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Juve-Coach Sarri: "Die Geister, die er rief"

Der Schlager Juventus gegen Napoli steht unter besonderen Vorzeichen.

Juve-Coach Sarri: Foto: © getty

Sonntag, 24. April 2018. Es ist die 34. Runde der Serie-A-Saison, der Titelkampf zwischen Serienmeister Juventus und Verfolger Napoli spitzt sich an diesem Tag zu. Als Kalidou Koulibaly in der 90. Minute einen Kopfball im Turiner Kasten versenkt, verstummt das Juventus Stadium. 889 Kilometer weiter südlich hingegen gibt es eine Jubel-Explosion, die sogar dazu führt, dass Erschütterungen in Erdbebenstärke gemessen werden.

Mit diesem Sieg verkürzt Napoli den Rückstand auf die "Bianconeri" auf einen Zähler, der erste Scudetto seit 1990 scheint greifbar. Auf der Bank der Neapolitaner sitzt damals Maurizio Sarri. Er wird von den Fans verehrt, stammt aus der Region Kampanien, in der auch Neapel liegt.

In der Woche nach dem Sieg von Turin verliert Napoli 0:3 in Florenz, der Traum vom Scudetto platzt. Sarri wechselt über den Umweg FC Chelsea ausgerechnet zu Juve - und empfängt am Samstag (20:45 Uhr, live DAZN und LIVE-Ticker) seine alte Liebe Napoli.

"Sarri-Ball"

Für Sarri selbst ist es eine Reise in die eigene Vergangenheit. Noch immer steckt in Napoli, das mittlerweile von Star-Trainer Carlo Ancelotti betreut wird, viel von seiner Spielidee. Der sogenannte "Sarri-Ball", also jener offensive Spielstil, den Napoli unter dem 60-Jährigen praktizierte, ist noch heute in den Köpfen der Spieler fest verankert.

Sarris Spielidee basiert auf Ballbesitz, auf ständiger Kontrolle des Geschehens aus einem 4-3-3 heraus. Überraschende Momente oder Konter gibt es selten, dafür sind die Spieler, die Sarri für sein System aufstellt, auch nicht prädestiniert. 

Bei Napoli bildeten Marek Hamsik, Jorginho und Allan das Dreier-Mittelfeld. Alles Spieler, die mehr für Ballsicherheit als für Tempo stehen. Auch bei seiner ersten Juve-Aufstellung in Parma setzte er in der Mittelfeldzentrale auf Erfahrung, bot mit Pjanic, Khedira und Matuidi passstarke, aber eher langsame Spieler auf.

In der Premier League war Sarris Art Fußball spielen zu lassen nicht von Erfolg geprägt. Vielleicht lag es an den Spielern, die er beim FC Chelsea zur Verfügung hatte, möglicherweise auch an der eigenen Sturheit, nicht von der Grundidee abzuweichen. Der Fußball in England und Italien unterscheidet sich doch grundsätzlich. Nach nur einer Saison, in der die "Blues" immerhin die Europa League gewinnen konnten, schienen beide Seiten glücklich zu sein, die Zusammenarbeit zu beenden.

Bei Juventus will der bekennende Kettenraucher, der eigenen Angaben zufolge auf rund 60 Stück pro Tag kommt, seine Idee nun endlich mit seinem ersten Meistertitel küren. Auch unter seinem Vorgänger Massimiliano Allegri trat Juve dominant auf, zeigte aber in den Ballbesitzphasen etwas mehr Risikobereitschaft. Zudem galten die Flügel unter Allegri als Geheimwaffe, bei Sarri läuft im letzten Drittel nicht mehr viel über die Außen.



Juves Mega-Kader

Während bei Vize-Meister Napoli am Kader wenig Veränderung vorgenommen wurde, könnte Meister Juve locker eine Elf für die Liga und eine für die Champions League melden. Ein Qualitätsabfall wäre kaum spürbar.

Pure Erfahrung schickte Sarri zum Saisonauftakt in Parma auf das Feld. 28,18 Jahre war dieses Team im Schnitt alt. Ebenfalls auffällig, dass es kein einziger Neuzugang in die Anfangsformation geschafft hat.

Nach acht Meistertiteln in Folge ist die Champions League das große Ziel der "Alten Dame". Für viele dieser Spieler wird es wohl auch die letzte Chance auf die europäische Krone sein. Trotzdem hat der Juve-Kader enorme Ausmaße und könnte für Sarri noch zum Problem werden.

Der 60-Jährige ist bekannt dafür, dass er einer festen Stammelf vertraut. Allerdings war die Belastung bei Napoli damals nicht ganz so groß, wie sie Juve wohl zu erwarten hat. Da der Trainer aber selbst als nicht immer einfacher Charakter gilt, könnte es noch zu Härtefällen kommen. Immerhin bezeichnete Sarri selbst die Transferpolitk seines Klubs als "verrückt".

Die Fußballwelt staunte nicht schlecht über Juves Elf aus Spielern, die in der ersten Runde auf der Bank Platz nehmen mussten oder nicht einmal im Kader standen. Diese Truppe ist mit 26,27 Jahren wesentlich jünger, wobei Gigi Buffon mit 41 Jahren den Schnitt deutlich anhebt.

Besonders im Mittelfeld hat Sarri die Qual der Wahl. Ihm stehen gleich sieben Akteure für drei Plätze zur Verfügung. Durchaus möglich, dass sich bis zum Ende der Transferzeit noch etwas tut beim Serienmeister.

Immer wieder mit einem Wechsel in Verbindung gebracht wurde über den Sommer Paulo Dybala. Der Argentinier steht bei vielen Klubs zwar hoch im Kurs, konkrete Gespräche hat es aber wohl mit keinem Interessenten gegeben.

 

Viel Zündstoff

Sportlich duellieren sich Juventus und Napoli bereits seit Jahren. An der großen Vorherrschaft der "Alten Dame" konnten die Neapolitaner aber trotz begeisternder Spielweise nichts ändern. Logisch also, dass die Rivalität zwischen beiden Vereinen groß ist.

So war das Entsetzen bei den Tifosi am Vesuv groß, als bekannt wurde, dass ausgerechnet "ihr Maurizio" künftig das verhasste Juventus trainieren wird. Er, der sich mit Napoli aufmachte, Juve vom Thron zu stoßen, hat die Seiten gewechselt.

Was das bedeutet, musste auch Napolis einstiger Fan-Liebling Gonzalo Higuain spüren. Satte 90 Millionen Euro überwiesen die "Bianconeri" 2016 nach Neapel. Den Stellenwert, und das Niveau, dass er bei den "Azzurri" hatte, erreichte der Argentinier seither nie mehr.

Und wäre das nicht schon Zündstoff genug, wollte Juventus ein Verbot für in Kampanien geborene Italiener für die Partie durchsetzen. Von diesem Vorhaben nahm der Klub dann wieder Abstand. Neapolitaner dürfen das Spiel besuchen, allerdings nur, wenn sie nicht mehr in ihrer Heimatregion leben. Der Hintergrund liegt im ständigen Nord-Süd-Konflikt in Italien begraben. 

Viele Süditaliener leben rund um die Industriemetropole Turin. Besonders die Werke und Zuliefererfirmen von Fiat sind immer wieder Anlaufpunkte für Menschen aus dem strukturell eher schwachen Süden. Doch auch wenn sie in Turin leben, ihre Liebe gilt weiterhin Napoli.

Viele Nebengeräusche also für Maurizio Sarri, wenn er erstmals als Gegner auf seine alte Liebe trifft. Doch ob der 60-Jährige überhaupt auf der Bank sitzen kann, ist unklar. Kurz vor Saisonstart wurde eine Lungenentzündung diagnostiziert. Juventus teilte in einer Aussendung mit, dass der Coach die ersten beiden Partien versäumen wird.

Doch bereits Anfang der Woche häuften sich in den italienischen Sportgazetten die Meldungen, dass Sarri bereits nach einer Woche Pause gegen Napoli auf die Trainerbank zurückkehren wird. 

Eines dürfte aber sicher sein: Die Emotionen dieser Begegnung wird Sarri so schnell nicht vergessen. Genauso wie jene, nach Koulibalys Tor im April 2018.

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