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"Kosovo war das wichtigste Spiel meiner Karriere"

Sein Horror-Jahr und seine neuen Spieler. Der U21-Teamchef im Talk:

Foto: © GEPA

Das vergangene Jahr hat Werner Gregoritsch geprägt. Der U21-Teamchef gilt aufgrund seiner Vergangenheit als Krebspatient als Teil der Corona-Risikogruppe. Außerdem erlitt der 63-Jährige im August einen Herzinfarkt.

"Das war, als ob ein Ziegel vom Dach kommt und dich trifft", sagt der Steirer im LAOLA1-Interview.

Inzwischen ist "Gregerl" wieder fit und steht vor der nächsten EM-Qualifikation mit seiner Truppe. Daheim gegen Estland (8. Juni) geht es los, auch Norwegen, Kroatien, Finnland und Aserbaidschan sind Teil der Quali-Gruppe. Zunächst steht aber ein Trainingslager in Spanien mit Testspielen gegen Saudi-Arabien (27. März) und Polen (29. März) am Programm.

Gregoritsch spricht über sein vergangenes Jahr, seine neuen Unterschiedsspieler und erzählt eine prägende Anekdote von Xaver Schlager.

"Der Herrgott hat irgendwas mit mir vor, dass er mich nicht genommen hat"

LAOLA1: Was, wenn ich Ihnen vor rund einem Jahr gesagt hätte, was in den kommenden zwölf Monaten alles passiert?

Werner Gregoritsch: Es ist unvorstellbar. Einerseits ist es unglaublich, dass mir das mit meiner schweren Krankheit passiert ist, andererseits Corona. Es ist eine Vernaderer-Gesellschaft geworden, du darfst ja gar nichts mehr machen. Die Leute stehen am Zaun und schauen, was du machst. Ich hätte nie geglaubt, dass das alles so passiert. Eine Horror-Situation.

LAOLA1: Haben sich Ihre Prioritäten verschoben?

Gregoritsch: Gesund zu bleiben, ist meine oberste Priorität. Ich will noch 20, 25 Jahre lang leben. Aber du kannst nichts ausschließen. Wer hätte gedacht, dass Corona die ganze Welt lahmlegt? Wer hätte gedacht, dass ich, der eigentlich topfit ist, einen Herzinfarkt habe? Viele meiner Freunde haben sich nach meinem Herzinfarkt untersuchen lassen – zwei haben sofort einen Stent gekriegt, einer hat einen Bypass bekommen. Wahnsinn! Was meine Familie anbelangt, haben sich die Prioritäten verändert, ich war schon immer ein Familienmensch, aber jetzt bin ich es noch mehr.

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LAOLA1: Sie hatten mit 29 Jahren nach einem Skiunfall einen Schädelbruch, mit 39 wurde bei Ihnen Krebs diagnostiziert, mit 62 Jahren hatten Sie einen Herzinfarkt. Ist das vom Gefühl her vergleichbar?

Gregoritsch: Wenn du älter wirst, bist du bei gewissen Ereignissen viel mehr mit dem Kopf dabei. Mit 29 Jahren hatte ich noch so viel vor, da habe ich das gar nicht so registriert. Alle drei Situationen waren so, dass sie wie vom Himmel gefallen sind. Ich bin sehr gläubig. Der Herrgott hat irgendwas mit mir vor, dass er mich nicht genommen hat. Ich hätte umfallen und tot sein können auch. Ich bin sehr dankbar und lebe deswegen noch disziplinierter als davor. Ich horche auch noch mehr in mich hinein.

LAOLA1: Hat es Familienmitglieder oder Freunde gegeben, die Ihnen nach dem Herzinfarkt geraten haben, ein wenig ruhiger zu treten?

Gregoritsch: Die U21-Lehrgänge im März und Juni sind ja wegen Corona ausgefallen, es war nicht auf meinen Trainerjob zurückzuführen. Beim Herzinfarkt selbst war ich in der Situation beim Tennis nicht außer Atem, ich bin ganz ruhig gestanden, es hat angefangen wie ein Seitenstechen. Ich habe dann noch zwei Bälle zurückgespielt und es ist immer ärger geworden. Da war mir bewusst, dass da irgendwas ist. Das war, als ob ein Ziegel vom Dach kommt und dich trifft. Ich lasse mich regelmäßig untersuchen, da gab es nie Anzeichen, jedes Belastungs-EKG war top. Und noch was…

LAOLA1: Was denn?

Gregoritsch: Ich hatte seit Februar acht Kilo abgenommen. Weil ich als Risikopatient gelte, wollte ich mir durch Training so ein Immunsystem aufbauen, das gut dagegenarbeitet, sollte ich Corona bekommen. Mein Bruder ist zehn Jahre älter als ich, der hatte im November Corona und ist vier Wochen auf der Intensivstation gelegen, war im künstlichen Tiefschlaf, ist fast daran gestorben. Das war ganz schlimm.

Werner Gregoritsch am Stammtisch bei Andy Ogris:

(Interview wird unter dem Video fortgesetzt)

LAOLA1: Wie war dann die Rückkehr zum U21-Team?

Gregoritsch: Das Kosovo-Spiel war das wichtigste Spiel meiner Karriere. Wenn ich dort Probleme bekommen hätte, hätte ich wahrscheinlich aufgehört.

"Yusuf Demir will ich gar nicht zu viel loben, er soll einfach unbekümmert Fußball spielen"

LAOLA1: Es gibt wieder eine neue U21-Generation. Sie müssen wieder Aufbauarbeit leisten, es müssen sich neue Hierarchien bilden. Wie ist Ihr erster Eindruck?

Gregoritsch: Sehr positiv! Es kristallisieren sich Unterschiedsspieler heraus. Das brauchst du, um in einer Quali-Gruppe um die ersten zwei Plätze mitzuspielen.

LAOLA1: Wer sind diese Unterschiedsspieler?

Gregoritsch: Es gibt einige, die es werden können. Ich halte Tobias Lawal für einen ausgezeichneten Goalie, er kann den Unterschied machen. Auch Spieler, die bereits im Ausland spielen, spielen eine gute Rolle – Christoph Klarer von Düsseldorf ist sehr weit für sein Alter, David Nemeth, der von Mainz an Sturm verliehen ist, ist sehr gut. Flavius Daniliuc zeigt bei Nizza in der Ligue 1 auf. Romano Schmid wird seinem Ruf gerecht, dass er eine Ausnahmeerscheinung sein kann. Über Yusuf Demir brauchen wir gar nicht viel sprechen. Ihn will ich gar nicht zu viel loben, er soll einfach unbekümmert Fußball spielen. Matthäus Taferner ist ein sehr vielseitiger Spieler. Nicolas Seiwald hat große Qualität. Junior Adamu kann sich sehr gut entwickeln.

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LAOLA1: Die Offensivreihe hat eine Durchschnittsgröße von weit unter 1,80 Meter…

Gregoritsch: Das war beim FC Barcelona zu den besten Zeiten auch so.

LAOLA1: Aber Sie haben gerne einen großen Stürmer drinnen.

Gregoritsch: Adamu ist ja nicht klein. Mir gefällt Martin Krienzer von Lafnitz gut.

LAOLA1: Ihr erster Jahrgang als U21-Teamchef war 1990, jetzt sind sie bei 2002 angelangt. Merken Sie da einen großen Unterschied?

Gregoritsch: Alles ist noch professioneller geworden. Die Ausbildung bringt sehr viel weiter, limitiert aber auch. Die Typen sind inzwischen fast alle gleich. Du brauchst Führungsspieler, normalerweise dauert es ein halbes Jahr, bis sich das herauskristallisiert. Aber so viel Zeit hast du ja gar nicht.

LAOLA1: Vom Gefühl her sind die jungen Spieler wesentlich reifer als vor zehn Jahren. Erleben Sie das auch so?

Gregoritsch: Sie müssen fokussierter sein, sonst haben sie keine Chance. Als 1990er-Jahrgang warst du als junger Spieler eine Ausnahmeerscheinung, damals habe ich zum Teil noch Spieler aus der Regionalliga geholt. Heute ist das undenkbar. Generell kannst du von den Spielern heute viel mehr voraussetzen, vor allem im taktischen Bereich. Mit Talent allein hast du keine Chance mehr, du musst Spielintelligenz mitbringen. Nur schnell zu laufen reicht nicht, du musst wissen, wann du wohin läufst. Und die Mentalität…

"Ich habe sie weiterspielen lassen, damit er auch mal sieht, wo die Grenzen sind. Was war? Die haben die Partie gewonnen!"

LAOLA1: Was ist damit?

Gregoritsch: Sie ist noch entscheidender. Früher hattest du 50 Prozent Talent, 30 Prozent Physis und 20 Prozent Mentalität. Heute hast du mindestens 40 Prozent Mentalität. Schau dir mal Konrad Laimer und Xaver Schlager an. Die Burschen haben so einen Hunger nach Erfolg und Leistung. Das sind richtige Maschinen. Schlager war eines der prägendsten Beispiele der letzten Jahre in Sachen Mentalität. Ich kann da gerne eine Geschichte erzählen.

LAOLA1: Nur zu!

Gregoritsch: Wir hatten im September 2016 ein Auswärtsspiel in Finnland. Nach dem Match haben wir ein Ersatztraining gemacht, auf einer Kuhwiese, da hatten wir keinen vernünftigen Platz, wir haben auf Fünf-Meter-Tore Vier gegen Vier mit Torleuten gespielt, drei Mal vier Minuten. Es ist 2:0 für die andere Mannschaft gestanden, als sich bei Schlagers Truppe einer verletzt hat. Ich sag: „Brechen wir ab, auslaufen.“ Schlager kommt zu mir und sagt: „Trainer, wir wollen weiterspielen.“ Ich so: „Was willst du da weiterspielen? Ihr seid 0:2 hinten und nur zu dritt.“ Er sagt: „Wir gewinnen das.“ Ich habe sie weiterspielen lassen, damit er auch mal sieht, wo die Grenzen sind. Was war? Die haben die Partie gewonnen! Schlager ist gerannt wie ein Tier! Nach den zweiten vier Minuten stand es 3:3, nach den letzten vier Minuten hatten sie gewonnen. Ich habe zu meinem Co-Trainer nur gesagt: „Wenn der keiner wird, geb‘ ich den Trainerjob ab.“ Unvorstellbar!

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