"Sie entschieden, dass ich nicht mehr nützlich war"
Seinen Abschied machte der schon immer etwas spezielle Fußballer und Wein-Liebhaber an einem Namen fest: Massimo Allegri. "Der wahre Grund, warum ich Milan verlassen habe, war, dass Allegri Ambrosini und van Bommel vor der Abwehr auf der Doppelsechs einsetzen wollte."
Pirlo war zwar schon 32 Jahre alt und hatte verletzungsbedingt keinen großen Einfluss auf den Meistertitel 2011, doch die oben genannten Kontrahenten waren zwei Jahre älter, unter Allegri gesetzt, während dieser ihn umfunktionieren und halblinks im Mittelfeld aufbieten wollte. Sein Vertrag sollte zudem nur um ein Jahr verlängert werden, was das Fass zum Überlaufen brachte.
"Ich wollte um drei Jahre verlängern, da ich jünger war als die anderen Spieler, deren Verträge ausliefen", erinnert sich Pirlo. "Sie hatten entschieden, dass ich nicht mehr nützlich für sie war. Das hatte ich bei unserem Gespräch sofort verstanden."
Seine Genialität hatte der heutige Weingut-Besitzer damals bei weitem noch nicht eingebüßt. In seiner Autobiografie "Ich denke, also spiele ich" beschrieb er diese Situation damals bei Milan jedoch mit folgenden Worten: "Wenn das Meer tief ist, kann ein Fisch atmen. Wenn er aber direkt unter der Oberfläche schwimmt, wird er zwar überleben - aber es ist nicht mehr das Gleiche."
Ausgerechnet Juventus
Der aus Flero in der Lombardei stammende vierfache Familienvater wollte sich nicht verbiegen lassen. Allegris Abwehrhaltung ihm gegenüber und die sportlichen Pläne ließen ihn nicht mehr zur Entfaltung kommen, Pirlo zog die Reißleine.
Auch wenn er Mailand nur schweren Herzens verließ, bei seinem Abschied am 18. Mai 2011 vergoss er bittere Tränen, verabschiedete sich aber mit Würde: "Ich gehe nach zehn unvergesslichen Jahren. Es ist eine einvernehmliche Trennung."
Seine Entscheidung, sich ausgerechnet Juventus Turin anzuschließen, stieß auf viel Unverständnis. Fans wandten sich von ihm ab, andere sahen es als Abstieg, da die "Alte Dame" zwei Mal in Folge nur Siebenter in der Serie A wurde.
Pirlo strafte seine Kritiker Lügen, erwiderte schon damals in der "Gazzetta": "Wenn ich mich entscheide, zu einem Klub zu wechseln, dann tue ich das, weil ich gewinnen will." Und Pirlo ging als Gewinner hervor - auf allen Linien.
Wen Milan nicht mehr wollte, der machte Juve umso stärker
Unter dem neu installierten Ex-Juve-Urgestein Antonio Conte zog er die Fäden im Mittelfeld, wie zu seinen besten Zeiten und brillierte dort, wo ihn Milan nicht mehr einsetzen wollte. Von Altersschwäche keine Spur. Pirlo war weiterhine in Dauerläufer, Zauberfuß und verhalf Juventus zu altem Ruhm.
Schon in seiner ersten Saison beim Milan-Rivalen beschert er den Turinern den ersten Meistertitel seit 2005. Seine Top-Form nimmt er mit zur EM 2012, wo er mit seinen Leistungen Italien bis ins Endspiel führt. Mit Juve wird er drei Mal in Folge Meister, ehe es das Schicksal 2014 so will, dass ausgerechnet Allegri bei Juventus übernimmt.
Nach einem Jahr in veränderter Rolle und mit Verletzungsanfälligkeit kehrte Pirlo dann aber Juventus - und Allegri - den Rücken, beim New York City FC ließ er seine Karriere danach noch für zweieinhalb Jahre in der MLS ausklingen.
Pirlo gegen "alte Liebe": "Kein vorentscheidendes Spiel"
Der Aufstieg von Juventus mit Pirlo war jedoch sinnbildlich und gleichbedeutend mit dem Abstieg des AC Milan, der seither im Schatten des Serienmeisters jahrelang im Mittelfeld der Liga dahintümpelte. In dieser Saison schaut dies ganz anders aus. Mit 37 Punkten fürt Milan die Serie A einen Punkt vor Inter an, Titelverteidiger Juventus liegt bei einem Spiel weniger schon zehn Punkte zurück.
Dass seine "alte Liebe" Milan den Turinern unter seiner doch seit Sommer überraschenden Führung schon vorzeitig den Gnadenstoß geben könnte, will Pirlo mit allen Mitteln verhindern. "Es ist mit Sicherheit ein wichtiges, aber kein vorentscheidendes Spiel. Milan gegen Juventus ist immer faszinierend."
Bei einem Gläschen Wein auf seinem Weingut wird er seinen Kindern und irgendwann möglicherweise auch seinen Enkelkindern davon erzählen, wie er "Nein danke" zu Milan sagte, und sowohl bei den Rossoneri als auch den Bianconeri jeweils eine Ära prägte.