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Silberberger: "Alarmstufe Rot im Tiroler Fußball"

Der WSG-Coach befürchtet im Gespräch mit LAOLA1, dass sich der Tiroler Fußball selbst von der Landkarte radieren könnte.

Silberberger: Foto: © GEPA

Nach dem 4:1-Sieg beim LASK vor der Länderspielpause war man bei der WSG Tirol eigentlich in kollektiver Feierlaune. Zwei Wochen später ist man in Wattens am anderen Ende des Emotionsspektrums angelangt. Bei der 0:5-Pleite gegen den SK Rapid ärgert sich WSG-Trainer Thomas Silberberger nicht nur über "mehrere Geschenke".

Doch damit nicht genug. Auch die jüngsten Entwicklungen in Fußball-Tirol bereiten dem dienstältesten Coach der Admiral Bundesliga Kopfzerbrechen.

"Die Gefahr ist groß, dass wir uns selbst von der Landkarte radieren", meint der 49-jährige Innsbrucker im LAOLA1-Interview.

Warum es im Wesen des Chelsea-Fans liegt, den Rauswurf von Thomas Tuchel als "völlig überzogen" zu bewerten, wie es zur antiklimatischen Verpflichtung des Wattener-Rekordtransfers Kelvin Yeboah kam und worin der Ex-Wacker-Profi die existenziellste Gefahr für den Tiroler Fußball sieht, erfährst du hier:

"Bitte führ mich rauf auf die Europabrücke, ich springe jetzt runter."

Thomas Silberberger

LAOLA1: Wie kam es damals zu Ihrem Engagement bei der WSG? Sie waren zuvor Trainer des FC Kufstein.

Thomas Silberberger: Der Posten wurde frei als Roland Kirchler, der damals WSG-Trainer war, zu Wacker Innsbruck wechselte. Ursprünglich war ich eigentlich nur die dritte oder vierte Wahl (lacht). Aufgrund dessen bin ich auch erst sieben oder acht Monate nach seinem Ausstieg bei Wattens vorgestellt worden. In den Medien überschlugen sich damals die Gerüchte um seine Nachfolge, aber ich war da überhaupt nicht auf dem Radar. Mit drei anderen Kandidaten hat man sich dann nicht einigen können, womit ich ins Spiel kam.

LAOLA1: Über neun Jahre sind Sie mittlerweile in Amt und Würden. Käme eine Kündigung von Thomas Silberberger einer Gotteslästerung gleich?

Silberberger: Nein, überhaupt nicht. Wie alle anderen Trainer unterliege ich den Gesetzmäßigkeiten des Marktes. Natürlich ist bei uns die Geduld etwas größer und es wird nicht gleich diskutiert, wenn ein paar Spiele hintereinander verloren gehen. Da spielt sicher auch der Werdegang des Klubs eine Rolle. Ich habe Wattens als Vierter in der Regionalliga übernommen, damals war man sogar einen Platz hinter meinem Ex-Klub Kufstein. Mittlerweile ist die WSG ein Profi-Klub. Als ich übernommen habe, war man Drittligist, jetzt gehört man zu den Top 10 in Österreich. Deswegen haben wir auch eine längere Zündschnur als andere Bundesligisten. Meine Durchschnittsamtszeit als Trainer ist sieben Jahre. Das gibt’s bei Streich, Simeone und das war es dann auch schon.

LAOLA1: 2019/20 wäre man sportlich eigentlich abgestiegen. Auch da gab es keine Trainer-Diskussion.

Silberberger: Damals hat der Verein die schützende Hand um mich gelegt, da ich durch einen Motorrad-Unfall schwer angeschlagen war. Ich war seitdem an den Liegegips gefesselt. An einem Julitag bin ich dagesessen und habe zu Sportdirektor Stefan Köck gesagt: "Bitte führ mich rauf auf die Europabrücke, ich springe jetzt runter." Man fragt sich auch, wie es im eigenen Leben weitergeht. Die Zeit zwischen Juni und Juli 2020 wünsche ich nicht einmal meinem größten Feind.

LAOLA1: Man hielt trotz allem an Ihnen fest.

Silberberger: Man hat Größe gezeigt und an mir festgehalten. Sie hätten mich ohne weiteres entlassen können, haben sich aber zum Glück dagegen entschieden (lacht). Deswegen werde ich auch nicht bei der erstbesten Gelegenheit das Schiff verlassen, wenn ich mich verbessern könnte.

"Unsere Heimstärke hat zu unserer Erfolgsgeschichte beigetragen. Das ist uns mit einem Schlag abhandengekommen. Wir haben das gleiche Anreiseprozedere wie Auswärtsteams. Wir fühlen uns auch als Auswärtsmannschaft."

Thomas Silberberger

LAOLA1: Als Trainer waren Sie bisher nur für Tiroler Vereine tätig, auch als Spieler zog es Sie nur selten weg aus Ihrer Heimat. Taugt's Ihnen nur in Tirol?

Silberberger: Ich bin stolzer Tiroler, aber das hat natürlich andere Gründe (lacht). Immer wenn es in meiner Karriere sportlich lief, habe ich mich schwer verletzt und musste lange pausieren. Begonnen hat das schon im U21-Nationalteam, wo ich wegen eines Schienbeinbruchs ein ganzes Jahr ausgefallen bin. Beim GAK erlitt ich einen Bandscheibenvorfall und bei der Salzburger Austria habe ich mir einen Achillessehnenriss zugezogen. Vielleicht hat das Zusammenspiel zwischen Kopf und Körper einfach nicht gepasst, aber das ist der Grund warum meine Gastspiele in anderen Bundesländern eher kurzer Natur waren.

LAOLA1: Haben Sie, als Sie 2013 in Wattens unterschreiben haben, geglaubt, dass ihr mal 2. Liga, geschweige denn, Bundesliga spielt?

Silberberger: Dass die 2. Liga auf jeden Fall der Anspruch des Vereins sein muss, dachte ich mir schon vor meinem Antritt. Der damalige Obmann fand, dass es auch in Ordnung ist, wenn man in der Regionalliga nur Zweiter wird. Damals habe ich mich gefragt, ob das der richtige Ansatz ist. Als Diana Langes übernommen hat, kam erst die Zielsetzung, dass wir Bundesliga spielen und die Nummer eins in Tirol werden wollen. Damals war die WSG Regionalligist und Wacker Innsbruck spielte noch Bundesliga. Fünf Jahre später sind wir dann tatsächlich die Nummer eins geworden. Als sie (Diana Langes Anm. der Red.) kam, begann auch eine Aufbruchstimmung im Verein.

LAOLA1: Wie ist die Rivalität zwischen Wacker und der WSG mittlerweile?

Silberberger: Jetzt ist nichts mehr spürbar. Eine Rivalität im klassischen Sinne entstand aber erst, als Diana Langes das Ziel ausgab, die Nummer eins in Tirol werden zu wollen. Davor war die WSG wie Prinz Charles. Nach dem Motto: "Der wird eh nie zum Zug kommen."

LAOLA1: Wie nehmen die Fans die Tatsache an, dass sie zu Heimspielen ins Stadion des Lokalrivalen müssen?

Silberberger: Das sieht man, denke ich, an unseren Zuschauerzahlen (lacht). Wir wären viel lieber in Wattens, aber wir müssen die Situation hinnehmen. Ein Umbau ist leider unmöglich. Wer unsere Geschichte verfolgt hat, weiß, dass wir Regionalliga-Champion ohne eine einzige Heim-Niederlage wurden. In der zweiten Liga haben wir uns den Meistertitel mit nur einer Heim-Niederlage geholt. Unsere Heimstärke hat zu unserer Erfolgsgeschichte beigetragen. Das ist uns mit einem Schlag abhandengekommen. Wir haben das gleiche Anreiseprozedere wie Auswärtsteams. Wir fühlen uns auch als Auswärtsmannschaft.

LAOLA1: Pläne gab es ja, die Gernot Langes Arena umzubauen.

Silberberger: Der Verein hätte den Umbau bezahlt, aber die Anrainer rund um das Stadion haben daraufhin mobil gemacht. Die WSG wurde dann benutzt für den Wahlkampf bei der Bürgermeisterwahl. Die vier Millionen, die die Adaptierung gekostet hätte, wären gerne von Frau Langes und dem Verein in die Hand genommen worden.

LAOLA1: Im Cup spielt ihr gegen Rapid in Wattens, einige Tage zuvor musstet ihr für dieselbe Partie ins Tivoli. Eine Farce?

Silberberger: Im Cup sind nun einmal die Bestimmungen anders. Mit Rasenheizung und Flutlicht ist man hier nicht so streng. Es ist kein Geheimnis, dass wir dieses Schlupfloch gerne nützen, um wieder einmal ein Heimspiel im Gernot-Langes-Stadion bestreiten zu können.

"Nehmen wir den dazu, da können wir nichts falsch machen, der kostet nichts."

Thomas Silberbergers erstes Fazit zu Kelvin Yeboah

LAOLA1: Prica, Vrioni, Baden Frederiksen, oder Yeboah. Wie kann es sein, dass die WSG jede Saison aufs Neue einen treffsicheren Stürmer aus dem Hut zieht?

Silberberger: Ich sage immer, dass ich die Spieler aufs Pferd setze, aber reiten muss man allein (lacht). Bei uns kommen diese Jungs halt, auch wenn es über einen längeren Zeitraum eher bescheiden läuft, regelmäßig zum Zug. Das ist unserer nicht vorhandenen Kaderdichte geschuldet. Wenn die Jungs wissen, dass sie sich auch einmal zwei schlechte Spiele leisten können, kann man sie langfristig entwickeln. Bei anderen Vereinen bist du dann weg vom Fenster. Das schadet, meiner Meinung nach, der Entwicklung. Irgendwo müssen sie sich bei uns glücklich schätzen, weil sie, im Falle eines Formtiefs, auch einmal vom Team mitgeschleppt werden. Wenn Tim Prica bei Rapid drei Spiele nicht trifft, spielt gleich ein anderer. Bei uns haben die Spieler einfach mehr Zeit und weniger Druck.

LAOLA1: Mit Ausnahme von Prica kamen alle diese Spieler aus Italien. Wie gut ist man dort vernetzt?

Silberberger: Wir haben dieses Projekt schon 2016 nach unserem Aufstieg in die 2. Liga gestartet. Diana Langes kennt den Präsidenten von Juventus Turin, Andrea Agnelli, schon seit mehr als 25 Jahren. Diese Verbindung haben wir uns zu Nutze gemacht. Wenn dann gleich mehrere Spieler bei uns durch die Decke gehen, werden natürlich auch andere italienische Vereine aufmerksam. Als wir noch Zweitligist waren, hat uns Juventus aber nur Spieler geschickt, für die sie selbst überhaupt keine Verwendung hatten. Die waren für uns nur bedingt brauchbar, aber wir hatten zumindest einmal den Fuß in der Tür.

LAOLA1: Auch einen Slowenien-Fokus könnte man der WSG nachsagen.

Silberberger: Der Schwerpunkt, den wir da gesetzt haben, ist eigentlich über Zlatko Dedic entstanden. Während seiner aktiven Zeit bei uns hat er den Transfer von Zan Rogelj miteingefädelt, der bei uns zum slowenischen Teamspieler gereift ist. Auch das ist dort nicht unbemerkt geblieben, ganz ähnlich wie mit Baden Frederiksen in Italien. Zan Rogeljs Spielerberater hat sich dann auch dafür begeistern können, dass Ogrinec und Prelec in Österreich den nächsten Karriereschritt machen.

LAOLA1: Bei Kelvin Yeboah war aber keine dieser Connections im Spiel. Der kam aus der Jugend von Gozzano. Bewies man hier ein goldenes Händchen?

Silberberger: Sprichwörtlich. Kelvin ist mir per E-Mail angeboten worden. Da dachte ich mir nur: "Anschauen kostet nichts", und habe ihn zu einem dreitägigen Probetraining eingeladen. Damals war er 18 Jahre alt. Nach 20 Minuten habe ich zum Sportdirektor gesagt: "Nehmen wir den dazu, da können wir nichts falsch machen, der kostet nichts". Am Ende des Tages wissen wir, wie viel er dem Verein gebracht hat.

LAOLA1: Thomas Sabitzer ist wieder zurück in Tirol. Wie wichtig war es, dass diese Rückholaktion glückte?

Silberberger: Sehr. Er war einer der besten österreichischen Stürmer der abgelaufenen Bundesliga-Saison. Nach drei langen Monaten ist er wieder da, und muss schauen, dass er wieder in die Spur kommt. Wir sind überzeugt, dass er wieder an die Leistungen der Vorsaison anknüpfen kann, er muss nur wieder in Wettkampfform kommen. Das hatte er in den letzten Monaten nicht.

"Die haben keine Chance bei einer Bundesliga-Mannschaft oder in der 2. Liga anzudocken, weil es das hier nicht mehr gibt. Wir können ihnen keine Plattform bieten. Sie können maximal in die Regionalliga gehen. Zu Mannschaften, die nicht aufsteigen wollen."

Thomas Silberberger über die Sitaution der Tiroler Akademiespieler

LAOLA1: Sie sind auch Ex-Wacker-Profi. Wie haben Sie den unrühmlichen Abschied des Vereins aus dem Profitum wahrgenommen?

Silberberger: Es ist in erster Linie schade für den Tiroler Fußball. Es hat sich über die letzten Jahre abgezeichnet, dass das Projekt Wacker scheitern wird. Meiner Meinung nach hat der Verein schon Ende der 90er-Jahre sein Todesurteil unterschrieben, im Zuge des FC-Tirol-Crashs. In meinen dreieinhalb Jahren als Wacker-Spieler hatten wir sechs Trainer, fünf Präsidenten und vier Sportdirektoren.

LAOLA1: Die WSG ist jetzt der einzige Tiroler Verein in den ersten beiden Spielklassen. Wie sehen Sie das?

Silberberger: Ich sehe es als extreme Gefahr, dass es nach der WSG nichts mehr gibt. Der letzte Tiroler Aufsteiger aus der Regionalliga West in die 2. Liga war die WSG. Das ist mittlerweile schon sechs Jahre her. Das Traurigste ist, dass wir keinen Zweitligisten haben. Wir haben nur eine Akademie, die beim Landesverband beheimatet ist. Gerade jetzt, wo eine neue Klassifizierung der Akademien kurz bevorsteht, müssen wir die Kräfte bündeln. Sonst sind wir auf Dauer Passagier in der Talente-Schiene. Es herrscht Alarmstufe Rot im Tiroler Fußball. Die Gefahr ist sehr groß, dass man den Anschluss an die anderen Bundesländer endgültig verliert. Was passiert, wenn die WSG abstiegt? Dann gibt es gar nichts mehr in Tirol.

LAOLA1: Wie ist die Situation für die Akademiespieler? Wo sammeln sie Spielpraxis?

Silberberger: Für unsere Tiroler Talente, die jetzt in der U18 spielen, ist das ganz furchtbar. Die haben keine Chance bei einer Bundesliga-Mannschaft oder in der 2. Liga anzudocken, weil es das hier nicht mehr gibt. Wir können ihnen keine Plattform bieten. Sie können maximal in die Regionalliga gehen. Zu Mannschaften, die nicht aufsteigen wollen. Wir hatten deswegen letztes Jahr eine Kooperation mit dem FC Dornbirn, um zumindest drei Jung-Profis die Chance zu geben Zweitliga-Luft zu schnuppern. Für die Bundesliga ist es bei ihnen noch zu früh. Das geht in Tirol völlig ab. Die Gefahr ist groß, dass wir uns selbst von der Landkarte radieren.

LAOLA1: Was muss in dieser Richtung getan werden?

Silberberger: Ich denke, dass sich das Land Tirol wirklich zu dieser Situation bekennen muss. Ich weiß noch, dass man damals nicht begeistert war, uns in die 2. Liga aufsteigen zu sehen. "Tirol verträgt keine zwei Zweitliga-Vereine", hieß es damals. Das ist pervers. Wenn wir in baldiger Zukunft wieder Tiroler Nationalspieler sehen wollen, heißt es handeln. Wenn man das nicht will, habe ich kein Problem damit, bei der WSG mit sieben Juventus-Leihspielern zu spielen. Dann pfeifen wir halt auf den Österreicher-Topf und stellen für Juventus Spieler her. Die Politik muss sich entscheiden, ob man wieder Spitzensport in Tirol sehen will. Ob Bergisel oder Hahnenkammrennen, da steht die Tiroler-Polit Prominenz geschlossen im Zielhang neben dem Schwarzenegger und lässt sich feiern. Das würde ich mir im Fußball auch wünschen. Wenn da nicht bald eine Meinungsänderung kommt, sehe ich schwarz für den Tiroler Fußball.


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