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Nachwuchs-Revolution: Mehr Bälle für die Kinder

Der ÖFB krempelt den Kinder-Fußball völlig um.

Nachwuchs-Revolution: Mehr Bälle für die Kinder Foto: © GEPA

Am Anfang stehen eher erschreckende Zahlen. 60,9 Prozent aller österreichischen FußballerInnen hören vor ihrem 18. Geburtstag wieder auf zu kicken. 25,9 Prozent geben den Sport nur ein Jahr, nachdem sie damit angefangen haben, schon wieder auf.

"Wir verlieren nicht nur Talente, sondern auch Menschen, die längerfristig als Trainer oder Funktionäre tätig sind", sagt Stefan Gogg, Leiter der Abteilung Breitenfußball im ÖFB.

Der ÖFB hat diesen Umstand zum Anlass genommen, um den Kinderfußball auf völlig neue Beine zu stellen. Der Fußball für Kinder bis zur U13 wird sich ab dem Sommer grundlegend ändern. Man kann getrost von einer kleinen Revolution sprechen.

Es sei ein "ganzheitlicher Ansatz", betont Gogg, ein "eigener, österreichischer Weg, keine Kopie". Über alle Bundesländer hinweg wird nach neuen Regeln gespielt.

Das Ziel ist, dass die Kinder mehr in die Spiele involviert sind, mehr Ballaktionen und dadurch mehr Erfolgserlebnisse haben. Das wiederum soll den Spaß steigern. Der Weg dorthin: Kleinere Spielfelder, weniger Spieler pro Feld. Und bei den Kleinsten bis inklusive U8 auch mehr Tore. Durch insgesamt vier Tore am Feld sollen die kognitiven Fähigkeiten und die Entscheidungsfindung schon früh verbessert werden.

In der U8 spielen künftig etwa drei Spieler pro Team auf einem Feld in der Größe von 25x20 Metern auf vier 120cm x 75 cm kleine Tore. In der U9 und U10 sind es dann nur noch zwei Tore und fünf Spieler pro Team. In der U11 und U12 jeweils sieben Kicker, in der U13 neun Spieler. Ab der U14 wird dann mit elf Spielern pro Team gekickt.

Zudem werden bis inkl. U12 keine Tabellen mehr geführt, dafür bis inkl. U10 auf Turnierformen gesetzt.

Alle neuen Regeln im Detail:

(Unter den Grafiken gibt es das Interview mit Stefan Gogg, der die Details und Beweggründe erläutert)


Foto: © GEPA

LAOLA1: Warum besteht die Notwendigkeit, in diesem Bereich etwas zu tun?

Stefan Gogg: Es gibt Entwicklungen, die nicht in unserem Sinne sind. Wir verlieren SpielerInnen, haben einen Mangel an TrainerInnen und eine Funktionärs-Problematik. Durch Corona sind die Vereine verstärkt mit diesen Themen konfrontiert. Dafür wollten wir Lösungen finden. Möglichst eine Lösung, die all diese Themen bedient. Unser Interesse ist, dass die Vereine stark bleiben.

LAOLA1: Wie hat der Weg zu dieser Lösung ausgesehen?

Gogg: Wir haben eine Arbeitsgruppe mit Leuten aus verschiedensten Bereichen gebildet. Da ist etwa Walter Hörmann als Sportdirektor des steirischen Fußballverbands drinnen, auch Hannes Bratschko, Sportdirektor des niederösterreichischen Fußballverbands ist dabei. Und auch Experten aus vielen anderen Bereichen sind dabei. Es ging darum: Wir haben ein Gefühl und wollen zu einem faktenbasierten Weg kommen. Letztlich haben alle sportlich Verantwortlichen vom ersten Moment an gesagt: „Zeit wird’s! Das ist genau das, was wir brauchen!“ Organisatorisch ist das natürlich eine Herausforderung, speziell im urbanen Bereich. Es bedeutet mehr Aufwand, wir brauchen mehr Spielfelder und mehr Trainer. Im Prinzip stehen aber alle dahinter.

LAOLA1: Wie groß sind die Bedenken, dass irgendwelche alteingesessenen Nachwuchstrainer sagen: „Wozu brauchen wir das überhaupt!?“

Gogg: Das sind keine Bedenken, es ist ein Fakt, dass wir diese Erfahrung gerade machen. Unsere Aufgabe mit den Landesverbänden ist, über Workshops mit Nachwuchsleitern und Vereinen alle auf die Reise mitzunehmen. Es hat uns geholfen, zu sehen, dass es Fakten gibt, die wir nicht einfach wegwischen können. Wir glauben nicht, dass wir es besser machen, wir wissen, dass wir es besser machen werden. Die Situation wird besser werden. Wir machen das nicht zum Selbstzweck, um mal etwas Neues zu machen, wir machen das für die Kinder. Jeder Nachwuchsleiter und Trainer macht es ja auch, um den Kindern Spaß und Freude zu vermitteln. Wir wissen, dass wir das mit diesen neuen Wettbewerbsformen schaffen. Aber natürlich wird es Leute geben, die dem kritisch gegenüberstehen werden.

LAOLA1: Kann man zusammenfassend sagen, dass für die Kinder die Spielfelder und Teams kleiner werden, dadurch die Teilhabe am Spiel größer wird?

Gogg: Das Letzte definitiv! Jedes Kind wird mehr am Spiel teilnehmen wie vorher. Eines möchte ich auch aufklären: Die Reduktion der Spieleranzahl bedeutet nicht, dass wir Kinder dadurch ausschließen. Es wird passieren, dass aufgrund der geringeren Spieleranzahl ein Verein eine zweite oder dritte Mannschaft, beispielsweise in der U8, melden kann. Dadurch wird das Leistungsniveau homogener, wir kommen von Ergebnissen wie 32:0 oder 14:1 weg. SpielerInnen mit einem höheren Leistungsniveau können gegeneinander antreten und die, die gerade erst mit dem Fußball angefangen haben, können gegeneinander spielen. Wir reduzieren die Spieleranzahl zwar auf einem Spielfeld, lassen aber insgesamt mehr Kinder am Spiel teilnehmen und schaffen ein ausgeglicheneres Niveau. Jetzt gibt es teilweise Kinder, die am Wochenende gar nicht zu Spielen mitgenommen werden oder nicht eingesetzt werden, weil sie nicht gut genug sind.

LAOLA1: Es gibt keine Tabellen und keine Ergebnisse mehr. Es wird Leute geben, die argumentieren, dass die Kinder einen Wettbewerbsgedanken brauchen.

Gogg: Dieses Missverständnis möchte ich aufklären: Dass es keine Tabellen mehr gibt, bedeutet nicht, dass es keine Ergebnisse mehr gibt. Es gibt weiterhin Gewinner und Verlierer bei den Spielen. Das ist für die Kinder wichtig und notwendig. Wir haben die Möglichkeit, sehr viel über Turnierformate zu spielen. Wir nehmen die Tabellen raus, ersetzen aber nicht das Gewinnen und Verlieren.

LAOLA1: Wie viele Spielaktionen mehr haben die Kinder durch diese Änderungen?

Gogg: Nehmen wir die U8 als Beispiel. In der neuen Wettbewerbsform wird ein Kind drei Mal so viele Dribblings haben als zuvor. In diesem Alter ist es der relevanteste Parameter, zu dribbeln. Das ist nur der Effekt am Wochenende. Aber unter der Woche werden die Trainer ja auch noch das trainieren, was wir am Wochenende spielen. Dieser Effekt vervielfacht sich also. Wir sagen derzeit alle: Uns fehlen Straßenfußballer, kreative Spieler, Dribbler. Ich will nicht sagen, dass das des Rätsels Lösung ist, aber alleine dadurch, dass die Kinder in der Woche 15 Mal mehr in Eins-gegen-Eins-Situationen kommen werden, sehen wir in einigen Jahren vielleicht den einen oder anderen kreativen Spieler in der Spitze mehr.

LAOLA1: Der Ausgangspunkt der Reform war auch die Drop-Out-Quote. Was ist das konkrete Ziel?

Gogg: Am liebsten wäre uns, dass überhaupt keiner mehr rausfällt. (grinst) Aber wir wissen, dass die Gründe, warum jemand mit dem Fußball aufhört, vielseitig sind. Wenn wir es schaffen, die Entwicklung, die auch durch Covid zuletzt gestiegen ist, zu stoppen, haben wir schon massiv gewonnen. Wir haben in der U7 und U8 einen riesigen Zulauf, sehr viele Neuanmeldungen. Genau denen, die jetzt dazukommen, wollen wir ein Umfeld bieten, in dem sie großen Spaß haben und dabei bleiben.



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