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Jagd-Modus! Was Sturm Graz so "lästig" macht

Der Erfolg des Cupsiegers ist kein Zufall. Taktik-Experte Sargon Duran erläutert Sturms Idee des Power-Fußballs und erklärt, warum sie so gut funktioniert.

Jagd-Modus! Was Sturm Graz so

LAOLA1 freut sich, einen spannenden Neuzugang präsentieren zu dürfen!

Sargon Duran verstärkt uns als Taktik-Experte.

Der Mann weiß, wovon er spricht und schreibt. Der 36-Jährige ist UEFA-A-Lizenz-Trainer und hat schon jede Menge Erfahrung gesammelt. Er war unter Christian Ilzer Co-Trainer des FK Austria Wien, war Assistent von Irene Fuhrmann beim österreichischen Frauen-Nationalteam und arbeitete unter anderem auch schon als Co-Trainer bei der Admira und beim deutschen Zweitligist SV Sandhausen.

Euch, liebe LAOLA1-User, wird Sargon Duran in den kommenden Wochen mit Inhalten zum Thema Taktik versorgen. Ihr dürft euch auf die Beantwortung spannender Fragen freuen: Warum ist der SK Sturm unter Ilzer so gut? Was hat sich bei der Austria durch den Trainerwechsel wirklich geändert? Warum ist die Mittelfeld-Raute bei Österreichs Top-Teams derzeit en vogue?

Diese Episode dreht sich um die Stärken des frischgebackenen Cupsiegers SK Sturm Graz.


Der SK Sturm Graz hat es geschafft, das Double-Abo des FC Red Bull Salzburg zu stornieren.

Der frischgebackene ÖFB-Cup-Sieger spielt zurzeit einen sehr eindrucksvollen Power-Fußball auf sehr hohem Niveau. Mit enorm hoher Intensität im Spiel wird (fast) jeder Gegner niedergerungen.

Doch wie ist das aus taktischer Hinsicht möglich? Was zeichnet die Idee von Trainer Christian Ilzer aus?

Man denke an das erste Tor im Cup-Finale

Sturm ist eine sehr gut organisierte Mannschaft, die den Gegner im Spiel gegen den Ball ständig unter Druck setzt. Ihr aggressives Pressing macht es dem Kontrahenten sehr schwer, einen kontrollierten Spielaufbau durchzuführen.

Um ihr Pressing überspielen zu wollen, braucht es eine hohe Qualität im Spiel mit dem Ball, ansonsten wird man zum Opfer. Die Frage ist, wie viele Mannschaften zurzeit in Österreich in der Lage sind, dieses nahezu perfekte Pressing effizient überspielen zu können.

Aus diesem Grund kommt Sturm auch zu sehr vielen hohen Balleroberungen, nach denen der Weg zum gegnerischen Tor sehr kurz ist. Nachdem der Ball erobert wurde, wird der Spieler, der am nächsten zum gegnerischen Tor steht, gesucht.

"Roman Kerschbaum spielt 80 Meter vom eigenen Tor entfernt einen Fehlpass. David Schnegg fängt den Ball ab, zögert keine Sekunde und spielt den weiten Ball, Martin Moormann stellt sich gegen Emegha ungeschickt an, Sarkaria ist ideal mitgelaufen – der Rest ist Geschichte."

Sollte jedoch die Balleroberung im Mittelfelddrittel oder gar im eigenen Drittel stattfinden, kommt ihnen ihr Umschaltspiel (Konterspiel) zugute. Mit ihren schnellen Spielern wie zum Beispiel Emanuel Emegha oder Manprit Sarkaria wird jeder Ballverlust des Gegners zu einer gefährlichen Situation, da sie so schnell wie möglich den Weg zum gegnerischen Tor suchen.

Der große Vorteil im Konterspiel ist, dass der Gegner für einen kurzen Moment ungeordnet ist und er dadurch viel Raum hergibt. Wenn der Gegner keine gute Restverteidigung im Spiel mit dem Ball hat, dann wird jeder Ballverlust für die gegnerische Mannschaft sehr gefährlich.

Man denke etwa an das erste Sturm-Tor im Cup-Finale. Roman Kerschbaum spielt 80 Meter vom eigenen Tor entfernt einen Fehlpass. David Schnegg fängt den Ball ab, zögert keine Sekunde und spielt den weiten Ball, Martin Moormann stellt sich gegen Emegha ungeschickt an, Sarkaria ist ideal mitgelaufen – der Rest ist Geschichte.

Wobei die Grazer in diesem Spiel gerade nach der Pause Ballverluste von Rapid mehr als ein Mal gnadenlos ausnutzten und in eigene Top-Chancen verwandelten.

Das Schlüsselwort ist "lästig"

Im Spiel mit dem Ball versucht Sturm sehr schnell den Raum hinter der gegnerischen Abwehrlinie zu bespielen. Sobald eine Möglichkeit da ist, wird der Versuch gestartet.

Aufgrund ihrer schnellen Spitzen bringen sie die gegnerische Verteidigungslinie immer wieder in Bedrängnis. Kein Ball wird aufgegeben. Der Gegner wird zu Fehlern gezwungen, da sie 90 Minuten lang die gegnerische Abwehrlinie beschäftigen. Und sollte es nur zu einer Unachtsamkeit kommen, wird diese sofort bestraft. Als gegnerischer Abwehrspieler darfst du nicht eine Sekunde lang "abschalten" oder zu langsam im Kopf sein.

Emegha ist für seine Gegenspieler besonders unangenehm
Foto: © GEPA

An dieser Stelle denken viele vermutlich an den pfeilschnellen und für seine Gegenspieler besonders unangenehmen Emegha.

Aber von der Grundidee her sind die Namen in Sturms Offensive "quasi austauschbar". Das Schlüsselwort ist "lästig". Sturms Offensivspieler sind allesamt darauf getrimmt, lästig zu sein und eben keinen Ball aufzugeben.

Dass Sarkaria im Winter die Hinweise seiner Trainer beherzigt und einen entsprechenden Schritt gemacht hat, war für Sturm und ihn sehr wichtig.

Das Festsetzen in der gegnerischen Hälfte

Was Sturm noch enorm auszeichnet, ist das Festsetzen in der gegnerischen Hälfte. Wenn die Spieler einmal in der gegnerischen Hälfte sind, dann wollen sie dort auch bleiben.

Erstens bedeutet das, dass die Bälle sehr oft und sehr schnell in die gegnerische Box gebracht werden. Dort ist die Wahrscheinlichkeit am höchsten, ein Tor zu erzielen. Zweitens wird versucht, alle Bälle, die vom Gegner raus aus der Box befördert werden, sofort wieder zu erobern, um so in der gegnerischen Hälfte drinnen zu bleiben.

Danach wird, wenn möglich, die zweite Welle gestartet und der Ball wieder in die Box reingespielt. Um diesen Druck ausüben zu können, braucht es auch eine sehr gute Positionierung in der Restverteidigung.

Das bedeutet, dass die ballnahen Spieler sofort Druck auf den ballführenden Gegenspieler erzeugen und gleichzeitig die Verteidigungslinie sehr hoch stehen muss, um den Versuch des Gegners, sich zu befreien, zu ersticken. Gregory Wüthrich, David Affengruber & Co. fühlen sich im Vorwärts-Verteidigen sehr wohl und haben auch kein Problem damit, dass der Raum hinter ihnen sehr groß ist.

Der Umgang mit einem Fehler

Die Intensität, die wir weiter oben im Konterspiel (Umschaltphase Offensiv) erwähnt haben, gilt natürlich auch für das Gegenpressing (Umschaltphase Defensiv). Die Reaktion nach einem Fehler ist oftmals viel wichtiger als der Fehler selbst. Wie reagiert ein Spieler gleich danach?

"Bei Sturm ist es so, dass die Spieler einen Ballverlust als Riesenmöglichkeit sehen, um den Ball sofort wieder zurückzuerobern. Deswegen wird der Ballverlust sofort abgehakt und die Mannschaft geht in den Jagd-Modus."

Bei Sturm ist es so, dass die Spieler einen Ballverlust als Riesenmöglichkeit sehen, um den Ball sofort wieder zurückzuerobern. Deswegen wird der Ballverlust sofort abgehakt und die Mannschaft geht in den Jagd-Modus.

Sturm bewegt sich auf dem ganzen Feld immer als eine Einheit und dadurch ist der gesamte Mannschaftsblock nicht weit auseinander. Der Block verschiebt immer als Einheit sowohl vertikal als auch horizontal. Das bedeutet, dass immer sehr viele Spieler in Ballnähe sind.

Wird der Ball nach vorne gespielt, rückt die Verteidigungslinie sofort raus und schließt zur Stürmerlinie auf. Genauso aber auch umgekehrt. Dadurch ist der Raum für das Mittelfeld (von Abwehrlinie bis Stürmerlinie) nicht allzu groß, um die zweiten Bälle zu erobern. In beide Richtungen denkende Spieler wie Jon Gorenc Stankovic, Stefan Hierländer oder Alexander Prass setzen dies gekonnt um.

Fitness und Standards

Das alles funktioniert nur, weil die Spieler konditionell in einem sehr guten Zustand sind, denn das erfordert natürlich viel Laufarbeit. Und genau das ist auch das Problem vieler gegnerischer Mannschaften. Viele schaffen es nicht, gegen dieses sehr intensive Spiel 90 Minuten lang dagegenzuhalten.

Sollte das nicht der Fall sein, dann werden sie schonungslos von Sturm "überrollt". Das beste Beispiel ist auch hier das Cup-Finale, in dem Rapid es nur eine Halbzeit lang geschafft hat, diese Intensität im Spiel mitzugehen. Danach wurden sie von Sturm dominiert. Ihr Spiel am zweiten Ball (sowohl defensiv als auch offensiv) ist bemerkenswert.

Last but not least – die Standardsituationen: Es wird enorm viel Wert auf Standardsituationen gelegt, und das zurecht. Laut Statistik wird rund ein Drittel aller Tore durch Standards erzielt. Kein Wunder, dass Sturm laut Bundesliga-Statistik (was ruhende Bälle angeht) ganz weit oben steht.

Erstens haben sie sehr gute Schützen in den eigenen Reihen und zweitens eine gewisse Wucht, was die starken Kopfballspieler angeht. Mit vielen großen, kopfballstarken Spielern werden in der Defensive die Standards wegverteidigt und in der Offensive sorgen sie immer wieder für Gefahr.

Man muss Sturm Graz einfach für die Entwicklung der letzten Jahre gratulieren. Geschäftsführer Sport Andreas Schicker, Christian Ilzer und das ganze Team rundherum leisten sehr gute Arbeit.

Die konstante Umsetzung ist die Kunst

Ich hatte das Privileg, mit allen Beteiligten arbeiten zu dürfen, und schätze sie als Menschen sehr. Mit Andreas Schicker bei Wiener Neustadt und mit dem gesamten Trainerteam bei Austria Wien. Aus diesem Grund kann ich nur bestätigen, dass sehr akribische Leute am Werk sind, die eine ganz klare Vorstellung vom Fußball haben.

Diese klare Spielidee steht über allem und beeinflusst alles. Gemäß dieser Spielidee wird das gesamte Training aufgebaut, die richtigen Spieler gescoutet und verpflichtet, die aussagekräftigsten Daten herausgeholt, die Trainings- und Spielanalysen erstellt und vieles mehr.

Klar ist allerdings auch: Diese Idee hat Sturm nicht exklusiv. Von der Idee bis zur konstanten Umsetzung ist es allerdings ein weiterer Weg, als es sich viele wahrscheinlich vorstellen. Darin liegt die Kunst und gerade hier zeichnet sich die Qualität der sportlich Verantwortlichen aus.

Es ist bei weitem kein Zufall, dass sich Sturm zum Cupsieger gekrönt hat und noch um die Meisterschaft mitspielt. In diesem Sinne: Ehre, wem Ehre gebührt.

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Sturm-Evergreen: "Und schon wieder kein Titel SCR...!"


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