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Kapfenberger SV: Der Weitblick der "Falken"

Die KSV 1919 positioniert sich als Talenteschmiede mit großen Träumen.

Kapfenberger SV: Der Weitblick der

Es sind nur eine Handvoll Stufen, die von der Laufbahn hinab in den Kabinentrakt des Franz-Fekete-Stadions führen. Eine Angestellte ist gerade mit der Reinigung beschäftigt. Viel zu tun hat sie nicht. Denn alles glänzt. Auch die vielen Portrait-Fotos, die die Wände zieren.

Dabei könnten diese auch vergilbt sein, so weit entfernt scheinen die Zeiten, zu denen sie geschossen. Tatsächlich sind sie aber teilweise noch nicht einmal zehn Jahre vergangen. Damals spielte die Kapfenberger Sportvereinigung 1919 in Österreichs höchster Spielklasse.

Damals liefen hier im Mürztal noch Kicker auf, deren Namen man weit über die Landesgrenzen hinaus kannte. Marek Heinz hatte Tschechien mit einem Tor und einem Assist bei der EURO 2004 zum Sieg über Deutschland geschossen. Eric Akoto kickte 56 Mal für Togos Nationalteam und war bei der WM 2006 dabei. Milan Fukal stand jahrelang in der deutschen Bundesliga gegen die besten Stürmer der Welt seinen Mann. Auch Haruna Babangida und Matej Mavric hatten Länderspiele am Kerbholz.

Damals. „Die Bundesliga war natürlich der Höhepunkt. Derzeit können wir uns aber gar nicht vorstellen, wieder zurück in die Bundesliga zu kommen“, sagt Helmut Großegger. Der Mann gründete gemeinsam mit einigen anderen im Juni 2008, als der Aufstieg gelang, den Fanclub „Graue Falken“.

Stabilität statt Abenteuer

Die Kicker, denen Großegger und die rund 135 weiteren Mitglieder der „Grauen Falken“ aktuell in der HPYBET 2. Liga auf die Beine schauen, kennen Teilnahmen an Welt- und Europameisterschaften nur aus ihren Träumen. Auch Einsätze in Nationalmannschaften sind noch kein Thema. Schlimmer noch, just das 100. Jahr seines Bestehens schließt der Verein auf dem letzten Platz ab. Der Abstieg in den Amateur-Fußball droht.

"Wir waren eigentlich immer Zweiter in der Steiermark, jetzt sind wir hinter Sturm, Hartberg, dem GAK und Lafnitz nur noch Fünfter – das ist ein erbärmlicher Zustand"

Doch Trübsal blasen ist Sache der Kapfenberger nicht, obwohl es Grund dazu gäbe. Mit einem Budget von 1,7 Millionen Euro pro Saison zählen die Steirer inzwischen zu den kleinen Fischen. Die Situation ist in den vergangenen Jahren nicht einfacher geworden.

„Wir waren eigentlich immer Zweiter in der Steiermark, jetzt sind wir hinter Sturm, Hartberg, dem GAK und Lafnitz nur noch Fünfter – das ist ein erbärmlicher Zustand. Es ist eine schwierige Situation“, stöhnt Großegger. Klub-Boss Erwin Fuchs bestätigt, dass das Auftreiben des Geldes schwierig ist: „Der Kuchen wird, wenn es über die Stadt hinaus geht, kleiner. Jeder soll etwas bekommen, jeder muss ein bisschen abspecken. Aber wir kennen das ja, es gab ja auch Gratkorn, Bad Aussee und Leoben in der zweiten Liga. Wir haben das alles überlebt.“

Der Fußball sei eben ein Auf und Ab. „Wir versuchen, den stabilen Weg zu gehen“, steht dem Vereins-Präsident der Sinn nicht nach Abenteuern. In Kapfenberg wird nur das Geld ausgegeben, das auch tatsächlich da ist. Dafür sind die Finanzen auf breitere Beine gestellt. 26 „Premium Sponsoren“ weist die Homepage des Vereins aus. Andernorts, etwa in Lafnitz, ist man abhängig von einer Person, im „Falkenhorst“ ist das anders.

Die günstige "Eigenproduktion"

2008: Kapfenberg in der Bundesliga
Foto: © GEPA

Fuchs ist keiner dieser modernen Manager, deren Marketingsprech mehr an die Mensa der Wiener WU erinnert als an eine Sportplatzkantine. Der 65-Jährige ist seit über 20 Jahren im Amt und kennt jeden Winkel des Franz-Fekete-Stadions. Und er hat 2003 Weitblick bewiesen, als er die Fußballakademie Kapfenberg ins Leben gerufen hat.

Die Fukals und Heinz‘ dieser Welt würden heute nämlich nie und nimmer nach Kapfenberg wechseln. Mittlerweile finden sich auch für in die Jahre gekommene Kicker deren Kalibers wesentlich potentere Arbeitgeber. Die KSV 1919 begreift sich nunmehr als Ausbildungsverein.

„Das hat natürlich auch Kostengründe. Die ‚Eigenproduktion‘ ist am günstigsten“, gibt Obmann Günter Krenn unumwunden zu. 35 bis 40 Prozent des Budgets fließen in den Nachwuchs. Fuchs ergänzt allerdings: „Momentan rechnet es sich noch nicht, wir müssen zuschießen. In Summe ist es aber langfristig der richtige Weg. Wir können rund zwei Drittel des Profi-Teams mit Eigenbauspielern bestücken.“

"Wir wollen unsere Fußballer so gut ausbilden, dass sie in den höchsten Ligen spielen können – sie sollen es über die österreichische Bundesliga hinaus schaffen"

Als das Nachwuchsmodell gegründet wurde, „wollten wir vom Amateur- in den Profi-Bereich“, berichtet Fuchs. „Die Vorgabe war, gut auszubilden. Unser Slogan damals war: ‚So gut wie Bayern München!‘“, erzählt er. Und im Jänner 2011 hat es dann tatsächlich ein in Kapfenberg ausgebildeter Kicker zu den großen Bayern geschafft – Ylli Sallahi spielte im April 2014 dann sogar einmal unter Pep Guardiola für die Profis. Auch Kicker wie Thomas Sabitzer, Florian Flecker, Albert Vallci, Deni Alar, Dominik Frieser, Joao Victor, Michael Liendl und Raphael Wolf wurden in Kapfenberg ausgebildet bzw. erhielten dort den letzten Schliff.

Der Michi

Doch auf einen sind sie ganz besonders stolz. Auf den Michi! Zwar wurden in den 1990er Jahren in der Steiermark 2784 Buben mit dem Vornamen Michael geboren, wer rund ums Franz-Fekete-Stadion vom Michi spricht, der meint aber ganz bestimmt einen: Michael Gregoritsch.

Im April 2010 hat der Stürmer im Alter von 15 Jahren unter seinem Trainer-Papa Werner Gregoritsch sein Bundesliga-Debüt gegeben und bei seiner Premiere gegen die Wiener Austria auch just ein Tor erzielt. Noch heute ist er der jüngste Torschütze der Bundesliga-Geschichte. Ein Jahr später schlug Hoffenheim zu. Inzwischen ist Gregoritsch 17-facher ÖFB-Teamspieler, hat 125 Mal in der deutschen Bundesliga gespielt und ist soeben zum FC Schalke 04 gewechselt.

Solche Fußballer sollen vermehrt aus der Kapfenberger Akademie kommen. Fuchs sagt: „Wir wollen unsere Fußballer so gut ausbilden, dass sie in den höchsten Ligen spielen können – sie sollen es über die österreichische Bundesliga hinaus schaffen.“

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite des Stadions steht ein von außen eher unscheinbares Gebäude. Es ist in grau gehalten, „Teamsportakademie“ ist auf schwarzen Lettern zu lesen. 67 Betten stehen in diesem Internat, das der ganze Stolz der Kapfenberger ist. Mehr als 100 Interessenten gibt es pro Jahrgang, berichtet Peter Skrivanek, früher selbst Kicker, heute administrativer Leiter der Akademie.

Diashow - Die KSV-Akademie:

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Ein Blick ins Innere der Akademie kann den Eindruck von außen nicht bestätigen. Die Räume sind hell und mit viel Liebe zum Detail gestaltet. Die Architekten durften sich sogar schon über Preise für dieses Gebäude freuen. 4,9 Millionen Euro hat der Bau gekostet.

Die Talente – insgesamt sind es 120 „Akademiker“, 67 wohnen im Internat, jene, die aus Kapfenberg kommen, daheim – besuchen entweder das BORG Kapfenberg oder die Fachschule für Elektrotechnik. Fuchs erklärt: „Es gibt eigene Sportklassen, deren Stundenplan auf die Trainings abgestimmt ist. Das ist eine feine Geschichte.“

Ein weiterer Vorteil: „Es gibt keine weiten Wege. Andere sitzen pro Tag ein bis zwei Stunden im Auto, bei uns dauert es maximal zehn Minuten vom Stadion in die Schule. Unser großes Plus ist, dass wir die Zeit, in der andere im Auto sitzen, für Training aufwenden können.“

Der Haken

Einen Haken hat die Sache aber: Die Ausbildungsstätte der Kapfenberger hat keinen offiziellen BNZ- oder Akademie-Status. „Wir fallen bei sämtlichen Förderungen durch“, ärgert sich der Klub-Präsident und ergänzt: „Wenn wir den BNZ-Status erreichen wollen, müssten wir noch viel finanziellen Aufwand betreiben – da beißt sich die Katze in den Schwanz.“ Ein wenig trotziger Nachsatz: „Wir gehen eben unseren eigenen Weg – und so schlecht ist das auch nicht.“

Die Nachwuchsteams der KSV 1919 dominieren für gewöhnlich ihre Ligen, um auch gegen stärkere Gegner Erfahrung sammeln zu können, werden Testspiele gegen AKA-Teams der Bundesligisten vereinbart. Und die Youngster sammeln schon sehr früh Erfahrungen im Erwachsenen-Fußball.

In der Oberliga Nord spielen die Amateure der Kapfenberger, die vormals auch schon in der Landesliga aufgelaufen sind, in der Unterliga Nord B mit Rapid Kapfenberg praktisch das dritte Team.

"Ich hätte früher nie Deutschrap gehört, jetzt finde ich einige Lieder ganz cool"

Kurt Russ, Trainer der Profis, berichtet: „In der Akademie ist es wichtig, modernen Fußball – etwa Pressing und schnelles Umschaltspiel – zu vermitteln. Gleichzeitig müssen die Spieler körperlich gut ausgebildet sein. Von der Kampfmannschaft bis zur dritten Mannschaft spielen wir das selbe System. Davor muss man aber alles trainieren, da musst du auch Ballbesitzfußball beherrschen. Man weiß ja nie, was passiert. Aber je näher die Spieler zu den Profis kommen, umso mehr wird auf das geschaut, worauf wir ganz oben auch Wert legen.“

"Papa" Sencar und die jungen Wilden

Mit Alexander Steinlechner, Franz Stolz, Amar Kvakic, Marvin Hernaus, Christoph Graschi, Florian Brunner und Leke Krasniqi ließ Russ in der abgelaufenen und der aktuellen Saison nicht weniger als sieben in der AKA Kapfenberg ausgebildete Kicker bei den Profis debütieren. Im Kader stehen derzeit nur drei Spieler die älter als 23 Jahre sind – Goalie Patrick Krenn (25), Ibrahim Bingöl (26) und Klub-Legende David Sencar (35).

Sencar lacht: „Die Jungen halten mich auch jung. Aber ich bin selbst vom Gemüt her eher in der jüngeren Phase hängengeblieben. Wenn ich merke, dass ich mit den Schmähs in der Kabine gar nicht mehr mitkomme, werde ich mir die Frage stellen, ob ich das noch mitmache.“ Der Kapitän habe gemeinsam mit Bingöl „die Kabine unter Kontrolle“, berichtet der Coach. Der Routinier selbst grinst: „Hier und da gibt es Ausreißer, aber die bringen wir dann schon wieder in die Spur.“

Es ist eine neue Generation, mit der es der Mittelfeldspieler zu tun hat: „Ich hätte früher nie Deutschrap gehört, jetzt finde ich einige Lieder ganz cool. Mit den Sachen, die nicht allzu wild sind, kann ich gut leben. Ich bringe aber schon auch noch die Klassiker mit in die Kabine. Die Jungen lernen die alte Schule auch.“

Routinier David Sencar
Foto: © GEPA

Allzu lustig war der Herbst aber angesichts der sportlichen Misere nicht. „Wir hatten eine funktionierende Mannschaft. Der Umbruch im Sommer hat eine große Rolle gespielt, da brauchen wir nichts schönzureden“, sagt Sencar. Von den 13 Spielern, die 2018/19 über 1.000 Einsatzminuten in der Meisterschaft hatten, sind nur noch Sencar, Paul Mensah, Matija Horvat, Lukas Skrivanek und Michael Lang da. Insgesamt haben elf Spieler den Klub im Sommer verlassen. Nichts Ungewöhnliches im „Falkenhorst“.

„Es war in den vergangenen Jahren eigentlich jedes Mal so, dass wir immer mit einer neuformierten Mannschaft in die Saison gestartet sind. Das Ziel ist ja, die Spieler weiterzuentwickeln. Andererseits sind manche Spieler für meinen Geschmack ein bisschen zu früh weggegangen. Es ist jedes Jahr eine Herausforderung“, sagt Sencar.

Das Fan-Problem

Das ist wohl einer der Hauptgründe dafür, dass die Fans immer weniger werden. Abgesehen vom Duell mit dem GAK, als rund 4.500 Zuseher kamen, und dem Cup-Spiel gegen Sturm, wo rund 6.500 Menschen zugegen waren, kamen im Herbst nie mehr als 650 Fans zu einer Partie. „Es wäre wünschenswert, wenn mehr Fans unseren Weg honorieren würden“, sagt Fuchs.

Fan Großegger entgegnet: „Kaum spielt einer gut, ist er weg. Das ärgert die Leute schon.“ Warum es aber gar so wenige sind, die die KSV 1919 regelmäßig sehen wollen, ist auch ihm ein Rätsel: „In der ganzen Mur-Mürz-Furche gibt es nur diesen Verein im Profi-Fußball. Wir wissen selbst nicht, warum so wenige Leute kommen. Es ist sehr seltsam.“

Die, die da sind, erzählen immer noch gerne von den Zeiten in der Bundesliga. Und sie träumen auch ein bisschen. „Wenn man sich ansieht, welche Vereine da oben spielen – kleinere Vereine aus kleineren Ortschaften mit kleineren Stadien –, wäre es für Kapfenberg fast ein Muss, zurück in die Bundesliga zu kommen“, findet Großegger.

Sencar sagt mit einem Lächeln auf den Lippen: „Warum nicht? Träumen kann man immer! Ich träume auch noch von der Bundesliga. In dieser 2. Liga kann alles passieren.“ Auch Vereins-Boss Fuchs hat die Bundesliga längst nicht abgeschrieben: „Wenn die Gruppe stimmt, wir eine tolle Mannschaft haben, ist ein Aufstieg möglich.“

Die Reinigung des Kabinentrakts ist indes längst abgeschlossen. Und auch die Herren aus dem KSV-Vorstand haben zu tun – in der Akademie findet ein Elternabend statt.

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