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Wie haben die Engländer das geschafft?

So hat es das englische Nationalteam zurück an die Weltspitze geschafft.

Wie haben die Engländer das geschafft? Foto: © getty

Der Sommer 2017 wird Fußball-Fans wohl lange wegen der irren Transfers in Erinnerung bleiben.

Neymar wechselte für die unvorstellbare Summe von 222 Millionen Euro vom FC Barcelona zu Paris SG. Die Katalanen wiederum verpflichteten Philippe Coutinho und Ousmane Dembele für insgesamt 270 Millionen Euro.

Tatsächlich war der Sommer 2017 aber auch die Initialzündung für Englands Rückkehr an die Weltspitze des Fußballs. Es waren Wochen, die die Fans der „Three Lions“ träumen ließen. Vier Jahre später könnten diese Träume wahr werden. Früher als erwartet.

Doch der Reihe nach. Bei der WM 1990 erreichte England noch das Halbfinale, bei der Heim-EM 1996 auch. Aber sonst musste sich das Nationalteam aus dem Mutterland eingestehen, maximal biederes Mittelmaß zu sein. WM 1994? Verpasst. EURO 2008? Verpasst. Und sonst waren Viertelfinali das höchste der Gefühle.

Zwar galt und gilt die Premier League als stärkste und kompetitivste Liga der Welt, in Erfolge auf Nationalteam-Ebene konnten die Engländer diesen Umstand aber nicht ummünzen. Es musste etwas geändert werden. Und der englische Verband FA setzte auf mehreren Ebenen an.

VIDEO: Phil Fodens Aufstieg

(Artikel wird unter dem Video fortgesetzt)



Das neue Zentrum des englischen Fußballs

Im beschaulichen Burton-upon-Trent in East Staffordshire, kurzum irgendwo in den West Midlands, wurde im Oktober 2012 der neue Stolz des Verbands eröffnet – der St. George’s Park. Rund 120 Millionen Euro hat es gekostet, das National Football Centre zu errichten – weitaus weniger als ein Neymar. Auf dem 130 Hektar großen Areal trainieren nicht nur alle Nationalteams, es ist auch das Base Camp für die Trainerausbildung.

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Auch da wurde angesetzt. 2016 revolutionierte die FA ihre Ausbildungsschiene – bevor man die UEFA-Pro-Lizenz erwerben kann, muss man vier Level hinter sich bringen, zudem gibt es drei weitere Ausbildungen für Nachwuchs-Trainer.

Die "England DNA"

Und dann gibt es noch die „England DNA“. Im Dezember 2014 präsentierte die FA ein elfseitiges Dokument, in dem die Marschroute für die Zukunft präsentiert wurde.

Sieben erfolgreiche Nationen habe der Verband zuvor genau analysiert und das Beste aus deren Herangehensweisen herausgezogen, um künftig siegreiche englische Teams zu produzieren.

Die Ansätze:

  • Ein einheitlicher Spielstil von der U15 bis zum A-Team. „Das einzige, das sich ändern soll, ist die Größe der Trikots.“
  • Spieler sollen bereits im Nachwuchs Turnier-Erfahrung sammeln.
  • Mehr Fokus auf Kreativität und technische Ausbildung.
  • Acht positionsspezifische Profile, an denen sich jeder Trainer orientieren kann.
  • Ein Trainingsprogramm, in dem in jeder Einheit „70% ball rolling time“ inkludiert sind.

Man wolle 2022 Weltmeister werden, kündigte der damalige FA-Boss Greg Dyke vollmundig an.

Der Goldene Sommer 2017

2017 rieb sich der Mann dann die Hände. Denn in diesem Sommer gewannen die englischen Nachwuchs-Auswahlen praktisch alles. U17-Weltmeister, U19-Europameister und U20-Weltmeister. Geschlechterübergreifend waren englische Nachwuchs-Teams bei acht Endrunden vertreten.

Keiner anderen Nation gelang es zuvor, drei Endrunden in einem Jahr zu gewinnen. In den fünf Endrunden (U17-EM und -WM, U19-EM, U20-WMU21-EM) hatten englische Teams 88,2 Prozent der 34 Spiele gewonnen, nur im Elferschießen Niederlagen kassiert und insgesamt eine Tordifferenz von +62 aufzuweisen.

Englands U17 mit Sancho, Gomes, Foden und Brewster
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Gary Lineker und andere Experten jubelten über die „Goldene Generation“. Und tatsächlich stehen viele der damaligen Hoffnungsträger nun im EM-Finale. Phil Foden und Jadon Sancho gewannen mit der U17 ihren WM-Titel, Reece James, Mason Mount und Aaron Ramsdale wurden U19-Europameister, Dominic Calvert-Lewin gewann die U20-WM, Jordan Pickford, Ben Chilwell und Jack Grealish schafften es ins Halbfinale der U21-EM.

Marcus Rashford hätte auch noch im Nachwuchs spielen können, war da aber schon A-Teamkicker. Und Luke Shaw wäre, wäre er nicht verletzt gewesen, auch bei der U21 mit von der Partie gewesen. Noch zu jung, um zumindest in der U17 zu spielen waren damals freilich Jude Bellingham und Bukayo Saka.

Zwar konnte der englische Nachwuchs diesen außergewöhnlichen Erfolg danach nicht mehr wiederholen, aber es stehen immerhin zwei Siege beim von der UEFA organisierten U20-Toulon-Turnier zu Buche sowie ein Semifinale bei der U17-EM. Zudem darf nicht unerwähnt bleiben, dass zuletzt wegen Corona zahlreiche Nachwuchs-Endrunden abgesagt wurden.

Die Rolle des Brexits

Dass die englische Talente-Produktion weiterhin auf Hochtouren läuft, belegt die Beliebtheit, die englische Nachwuchskräfte neuerdings in anderen Top-Ligen erfahren. Bellingham und Sancho vom BVB sind die prominentesten Beispiele. In der deutschen Bundesliga standen in der Vorsaison insgesamt sieben junge Engländer unter Vertrag. Auch in der Serie A und der Ligue 1 versuchen sich talentierte Engländer.

Der Brexit erschwert künftig aber die Transfers von noch nicht volljährigen Engländern in EU-Länder. Andererseits tun sich auch englische Klubs schwer, junge Talente aus der EU auf die Insel zu holen. Das wiederum wird noch mehr Spielzeit für Engländer in der Premier League und vor allem der Championship bedeuten.

19 Spieler unter 20 Jahren waren in der vergangenen Saison in Englands höchster Spielklasse im Einsatz – mit Sheffields Antwoine Hackford und Tottenhams Dane Scarlett sogar zwei 16-Jährige. Damit setzt sich der Trend fort. In der Vorsaison waren es gar 28 U20-Engländer, 2018/19 21 und 2017/18 wie zuletzt 19.

Englische U21-berechtigte Spieler haben in der abgelaufenen Saison in der heimischen Liga 3,9 Prozent der Gesamtspielzeit erhalten, U21-Legionäre kamen auf 2,9 Prozent. Damit sind die Werte für heimische Talente besser als in Deutschland (3,7%/5,9%), Spanien (3,15/2,2%) und Italien (2,0%/4,0%). In Frankreich, wo traditionell auf Youngster gesetzt wird, ist der Prozentsatz höher (8,2%/4,5%). Von der Ligen-Qualität her freilich nicht vergleichbar, aber die österreichischen Werte können sich mit 7,5% Spielzeit für Inländer und 8,2% Spielzeit für Legionäre sehen lassen.

Die englischen Talente werden mehr und mehr den hohen Anforderungen der Premier League gerecht. Bereits vor vier Jahren sagte Gary Issott, Akademie-Direktor bei Crystal Palace: „Ich erinnere mich an eine Zeit, als wir einige Spieler in der U19-Auswahl hatten und man hat ihnen richtig angesehen, wie sie dachten: ‚Ich bin der Beste auf meiner Position in England, ich werde es garantiert schaffen.‘ Wir nehmen sie dann zur Seite und sagen ihnen: ‚Du bist vielleicht der Beste in deinem Alter in diesem Land, aber für die Premier League musst du der Beste aus 70 Ländern in einer Altersbandbreite von 17 bis 35 sein!‘“

Es scheint, als wäre diese Botschaft inzwischen angekommen. Und Englands Fußball ist drauf und dran die Früchte der konsequenten Nachwuchsarbeit der vergangenen Jahre zu ernten.

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