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Experte: "Sevilla hat seine Lektion gelernt"

Andalusischer Experte spricht im LAOLA1-Gespräch von "Spiel auf Leben und Tod":

Experte: Foto: © GEPA

"Same procedure as every year."

Silvester haben wir zwar noch nicht ganz, eine dezemberliche Tradition wird am Mittwoch dennoch fortgesetzt.

Der FC Salzburg steht im dritten Jahr hintereinander vor einem Finale um den Aufstieg ins Champions-League-Achtelfinale am letzten Spieltag. Beehrten in den vergangenen beiden Jahren Atletico Madrid und der FC Liverpool die Red Bull Arena und verließen dieselbige mit dem Aufstieg im Gepäck, ist diesmal der FC Sevilla zu Gast (21 Uhr im LIVE-Ticker).

Anders als in den vergangenen beiden Jahren würde Salzburg diesmal bereits ein Remis zum erstmaligen Überwintern in der "Königsklasse" genügen, die Aufgabe gegen den andalusischen Spitzenklub wird deshalb allerdings nicht weniger schwierig.

"Ich nehme an, dass Sevilla aus dem 1:1 im Hinspiel seine Lektion für Mittwoch gelernt hat. Es ist ein Spiel auf Leben und Tod", erklärt Francisco José Ortega, Chefredakteur des Sportresorts der Tageszeitung "Diario de Sevilla", in einem ausführlichen Interview mit LAOLA1.

Hinspiel "eines der seltsamsten Spiele der letzten Zeit"

Im Hinspiel gab es gleich vier Elfmeter innerhalb der ersten Halbzeit
Foto: © getty

Der FC-Sevilla-Experte spielt damit auf das kuriose Auftaktspiel der Champions-League-Gruppe G Mitte September im Estadio Ramón Sánchez Pizjuán an. Karim Adeyemi holte damals auf Seiten der Salzburger gleich drei Elfmeter heraus, wovon der Deutsche allerdings selbst einen verschoss. Die restlichen beiden Strafstöße durfte Luka Sucic treten, einer landete im Tor, der zweite an der Stange.

Für Ortega war die Partie "eines der seltsamsten Spiele der letzten Zeit. Es ist nicht normal, dass die Gastmannschaft drei Elfmeter zugesprochen bekommt, obwohl sie alle fair waren und es nichts zu beanstanden gab".

Schlussendlich bekamen auch die andalusischen Gastgeber noch einen Strafstoß zugesprochen, den Ivan Rakitic zum 1:1 kurz vor der Pause verwandeln konnte. Bei diesem Ergebnis blieb es schließlich bis zum Schluss, obwohl Salzburg nach einem Ausschluss von Star-Stürmer Youssef En-Nesyri unmittelbar nach Wiederanpfiff fast 45 Minuten in Überzahl agierte.

Erster Sevilla-Sieg erst an Spieltag vier

Während die "Bullen" die anschließenden Begegnungen gegen den OSC Lille und den VfL Wolfsburg für sich entscheiden konnten, reichte es für den FC Sevilla gegen den französischen und deutschen Vertreter in den Runden zwei und drei jeweils nur zu einem Remis. An Spieltag vier kassierten die "Nervionenses" gar eine 1:2-Heimniederlage gegen Lille, ehe vor zwei Wochen mit einem 2:0 über Wolfsburg der erste Dreier folgte.

Hat der FC Sevilla, vor Gruppenstart der große Favorit auf den Aufstieg, die Gegner unterschätzt? Ortega: "Das erste Spiel gegen Salzburg war von Anfang bis Ende eine Katastrophe, mit drei Elfmetern und vor allem dem Platzverweis von En-Nesyri. In den nächsten beiden Spielen machte Sevilla den Fehler, gegen Wolfsburg und Lille keinen Auswärtssieg anzustreben und zu glauben, ein Unentschieden sei ein gutes Ergebnis, was nach hinten losging, als die Franzosen im Estadio Ramón Sánchez Pizjuán in Führung gingen."

Meistertitel nach Andalusien? "Die großen Budgets müssten scheitern"

Konträr zu den Auftritten in der "Königsklasse" verlief bisher die Saison des FC Sevilla in La Liga. Die Andalusier spielen seit Saisonbeginn vorne mit und hätten vor zwei Wochen mit einem Auswärtssieg bei Real Madrid gar die Tabellenführung übernehmen können. Trotz eines starken Auftrittes setzte es schlussendlich eine 1:2-Niederlage im Estadio Santiago Bernabéu, als aktuell Zweiter bleiben die "Blanquirrojos" dennoch erster Real-Verfolger. Auf Rang drei folgt mit Betis Sevilla übrigens der zweite Großklub aus der andalusischen Hauptstadt.

Aufgrund der schwächelnden Konkurrenz aus Barcelona könnte das diesjährige Meisterschaftsrennen tatsächlich über den FC Sevilla, der seinen bis heute einzigen Meistertitel 1946 bejubeln durfte, und die beiden madrilenischen Großklubs führen. Für einen andalusischen Titelgewinn müsste laut Ortega allerdings vieles zusammenlaufen:

"Damit dies geschehen kann, müssen die großen Budgets des spanischen Fußballs scheitern und eine Reihe von Bedingungen erfüllt sein. Zum Beispiel sind die Schiedsrichter sehr wichtig, und in den letzten Spielen hatten Sevilla mit ihnen nicht viel Glück."

National flop, international top

Während für den FC Sevilla bis auf zwei Pokaltitel in den Nullerjahren auf der nationalen Titeljagd in den letzten 20 Jahren tote Hose war, holten die Andalusier in diesem Jahrtausend bereits sechs internationale Titel. Vier davon in der Europa League (13/14, 14/15, 15/16, 19/20), zwei weitere im Vorgängerbewerb, dem UEFA-Cup (05/06, 06/07).

Den Hoffnungen mancher Salzburger Fans, der FC Sevilla würde die Champions-League-Gruppe daher sowieso lieber auf Rang drei abschließen, um in die Zwischenrunde der Europa League umzusteigen, erteilt Ortega eine klare Absage: "Die wirtschaftliche Frage ist sehr wichtig, und Sevilla hat sich vorgenommen, die nächste Runde der Champions League zu erreichen, so dass ein Ausscheiden die Bilanz ziemlich durcheinanderbringen würde. Für den Verein ist es sehr wichtig, sich für das Achtelfinale zu qualifizieren."

(Text wird unter dem VIDEO fortgesetzt)



Die Andalusier sind am Mittwoch in der leeren Red Bull Arena also zum Siegen verdammt. "Ich glaube, dass Sevilla eine sehr kampfstarke Mannschaft ist und dass sie diesen Kampfgeist in einem entscheidenden Spiel zeigen wird, denn eine andere Chance haben sie nicht", so Ortega, der allerdings im gleichen Atemzug vor der "Jugend der Salzburger und der Frechheit ihres Fußballs" warnt.

Sevilla "körperlich nicht bei 100 Prozent"

Ein weiterer Umstand, der den andalusischen Fußballexperten am Aufstieg seines FC Sevilla zweifeln lässt, ist die aktuelle Belastung für das Team von Julen Lopetegui. Seit der Niederlage gegen Real Ende November setzte es für die "Nervionenses" eine englische Woche nach der anderen. In den anstehenden fünf Spielen bis Weihnachten warten neben dem Duell mit Salzburg unter anderem auch noch Spiele gegen den FC Barcelona und Atletico Madrid.

Aufgrund des dichten und gleichzeitig anspruchsvollen Spielplans war es Julen Lopetegui zuletzt nicht möglich zu rotieren, weshalb zu den bereits verletzten Stammspielern Jesús Navas, Erik Lamela, Suso und Youssef En-Nesyri am Wochenende auch noch Linksverteidiger Marcos Acuña dazukam. Auch der zuletzt bärenstarke Lucas Ocampo reiste leicht angeschlagen in die Mozartstadt, wird aber einsatzbereit sein.

Ortega analysiert: "Körperlich wird man nicht bei 100 Prozent sein, denn die Anstrengungen sind aufgrund der Art des Fußballs, den die Mannschaft von Lopetegui spielt, sehr kontinuierlich und anspruchsvoll. Aber Sevilla war schon immer dafür bekannt, mit viel Stolz zu spielen. Alle Spieler sind sich der Bedeutung des Spiels gegen Salzburg bewusst. Es geht um alles oder nichts."

Salzburgs Schwachstelle im Abwehrzentrum?

Sevilla spielt fast immer nach dem gleichen Muster. Sie haben gerne viel Ballbesitz, bewegen den Ball und kontrollieren die Situation durch Ballbesitz. Ich gehe davon aus, dass dies auch in Salzburg der Fall sein wird und dass sie versuchen werden, die Salzburger im Zentrum der Abwehr wehzutun, welches am ersten Gruppenspieltag ihre größte Schwachstelle war.

Sevilla-Experte Francisco José Ortega

Die Andalusier werden in Salzburg allerdings bis zum Ende ihrer Kräfte und darüber hinaus gehen müssen. Die "Bullen" werden die ballsicheren Gäste wie im Hinspiel von Beginn an im Pressing beschäftigen und den schnellen Weg in die Spitze über Karim Adeyemi und Co. suchen. Je länger es unentschieden steht, desto mehr Räume könnten sich für die flinken "Bullen" im Konter ergeben, da Sevilla ja auf Sieg spielen muss.

Ortega geht dennoch nicht davon aus, dass der FC Sevilla seinen Spielstil an die Salzburger anpassen wird: "Sevilla spielt fast immer nach dem gleichen Muster. Sie haben gerne viel Ballbesitz, bewegen den Ball und kontrollieren die Situation durch Ballbesitz. Ich gehe davon aus, dass dies auch in Salzburg der Fall sein wird und dass sie versuchen werden, die Salzburger im Zentrum der Abwehr wehzutun, welches am ersten Gruppenspieltag ihre größte Schwachstelle war. Ihr Fußball basiert auf Kontrolle und dem Wissen, wie man einen Vorsprung auf der Anzeigetafel halten kann. Das ist der Stil, den sie fast immer spielen, sie gehen nicht viel Risiko ein und versuchen, durch Ballkontrolle zum gegnerischen Tor zu kommen."

Adeyemi zu Barcelona? "Sind völlig pleite"

Besonderes Augenmerk wird Sevilla laut dem andalusischen Experten auf Mohamed Camara und den zuletzt formschwachen Karim Adeyemi legen, die Ortega im Hinspiel besonders beeindruckt haben. Ob sich der langjährige Beobachter des spanischen Fußballs vorstellen könnte, dass Adeyemi wie zuletzt kolportiert zum FC Barcelona wechseln könnte?

"Adeyemi würde zu jeder Mannschaft passen, auch zu Sevilla. Das Problem ist, ihn zu bezahlen, und ich glaube vor allem, dass Barcelona sich einen solchen Transfer im Moment nicht leisten kann. Nach eigener Aussage sind sie völlig pleite."

Ein Transfer des Deutschen nach Katalonien soll mittlerweile allerdings ohnehin vom Tisch sein (Alle Infos>>>).

Wöber Opfer des Machtwechsels in Sevilla

Acht Spiele bestritt Max Wöber in der Saison 2018/19 für den FC Sevilla
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Eine weitere Salzburger Personalie, über die Ortega bestens Bescheid weiß, ist Maximilian Wöber. Der Innenverteidiger, der die Partie am Mittwoch mit einer Muskelverletzung verpassen wird, wechselte im Jänner 2019 zum FC Sevilla, verließ Andalusien allerdings nach nur einem halben Jahr wieder Richtung Salzburg. Warum es für den Wiener bei den "Blanquirrojos" nicht geklappt hat?

Ortega führt aus: "Er hat sofort nach seiner Ankunft viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen, es gibt nicht viele linke Innenverteidiger mit seiner Qualität in der Ballbewegung. Aber aufgrund von Verletzungen und der Tatsache, dass er seine Persönlichkeit nicht durchsetzen konnte, hat er vielleicht innerhalb der Mannschaft an Gewicht verloren. Außerdem gab es einen Wechsel in der sportlichen Leitung, und Monchi (aktuelle Sportdirektor, Anm.) ließ fast alle Spieler gehen, die Joaquín Caparrós (vor Monchi Trainer und Sportdirektor in Personalunion, Anm.) während seiner Zeit als Verantwortlicher für diesen Bereich verpflichtet hatte. Die Zeit, mit Diego Carlos und Jules Koundé, einem der besten Innenverteidigerpaare der Welt, scheint Monchi Recht gegeben zu haben in seiner Entscheidung."

Jenes Innenverteidiger-Paar wird am Mittwoch auch in Salzburg auflaufen. Nur wenn es das brasilianisch-französische Duo zumindest einmal zu überwinden gelingt – Salzburg blieb in den letzten 27 Partien auf internationalem Terrain nie ohne Gegentor – ist ein Punktgewinn und damit der historische Aufstieg der "Bullen" auch realistisch.

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