Als Tormann haben sie ihm nachgesagt, Magnete in den Handschuhen zu haben, weil die Bälle immer dort landeten, wo er schon stand. Als kasachischer Teamchef spielt er am Donnerstag in der UEFA Nations League gegen das ÖFB-Team.
"Leider nicht in Innsbruck, schade", findet Tschertschessow. Über 200 Mal stand der Mann mit dem markanten Schnauzbart im Tor der Tiroler. Auch heute zieht es ihn immer wieder in Heilige Land.
Lachend erzählt er: "Ich war im Sommer in Tirol und dort bei einem Training. Kein Spieler hat mich gekannt. Dann habe ich ihnen erzählt, dass ich mit diesem Verein im Europacup gegen Fiorentina gewonnen und den Spatenstich fürs Stadion gemacht habe. Dieses Innsbrucker Stadion muss wieder richtigen Fußball erleben, der FC Wacker muss wieder dorthin, wo er hingehört."
Ein Remis gegen Norwegen wird nicht bejubelt
Diesmal sei er aber eben nicht auf Urlaub hier in Österreich. "Ich habe einen wichtigen Job zu erledigen!" Erst im August übernahm er die Kasachen. Im ersten Spiel überraschte sein Team mit einem 0:0 gegen Norwegen.
Er erinnert sich: "Ich habe die Mannschaft zwei Tage vor dem Spiel zum ersten Mal gesehen. Da musst du einen Spagat auf alle Seiten machen. Und dann geht es mit Haaland gegen den besten Torschützen der Welt."
Grund genug, um mit dem Remis hochzufrieden zu sein, könnte man meinen. Weit gefehlt. "Mit verlorenen Punkten kannst du nie zufrieden sein. Zufrieden kannst du sein, wenn du letztendlich etwas feierst. Ich habe mich nie nach jedem Spiel, das wir gewonnen haben, gefreut. Wichtig ist, ob du am Ende den Pokal oder die Goldmedaille holst. Dann kannst du feiern", erklärt der Coach.
"Meine Frau hatte endlich mal einen Mann daheim, meine Kinder einen Papa, mein Enkel einen Opa. Ich habe die Wohnung renoviert. Ich habe nie sofort den nächsten Verein übernommen, wenn ich irgendwo weg bin. Du musst nach jeder Station erstmal den Kopf freikriegen, analysieren", sagt er.
Das Angebot der Kasachen kam ihm dann gerade recht. "Ich wollte wieder einen Verein oder ein Nationalteam mit meiner Muttersprache übernehmen. Bei Ferencvaros waren 20 verschiedene Nationalitäten in der Kabine. Ich kann auf Spieler in Russisch mit einem Wort Einfluss nehmen, auf Englisch muss ich eine ganze Geschichte erzählen und schaffe es trotzdem nicht. Das kostet Energie." Als er das erzählt, streut er ein paar Sätze in astreinem Englisch ein.
Anfragen aus Österreich habe es in letzter Zeit keine gegeben. Die Entscheidungsträger hierzulande würden glauben, er wäre viel zu teuer. "Aber sie müssen doch nur mit mir reden", meint er.
"Red Bull hat das ja nicht erfunden"
Was hierzulande passiert, verfolgt der Russe immer noch mit Interesse. Dass Red Bull irgendwann so erfolgreich sein werde, habe er beim Einstieg schon geahnt. Dass es nicht von heute auf morgen gehe, aber auch.
Doch wie steht Tschertschessow zum Red-Bull-Fußball? "Red Bull hat das ja nicht erfunden, das ist der moderne Fußball. Beim Pressing geht es um die Physis. Aber wenn du den Ball gewinnst, musst du damit etwas machen. Da brauchst du Spieler, die Intellekt und die Technik haben. Nur Pressing kann ein Leichtathlet auch spielen. Ohne Ball ist das eine andere Sportart", meint er.
Von Ralf Rangnick spricht er nur in höchsten Tönen. Das erste Aufeinandertreffen fand im Februar 1999 statt, Tschertschessow stand im Tor des FC Tirol, Rangnick trainierte den SSV Ulm. Das Testspiel endete mit einem 2:0-Sieg der Innsbrucker.
Der Mann hat wirklich schon alles erlebt...