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Lorenzo Insigne: Einer von ihnen

Er war ein Zwerg, wollte Ronaldos Schuhe und ist Napolis Publikumsliebling.

Lorenzo Insigne: Einer von ihnen Foto: © getty

Sie haben hier, in Neapel, ein Faible für Spieler wie ihn. Klein, quirlig, trickreich und immer für ein Tor gut.

Kein Wunder, der Mann, den sie gottgleich verehren, war auch so einer – Diego Maradona. Oder Gianfranco Zola, auch ein Held der Stadt. Und Ezequiel Lavezzi, der ihnen so viel Freude bereitete.

Lorenzo Insigne ist sogar noch eine Spur kleiner, lediglich 1,63 Meter misst er. Doch für die Menschen in Neapel, und eigentlich sind sie hier ja alle glühende Anhänger der SSC Napoli, ist er ein ganz Großer. Denn er ist einer wie sie. Und er hat es geschafft.

Kleiner Mann, großes Herz
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„Jedesmal, wenn ich das San Paolo betrete, um hier zu spielen, bekomme ich eine Gänsehaut. Ich denke immer daran, was es für meine Familie bedeutet, dass ich hier bin und was sie dafür alles opfern musste“, sagt der 27-Jährige gegenüber „Players Tribune“. Das wird auch so sein, wenn er im Achtelfinal-Hinspiel der UEFA Europa League daheim auf den FC Red Bull Salzburg trifft (Do., 21 Uhr, LIVE bei DAZN, Puls 4 und im LIVE-Ticker).

Insigne kommt aus Frattamaggiore, einem Vorort Neapels, der mit der Metropole im Süden des Landes eigentlich schon so gut wie verwachsen ist. Frattamaggiore ist keine Gegend, in die es Touristen verschlägt, hier wohnen Menschen, denen es nicht so gut geht, die hoffen, irgendwie eine Arbeit zu finden, um nicht wie so viele vor ihnen in den Norden gehen zu müssen, um dort entwurzelt in einer Fabrik zu arbeiten.

Die Sache mit den Ronaldo-Schuhen

60 Quadratmeter war die Wohnung groß, in der Insigne als zweitältester von vier Brüdern mit seinen Eltern aufwuchs. Am Abend wurde das Wohnzimmer in einen Schlafsaal umgebaut, die Betten der Kinder aufgestellt. Als Papa Carmine einst seinen Job in einer Schuhfabrik verlor, halfen die Eltern seiner Frau finanziell aus. Im Süden Italiens geht die Famiglia über alles.

Und man muss es seinem kleinen Jungen auch mal nachsehen, wenn dieser an Geschmacksverirrung leidet. Acht Jahre war Lorenzo alt, als er unbedingt zum ersten Mal in seinem Leben Fußballschuhe wollte. Nicht irgendwelche, sondern die R9 von Nike, die Schuhe, die der damalige Inter-Star Ronaldo trug.

„Wenn ich daran zurückdenke, wollte mich mein Vater wahrscheinlich umbringen. Alles, worüber er reden wollte, war Maradona. Ich bin mit dem Mythos Maradona aufgewachsen. In Neapel ist er wie ein Gott. Mein Vater wollte mir schwarze Schuhe wie sie Diego trug, besorgen. Aber ich habe gesagt: ‚Nein, du verstehst nicht, Ronaldo ist der Größte!‘“

Irgendwie gelang es Papa Insigne dann, das Geld für die gewünschten Schuhe zusammenzukratzen. Fortan putzte der kleine Lorenzo die Schuhe jeden Tag. „Als sie dann kaputt wurden, habe ich geweint. Sie waren mir heilig“, sagt er.

Ein Familien-Mensch
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Insigne macht Dinge einfach mit Leidenschaft. Und wenn er etwas will, dann will er es. Etwa beim selben Verein wie sein großer Bruder Antonio zu spielen. „Eines Tages bin ich mit ihm zur Fußball-Schule und sollte nur zusehen. Aber ich hatte andere Pläne. Ich habe so lange geweint, bis ich mitspielen durfte. Es war dramatisch, ich habe mich zu Boden geworfen und getan, als müsste ich sterben“, lacht er. Der kleine Quälgeist wusste zu überzeugen: „Ich denke, ich habe ihnen gezeigt, dass ich spielen kann, weil sie mich ab dann immer mit den älteren Kindern spielen ließen.“

Der Zwerg war zu klein

Doch die großen Klubs wollten nichts von dem Zwerg wissen. Zu klein, hieß es überall, wo Insigne vorspielte. Inter, Torino und auch Napoli winkten ab. Als er dann bei Olimpia Sant Arpino vorspielen wollte, erklärte der Verantwortliche nur, dass der Ball ja größer sei als das Kind. Erst weil Insignes Freunde ein gutes Wort für ihn einlegten, durfte er es versuchen. Fünf Minuten später hatte er alle überzeugt.

Und in der U15 kam auch Napoli nicht mehr an ihm vorbei. „Das war unglaublich, weil meine ganze Familie aus riesigen Napoli-Fans besteht. Aber wir konnten es uns nicht leisten, viele Spiele zu sehen, als ich ein Kind war. Also habe ich, sobald ich im Napoli-Nachwuchs war, immer gebettelt, einer der Ballbuben sein zu dürfen, damit ich ins San Paolo kann“, berichtet Insigne.

Schon damals sei ihm eines klar gewesen: „Verdammt, wenn ich eines Tages nur ein Match hier im Napoli-Dress spielen könnte, kann ich glücklich sterben.“

Doch die ganz großen Träume erfüllen sich eben oft erst über Umwege. Nach einer eher erfolglosen Leihzeit bei Drittligist Cavese kreuzten sich die Wege von Trainer-Legende Zdenek Zeman und Insigne. Eine Zusammenarbeit, die Insigne den notwendigen Schub gab, um es zum Profi zu schaffen.

In Foggia wollte Zeman gemeinsam mit Sportdirektor Peppino Pavone an die Erfolge, die das Duo in den frühen 1990er Jahren hatte, anschließen. Foggia hatte damals sensationell den Aufstieg in die Serie A geschafft und diese dann dank des offensiven Harakiri-Spiels des Trainers ordentlich aufgemischt. „Zemanlandia“ ist heute noch ein Sehnsuchtsort für Offensiv-Puristen.

Insigne, Verratti und Immobile
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Pavone jedenfalls wird ein gutes Auge für junge Spieler nachgesagt, hat er doch damals unter anderem Giuseppe Signori, Dan Petrescu und Jose Chamot entdeckt. Und weil Pavone von Insigne, den er zuvor schon zu Cavese geholt hatte, überzeugt war, nahm er diesen mit zu Foggia.

Gemeinsam mit Talent Marco Sau stellte Insigne die Abwehrreihen der Serie B vor große Probleme, erzielte in dieser Saison 19 Tore. Und wie es unter Zeman eben so üblich ist, beendete Foggia die Saison mit den meisten geschossenen und den meisten kassierten Toren.

Ein Jahr später heuerte der Coach in Pescara an und nahm Insigne mit. Pescara legte eine unglaubliche Saison hin und stieg in die Serie A auf. Die Leistungsträger: Insigne, der 20 Tore und 14 Assists anschrieb, Ciro Immobile, der sogar 28 Tore erzielte, und Lokalmatador Marco Veratti, der im Mittelfeld die Fäden zog, elf Assists lieferte und für den PSG zwölf Millionen Euro hinlegte, obwohl er keine Minute Erstliga-Fußball in den Beinen hatte.

Der Rauch in Zemas Büro

„Ich liebte Zeman! Wir hatten eine großartige Beziehung. Es war auch lustig, er war wie eine Figur aus einem alten Film. Er empfing uns Spieler in seinem Büro und hat uns jeden Morgen mit so einer alten Metall-Waage abgewogen. Und er hat da drinnen geraucht wie ein Schlot. Wenn man die Tür geöffnet hat, war da nichts als Rauch“, erinnert sich Insigne.

Während der Erfolgssaison in Pescara lernte Insigne auch seine spätere Frau und Mutter seiner beiden Söhne, Carmine und Christian, Jenny kennen. Das Problem: Sie lebte 250 Kilometer entfernt in der eigentlichen Heimat des Kickers. „Also hatte ich eine doppelte Motivation: Ich musste Napoli davon überzeugen, mich zurückzuholen, damit ich für meinen Traum-Klub spielen kann und damit ich bei Jenny sein kann.“

Da traf es sich gut, dass im Sommer Lavezzi einen Wechsel nach Paris forcierte und der eigentlich als dessen Nachfolger aufgebaute Chilene Eduardo Vargas in Nepal nie so richtig angekommen war. Also war der Weg frei für Insigne.

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Drei Spiele benötigte Insigne, angekommen am Ziel seiner Träume, um sein erstes Tor für Napoli zu erzielen. Dass er während des Jubels das Wappen auf seinem Trikot küsste, versteht sich von selbst. Nach anfänglichen Schwierigkeiten und einem Kreuzbandriss ist der mittlerweile 27-Jährige längst unumstrittener Leistungsträger, Publikumsliebling und zeitweiliger Kapitän des Vereins.

Maradonas Nummer 10

Während der 30-fache italienische Teamspieler zumeist vom Flügel kam, hat ihn Napolis neuer Coach Carlo Ancelotti zur Sturmspitze im 4-4-2 umfunktioniert. Nachdem das zunächst richtig gut funktioniert hat, hat der Neapolitaner zuletzt dadurch ein wenig an Torgefahr eingebüßt.

Doch es scheint nur eine Frage der Zeit, bis sich Insigne an die neue Rolle gewöhnt hat. Schon vor Jahren sagte der damalige Teamchef Cesare Prandelli über ihn: „Er ist eigentlich der Prototyp eins modernen Offensivspielers. Seine Aktionen sind immer abgestimmt mit jenen der Mannschaft, er ist auf einem hohen taktischen Niveau, hat ein ideales Timing.“

Wenn Insigne für das Nationalteam aufläuft, trägt er die Nummer 10 am Rücken. Für Napoli steht er aber mit der 24 am Platz. Die 10 gehörte hier Maradona. Und der hat seine Zustimmung noch nicht gegeben.

„Wenn er mehr Tore als ich geschossen hat, kann er die 10 haben“, sagte Diego vor einiger Zeit. Insigne hält aktuell bei 75 Treffern, Maradona hat 110 erzielt.

Insigne selbst weiß aber sowieso, wo er sich einzureihen hat. Er lacht: „Mr. Ronaldo, Sie hatten großartige Schuhe. Sie waren ein Genie und meine Inspiration. Aber ich bin Neapolitaner und deshalb muss ich sagen, dass es nur einen König gibt, und sein Name ist Diego.“

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