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Warum der Profi-Fußball in Österreich stirbt

Peter-Hackmair-Kommentar: Aufruf, Fußball neu zu denken und zu gestalten.

Warum der Profi-Fußball in Österreich stirbt Foto: © GEPA

Ein Aufruf, Fußball neu zu denken und zu gestalten.

Peter Hackmair hat unlängst mit seiner These, wonach es in 10 Jahren in Österreich keinen Profi-Fußball mehr geben wird, für Diskussionen gesorgt (Hier nachlesen >>>).

In einem Gastkommentar erläutert der 31-Jährige seine Aussagen und begründet seine Annahme.

JA, du hast richtig gelesen. Wie in meinem letzten Profil-Interview verkündet und wie von LAOLA1 berichtet, gehe ich davon aus, dass es in naher Zukunft in Österreich keinen Profifußball mehr geben wird. Ob das in 7, 10 oder 15 Jahren der Fall sein wird, traue ich mich in dieser schnellen und unsicheren Zeit nicht zu prognostizieren. Aber dass es eintreten wird, da bin ich mir ziemlich sicher. Ich behaupte das übrigens nicht, weil ich ein Schwarzmaler bin oder mir das wünsche, sondern genau andersherum: Weil ich seit 15 Jahren die Entwicklung des österreichischen Profifußballs sehr genau beobachte, nicht zuletzt durch die intensive Arbeit an meinem Buch "Träume verändern", und dazu aufrufen möchte, die Zukunft des Fußballs aktiv und selbstbestimmt neu zu gestalten.

Hier meine 5 Gründe, warum es in 10 Jahren in Österreich keinen Profifußball mehr geben wird.

1. Niveau & Konkurrenzfähigkeit

Der Qualitätsunterschied der österreichischen Fußball-Bundesliga zu den Top-Ligen Europas war immer schon groß, aber er wird zunehmend noch größer. Das Paradoxon: Die Spieler sind besser geworden, die Liga dadurch aber schwächer. Klingt unlogisch, ist aber so. Es sind in den letzten zehn Jahren nämlich immer mehr Spieler ins Ausland gewechselt. Einige wie David Alaba, Marko Arnautovic oder Alessandro Schöpf schon in der Jugend, andere wie Christian Fuchs, Marc Janko oder Martin Hinteregger spätestens nach ein paar erfolgreichen Jahren in der Heimat. Die österreichische Bundesliga hat sich in den letzten zehn Jahren zu einem tollen Sprungbrett und damit zu einer Ausbildungsliga entwickelt.

Durch den Zuschlag für die Austragung der EM 2008 haben wir um die Jahrtausendwende endlich begonnen, mehr Geld in die Ausbildung zu investieren. LAZ, BNZ und Akademien wurden gegründet und gefördert. Meine Generation war die erste, die davon so richtig profitierte. Ergebnis: Unter anderem der 3. Platz bei der U19-EM 2006 in Polen oder der 4. Platz bei der U20-WM 2007 in Kanada. Danke dafür, es war ein Traum!

2008 waren es gerade einmal 30 österreichische Fußballprofis, die ihr Geld im Ausland verdienten, heute sind es mehr als 100 (!). Mit 28 Spielern stellt Österreich heuer erstmals sogar die meisten Legionäre aller Nationen in der deutschen Bundesliga. Diese Differenz von 70 außergewöhnlichen Fußballern wirkt sich natürlich enorm aus. Bei 12 Vereinen sind das im Schnitt fast sechs Spieler pro Team mehr als noch 2008, die der österreichischen Liga fehlen. Jeder Fußballer weiß, wie weh es tut, wenn man alleine nur auf 2-3 seiner Leistungsträger verzichten muss. Dieses entstandene Loch wird heute aus Budgetgründen mit jungen österreichischen Spielern gefüllt. Wunderbar, dass mehr und mehr Talente diese Chance erhalten, aber für viele geht das zu einfach und zu schnell.

Umgekehrt konnten  vor zehn Jahren die Vereine noch zumindest die zweitbesten Legionäre mit guten Verträgen nach Österreich locken. Mittlerweile sind es eher nur mehr die dritt- bis viertbesten (mit Ausnahme von RB Salzburg). Unter Berücksichtigung dieser Entwicklung ist das Niveau der Liga deutlich gesunken.

2. Interesse

Der Qualitätsunterschied wird aber nicht nur zunehmend größer, sondern auch offensichtlicher. Die österreichische Bundesliga leidet – wie viele andere kleine Ligen in Europa – sehr stark unter der Globalisierung, der zunehmend internationalen Vermarktung des Fußballs. Während ein österreichisches Bundesligaspiel für die meisten heimischen Fans vor 10 oder 15 Jahren noch das absolute Highlight war und sie maximal mit einem Auge auf die deutsche Bundesliga schielten, erhalten wir mittlerweile durch Pay-TV, Online-Plattformen und den Social Media Kanälen schnellen und breiten Zugang zu sämtlichen Top-Ligen Europas. Durch das im Vergleich geringere Niveau und die Reizüberflutung, mittlerweile fast jeden Tag ein gutes europäisches Fußballspiel sehen zu können, sinkt das Interesse an der österreichischen Liga enorm. In meiner ersten Profisaison vor zehn Jahren waren es im Schnitt noch 9.546 Stadionbesucher pro Spiel. Letzte Saison waren es mit 6.439 ein Drittel weniger! Jeder kann sich ausmalen, was es bedeutet, wenn diese Entwicklung so weiter geht.

3. Sichtbarkeit

Zusätzlich zu dem qualitativen Unterschied verschwindet der Fußball nun auch noch mehr und mehr aus der Öffentlichkeit. Mit dem Verkauf der Rechte an den Pay-TV Sender und die fehlende Sichtbarkeit im ORF schwindet die Reichweite maßgeblich. Kurzfristig bringt das den Vereinen mehr (Fernseh-)Geld, mittel- bis langfristig aber aller Voraussicht nach viel weniger Sponsoreinnahmen. Die Unternehmen werden sehr bald auf die geringere Reichweite reagieren und weniger springen lassen. Ob 300.000 oder 50.000 Zuseher ihr Logo im Top-Spiel der Runde im Fernsehen sehen, macht eben einen Unterschied.

4. Neue Generation

Was wir Erwachsenen oft vergessen: Die Zukunft gehört den heutigen Kindern und Jugendlichen. Sie sind diejenigen, die in den nächsten 10-20 Jahren darüber entscheiden werden, wie es mit dem österreichischen Profifußball weitergehen wird. Die Entwicklung der letzten Jahre spricht eine deutliche Sprache: Immer weniger Kinder spielen Fußball. Immer weniger schließen sich Vereinen an. Immer mehr spielen am Handy, am Computer oder der Play Station. Die Beliebtheit von E-Sports steigt rasant.
Ich habe die letzten drei Jahre als Trainer und Manager in der Fußballschule teco7 mit Kindern und Jugendlichen von 5 bis 18 Jahren gearbeitet. Viele dieser (Wiener) Kinder kennen keine drei Spieler mehr von Rapid oder der Austria. Sie können sich einfach nicht mehr für die österreichische Liga begeistern. Ihre Helden sind Messi, Ronaldo und Neymar. Oder irgendwelche "Youtuber".



Doch dabei sollten sie es ja sein, die in den nächsten Jahrzehnten als Fans in die Stadion pilgern, den Fernseher einschalten, die Trikots kaufen oder als Unternehmer die Vereine sponsern. Wenn die breite Masse kein Interesse mehr bekundet, werden die Medien nicht mehr berichten, die Sponsoren nicht mehr zahlen, die Fußballer nichts mehr verdienen und die Profiligen nicht mehr existieren. Und wenn es den großen Fünf (Salzburg, Rapid, Austria, Sturm, Lask) vielleicht doch noch irgendwie gelingen sollte, sich über Wasser zu halten, so wird das trotzdem für eine Liga nicht reichen. Wobei: Man könnte dann pro Saison acht Mal gegeneinander antreten... Durch die neue Reform lässt man ohnehin die kleinen Vereine schon im unteren Play-Off verhungern. Und die Kluft zwischen erster und zweiter Liga reißt noch mehr auf.

5. Fußball 2030: Ein Ausblick

Die Globalisierung und die internationale Vermarktung des Fußballs stehen erst am Beginn. Diese Kurven werden exponentiell wachsen und die Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen nationalem und internationalem Fußball, wird sehr schnell noch viel größer werden. In vielen Ligen steht der Meister mittlerweile schon vor der Saison so gut wie fest: RB Salzburg in Österreich, der FC Bayern in Deutschland, Juventus Turin in Italien, Paris Saint Germain in Frankreich, der FC Basel (zumindest noch bis 2017) in der Schweiz. In Spanien sind es zumindest zwei, in England gar drei bis vier, die sich den Meistertitel unter sich ausmachen.

Der internationale Champions-Cup ist schon mal ein Vorgeschmack darauf, wie europäischer Fußball in zehn Jahren ausschauen könnte. Es ist nicht so weit hergeholt, dass sich in naher Zukunft die Top-Klubs Europas zusammentun, um nur mehr ihre eigene Liga zu spielen anstatt sich national mit den Kleinen abgeben zu müssen. So könnten sie das Produkt Fußball noch knackiger vermarkten, noch teurer verkaufen und somit noch mehr Geld verdienen. Vor allem in die neuen Märkte nach Asien und Amerika. Und darum geht es doch im heutigen Profifußball letztendlich. Oder? Business & Entertainment vor Spiel & Identifikation.

Und parallel zu dieser Zwei-Klassen-Gesellschaft bereitet sich langsam die dritte Klasse auf ihren endgültigen Durchbruch vor: E-Sports. Im vergangen Jahr hat diese Branche durch Sponsoring, den Verkauf von Medienrechten, Werbeflächen auf Streaming-Plattformen und Tickets schon 557 Millionen Euro erwirtschaftet. Bis 2022 sollen sich laut Zukunftsforschern diese Umsätze verdreifachen! Die größten Märkte sind die USA, Südkorea und China. Gefolgt von Deutschland, wo E-Sports sehr wahrscheinlich in Kürze als offizielle Sportart anerkannt wird. Österreich hinkt zwar – wie so oft – noch hinten nach, aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch hierzulande der virtuelle Sport dem realen ordentlich Konkurrenz machen wird, während unsere Politik immer noch über die tägliche Turnstunde diskutiert anstatt sie endlich einzuführen.

Eine Chance 

In Vorbereitung auf die Austragung der EM 2008 mit der Schweiz gab es ja schon ein spannendes Konzept, die österreichische Liga mit der unserer Eidgenossen zu fusionieren. Die Uefa wehrte sich. Und von einer großen Initiative seitens des ÖFB, dafür alle Hebel in Gang zu setzen, habe ich auch nichts gehört. Wir Österreicher fühlen uns halt wohl in unserer Komfortzone. Warum auch was ändern? Im Großen und Ganzen geht’s uns doch eh recht gut! Aber mit dieser Gemütlichkeit schaufeln wir uns unser eigenes Grab. So wie sich im Zuge der Globalisierung und Digitalisierung die ganze Wirtschaft bereits auf den Kopf stellt, wird sie auch vor dem Fußball nicht halt machen. Als einzige Überlebenschance für den österreichischen Profifußball sehe ich die Option, sich mit der Schweiz und/oder anderen Ligen zusammenzutun, um eine halbwegs konkurrenzfähige Liga zu den anderen Topligen Europas zu stellen, die auch für Fans, Medien und Sponsoren interessanter sein könnte. Die Erste Bank Eishockey Liga macht es vor. Dort treffen Teams aus Österreich, Italien, Kroatien, Ungarn und Tschechien aufeinander.

Neben dieser globalen Entwicklung wäre es übrigens auch eine Chance, den regionalen Fußball wieder zu verwurzeln. Die einen sollen ruhig ihr Elite-Ding durchziehen, aber dann sollten die anderen diese Chance zumindest nützen, um sich wieder auf die wirklich schönen und wichtigen Dinge des Fußballs zu konzentrieren: Das Spiel, das soziale Miteinander, die Identifikation mit dem Verein.

In diesem Sinne: Ich will den österreichischen Fußball nicht totreden, sondern ganz im Gegenteil wieder zum Leben erwecken, lieber früher als später ein Bewusstsein für die aktuelle Entwicklung schaffen und aufrufen, den Mut zur Veränderung an den Tag zu legen. Nicht um gegenzusteuern oder dieses kranke System ein bisschen fitter zu spritzen, denn dafür ist es ohnehin zu spät, sondern um lieber neue Wege zu gehen und etwas ganz Neues zu schaffen. Denn der Fußball ist einfach ein zu schönes Spiel, ein zu geliebter Sport, um ihn aufzugeben. Aber die Zeit ist reif, um ihn neu zu denken. Wer ist dabei?

Für alle, die noch tiefer in das System Profifußball eintauchen und noch mehr von meinen intensiven Erfahrungen, den vielen Höhen und Tiefen als Spieler lernen möchten, habe ich auch das passende Buch dazu --> "Träume verändern". 

Liebe Fußballfans und Verantwortliche,
bitte träumt weiter,
UND: helft mit, den Fußball der Zukunft neu zu denken und zu gestalten.

Peter Alexander Hackmair

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