalziel Europacup-Teilnahme erreicht.

Was einigen im grün-weißen Umfeld zu wenig ist. Dafür hat Djuricin Verständnis. „Ich verstehe, dass einige sagen: ’Der kämpft um Platz drei – warum soll man da verlängern?’ Es sind aber oft diese Leute, die nicht verstehen, wie groß der Rucksack war, den wir aus der Vorsaison mitgenommen haben.“

Eine, wenn nicht sogar die Hauptaufgabe in seiner bisherigen Rapid-Ära war es nämlich, eine völlig verunsicherte Mannschaft nach dem Abrutschen in den Abstiegskampf gegen Ende der Vorsaison wieder aufzubauen, sie Schritt für Schritt mental, körperlich und spielerisch wieder auf die richtige Fährte zu führen. Da es keinen On-Off-Schalter dafür gibt, waren Rückschläge einkalkuliert. Und trotzdem hat Djuricin – natürlich auch dank seiner erfahrenen Assistenten Thomas Hickersberger (seit Winter) und Martin Bernhard – den Spielwitz zurückgebracht, eine offensive Spielweise forciert und sich selbst auch in punkto System und Flexibilität weiterentwickelt.

Weiterentwicklung ist ein ganz entscheidender Faktor. Dieser Prozess betrifft auch seine öffentlichen Auftritte, mit dem Tappen in diverse Fettnäpfchen oder der Spuckaffäre hat er sich wahrlich keinen Gefallen getan und die Kritiker noch mehr gegen sich aufgebracht. Doch auch in dieser Hinsicht sollte Geduld vorherrschen. Die Bereitschaft zum Medientraining zeigt den Willen zur Veränderung – um ein würdiger Rapid-Trainer zu werden.

Die Entscheidung für Djuricin im Frühjahr 2017 war riskant, aber Risiko hat sich bei Rapid in der Vergangenheit schon ausgezahlt. Zoran Barisic wurde bei seiner Anstellung ebenso belächelt und trainierte davor nur die Rapid-Amateure in der Regionalliga. Heute weinen ihm jedoch viele Rapid-Anhänger nach. Peter Schöttel kam aus Wiener Neustadt und hat davor „nur“ den Wiener Sportklub und Rapid II trainiert. Und Peter Pacult und Josef Hickersberger wären wohl nie Meister geworden, wenn man sie nach anfänglichen Schwierigkeiten vorzeitig gefeuert hätte.

Außerdem ist das Vertrauen in den eigenen Trainer auch immer mit den vorhandenen Alternativen abzuwägen. Fans fordern oft einen Top-Trainer für Rapid. Der Wunsch ist Vater des Gedanken und die Hoffnung stirbt zuletzt, Ausnahmen gibt es schließlich immer wieder einmal, aber...

Warum sollte ein Trainer dieser Kategorie nach Hütteldorf kommen? Arsene Wenger wird seinen Job bei Arsenal nicht aufgegeben haben, um die reizvolle Aufgabe bei Rapid anzunehmen. Warum dann? Aus finanziellen Gründen? Eher unwahrscheinlich. Aus Nostalgie-Gründen aufgrund früherer Erfolge? Eher nicht. Trainer, die bereits Erfolge vorzuweisen haben, streben nach Höherem. Selbst österreichische Erfolgstrainer zieht es mehr ins Ausland. Entschließt sich dann doch der zum damaligen Zeitpunkt Beste im Lande für Rapid, gibt es auch keine Garantie, siehe Damir Canadi. Mit ehemals guten Spielern mit großem Namen ist man als Trainer ebenfalls eingefahren, Stichwort Lothar Matthäus. Fans, die große Trainer mit großem Namen fordern und gleichzeitig immer wieder Andreas Herzog oder Dietmar Kühbauer nennen, widersprechen sich selbst – denn zum großen Namen mit Rapid-Vergangenheit fehlen die großen Trainer-Erfolge. Alle aktuellen Bundesliga-Trainer, ausgenommen Salzburgs Marco Rose, würden bei Rapid wohl nicht jene Wertschätzung erfahren, die sie verdient hätten, schon gar nicht aus der Ersten Liga, obwohl es auch dort interessante Kandidaten gäbe.

Deshalb ist die Methode, sich selbst einen Trainer zu „züchten“, nicht verkehrt, wie das Beispiel Barisic gezeigt hat. Und Djuricin könnte der nächste sein, wenn ihm die nötige Zeit und das Vertrauen geschenkt wird – entgegen jeglicher Vorurteile.

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