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De Jong: Ein Revolutionär für Barca

Barcas Neuzugang soll nicht nur der neue Cruyff sein, sondern den Fußball verändern.

De Jong: Ein Revolutionär für Barca Foto: © getty

Jetzt ist es passiert. Das, worauf Fans des FC Barcelona seit Monaten gewartet haben. Das am schlechtesten gehütete Geheimnis des internationalen Tranfermarkts wurde von den Katalanen endlich gelüftet: Frenkie de Jong wechselt im Sommer zu den „Blaugrana“.

Der 21-Jährige unterschreibt für fünf Jahre. Fast 90 Millionen Euro soll sich Barca den Wechsel kosten lassen. Es wäre eine Überraschung, wäre das Geld nicht gut investiert.

Bis zuletzt haben andere Top-Klubs wie Manchester City, der FC Bayern und Paris St. Germain um die Dienste des Ajax-Juwels gebuhlt. Vergeblich. Denn der Wechsel nach Katalonien ist und war stets der logische nächste Schritt eines jungen Mannes, dem nicht weniger zugetraut wird, als den Fußball zumindest ein klein wenig zu revolutionieren.

Der neue Cruyff

In einer Zeit, in der der niederländische Fußball – abgesehen von den jüngst guten Leistungen in der Nations League – auf Nationalteam-Ebene am Boden liegt, ist de Jong die Rolle des Heilsbringers zugedacht. Keine EURO 2016, keine WM 2018, die „Elftal“ hat zuletzt einen beispiellosen Niedergang erlebt.

Das soll sich schleunigst ändern. Denn in den vergangenen eineinhalb Jahren hat sich ein schmächtiger Blondschopf mit seiner unkonventionellen Art in die Herzen der Niederländer gespielt. Er soll der neue Johan Cruyff sein, die Zukunft des niederländischen Fußballs.

"Er ist eine bessere Version von Franz Beckenbauer"

Ari Haan

Bis dato scheint de Jong diesen Rucksack mit einer Leichtigkeit zu tragen, mit der er auch den Ball durchs Mittelfeld trägt. Vergleiche mit den ganz Großen hat er mittlerweile zuhauf gehört. „Er ist eine bessere Version von Franz Beckenbauer“, hat Arie Haan einmal gesagt. Und der frühere Holland-Star ist für gewöhnlich keiner, der Jungstars so mir nichts, dir nichts in den Himmel lobt.

Das Ego so manches jungen Fußballers würde angesichts derartiger Aussagen fast platzen. Doch de Jong scheint damit umgehen zu können, gibt sich in der Öffentlichkeit stets bescheiden.

Dem „Guardian“ erklärte er zu den Cruyff-Vergleichen einmal: „Ich fühle mich geehrt, aber ich denke nicht, dass man uns vergleichen kann. Er war so viel besser als ich. Er hatte so viel Qualität. Ich werde dieses Level niemals erreichen. Ich vergleiche mich nicht mit Cruyff. Und ich denke, die Leute, die das tun, wollen mich auch nicht mit ihm vergleichen – sie sehen nur Ähnlichkeiten, aber nicht dieselben Qualitäten.“

Doch was macht den Jungen aus dem 3.600-Einwohner-Dorf Arkel im Süden des Landes so besonders? Und warum hat er trotz seines unglaublichen Könnens erst mit 20 Jahren den Durchbruch in der Eredivisie, in der Spieler im Alter von 16, 17 oder 18 Jahren keine Seltenheit sind, geschafft?

Kurioserweise hat das eine mit dem anderen zu tun. Die Spielweise de Jongs ist einzigartig. Das Prädikat „abenteuerlich“ trifft es wohl ganz gut. Der Youngster spielt das, was die meisten Profi-Trainer ihren herausragenden Talenten am liebsten erst mal austreiben, ehe sie sie im Erwachsenen-Fußball reüssieren lassen.

Das positionslose Supertalent

Die Sache ist nur die: De Jong ist in der Lage, sein Spiel auch auf höchster Ebene durchzuziehen. Er scheut kein Dribbling, lässt Gegner gerne wie Fahnenstangen stehen, setzt auch als letzter Mann schon mal zum Solo an.

Als letzter Mann? Ja, tatsächlich. Was genau Barca mit de Jong verpflichtet hat, lässt sich nämlich nicht so einfach sagen. Der Shootingstar ist Innenverteidiger, Sechser, Achter und Zehner. Alles ein bisschen, aber nichts so richtig. Das positionslose Supertalent.

Schon früh war klar, dass er besser Fußballspielen kann als die meisten seines Alters. Obwohl die Familie aus Feyenoord-Anhängern besteht, hat sich der kleine Frenkie als Siebenjähriger einst gegen die  Nachwuchs-Abteilung in Rotterdam und für jene von Willem II entschieden.

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(Artikel wird unter dem Video fortgesetzt)

Dort feierte er im Mai 2015 kurz vor seinem 18. Geburtstag auch sein Debüt in der Eredivisie. Kurz darauf schlug Ajax zu. Die Amsterdamer überwiesen einen läppischen Euro und schickten im Gegenzug vier Nachwuchsspieler nach Nordbrabant.

Was zunächst wie ein schlechter Deal aussieht, lässt Willem II nun jubeln. Der Klub hat sich nämlich eine Weiterverkaufsbeteiligung von zehn Prozent gesichert, ist nun mit einem Schlag schuldenfrei.

De Jong verbrachte jedenfalls noch eine Saison leihweise bei seinem Stammklub, kam dort in der Profimannschaft aber nur zu einem weiteren Einsatz. 2016/17 war sein Alltag in der Hauptstadt dann von Einsätzen in der zweiten Mannschaft von Ajax geprägt, vier Mal durfte er in der höchsten Spielklasse ran. In Ajax gilt das Motto: "Einfach spielen." Ein, zwei Ballberührungen und dann der sichere Pass, um den Ballbesitz nicht zu gefährden.

Der Durchbruch und die Überraschung

2017 gelang ihm dann der Durchbruch. Zunächst ließ Coach Marcel Keizer den Blondschopf im zentralen Mittelfeld auflaufen, aber auch nicht mit der Regelmäßigkeit, die sich die Fans, die bereits Wind vom grandiosen Talent bekommen hatten, das vielleicht gewünscht hatten.

Foto: © GEPA

Ende November mühte sich Ajax daheim gegen Roda, zur Pause stand es nur 1:1, de Jong wurde eingewechselt und war mit einer Glanzleistung und drei Assists hauptverantwortlich für den 5:1-Sieg. Alle waren sich sicher: Ab jetzt kommt Keizer nicht mehr an de Jong vorbei.

Eine Woche später trauten Experten und Fans ihren Augen kaum, als der Matchwinner zwar in der Startelf, allerdings in der Innenverteidigung aufgeboten wurde. In den darauffolgenden Monaten war der Spielaufbau Ajax‘ von der intuitiven Spielweise de Jongs geprägt.

"Er lehrt uns gerade Fußball neu zu denken"

Der Youngster agierte nie als klassischer Innenverteidiger, ließ sich in keines der gängigen Schemen pressen. Jens Schuster, Co-Trainer von Hoffenheims U19, erklärte es so: „Frenkie de Jong lehrt uns in einer gewissen Art und Weise gerade Fußball neu zu denken. Man sollte eine eigene Position für diesen Jungen definieren, abseits aller herkömmlichen Schemen wie 4-3-3, 3-4-3 oder sonst irgendetwas Althergebrachtem… in Anlehnung an American Football würde es wohl Dual-Threat Quarterback am ehesten treffen.“

Im Football ist ein Dual-Threat Quarterback ein Spieler, der den Ball nicht nur passen kann, sondern mittels Läufen auch selbst für Raumgewinn sorgt.

"Die Leute sagen, ich nehme viel Risiko. Aber ich denke nicht, dass ich das tue, weil ich den Ball nur selten verliere"

Frenkie de Jong

Fakt ist, wer den kommenden Barca-Kicker schon mal am Feld erlebt hat, weiß, welch Spektakel er ist. Spektakel nicht im Sinne eines Neymars. De Jong ist kein Spieler, der mit 47 Übersteigern und drei Gurkerl einen Gegner austanzt, das Spiel dadurch aber in Wahrheit keinen Zentimeter weiterbringt. Vielmehr muss man das Unerwartete erwarten, wenn er am Ball ist.

De Jong versucht, Linien zu brechen und Überzahlsituationen zu schaffen. Sicherheitspässe sind seine Sache nicht, er nimmt Risiko. Und dabei sieht alles so einfach aus. Eine kurze Körpertäuschung, ein Tempowechsel und schon haben zwei, drei Gegenspieler das Nachsehen. Und dann kommt, was viele Dribblanskis nicht können, der richtige Pass zur richtigen Zeit.

„Die Leute sagen, ich nehme viel Risiko. Aber ich denke nicht, dass ich das tue, weil ich den Ball nur selten verliere“, hält der 21-Jährige seinen Kritikern entgegen. Und er hat damit Recht. Ein Blick auf die Statistik zeigt: In der laufenden Saison hat der Ajax-Kicker in der Meisterschaft 92,2 Prozent seiner Pässe an den Mann gebracht, in der Champions League waren es 89,8 Prozent. 0,7 (Eredivisie) bzw. 0,8 (UCL) Mal pro Spiel verliert er den Ball.

Intuition und Antizipation

Es hat den Anschein, als ob de Jong stets die richtigen Entscheidungen treffen würde. „ Meine Qualität ist meine Intuition. Soll ich das ignorieren? Dann wäre ich nur ein Spieler unter Tausenden in meinem Alter. Die meisten guten Spieler agieren nach Intuition. Manchmal plane ich, schaue, wer frei ist. Aber manchmal ändert sich dann die Situation und dann muss ich reagieren und mich auf mein Gefühl verlassen“, sagt er.

Foto: © getty

Man könnte es auch Antizipationsgabe nennen. Denn trotz seiner körperlich nicht gerade idealen Voraussetzungen ist der Niederländer auch in der Defensive seinen Kollegen eine große Hilfe. Die Balance zwischen Herausrücken aus der Linie und Abwarten in der Formation findet de Jong meist problemlos.

In der laufenden Saison stellt der Jungstar seine erstaunlichen Qualitäten am Papier wieder als Mittelfeldspieler unter Beweis. Schon während seiner Zeit als Abwehrspieler erklärte er: „Ich sehe das als kurzfristiges Experiment. Ich will nicht meine gesamte Karriere als Innenverteidiger verbringen.“

So sieht es auch Teamchef Ronald Koeman, der de Jong im September zu seinem Länderspiel-Debüt verhalf und ihn in den bisherigen fünf Partien stets in der Mittelfeld-Zentrale einsetzte. Mit dem „neuen Cruyff“ in der Startelf hat die „Elftal“ seither Weltmeister Frankreich und Deutschland jeweils zu Null besiegt.

Nicht zuletzt deshalb sind die Erwartungen der niederländischen Fans klar: Frenkie de Jong soll ihren Fußball zurück an die Weltspitze führen. Und das Spiel dabei auch noch ein klein wenig revolutionieren. Wenn’s weiter nichts ist…

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