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"Man muss lernen, Nein zu sagen"

Ein 18. Platz bei einem Großereignis ist normalerweise ein Ergebnis, das Gregor Schlierenzauer unheimlich wurmt.

Stundenlang, tagelang oder sogar wochenlang.

Der Tiroler Ausnahme-Athlet kennt es nämlich nicht, so weit hinten zu landen. Er nimmt üblicherweise von jedem Highlight eine Einzel-Medaille mit.

Bei der am Sonntag zu Ende gegangenen Skiflug-WM in Vikersund blieb ihm dieses Mal "nur" Team-Gold.

Warum ihm das aber keine schlaflosen Nächte bereitet, er jetzt mehr selektiert und manchmal vergisst, dass er erst 22 ist, erklärt Schlierenzauer im LAOLA1-Interview:

LAOLA1: Gregor, die Skiflug-WM war für dich eher durchwachsen. Wie fällt dein Resümee aus?

Gregor Schlierenzauer: Wenn man nur die Platzierung im Einzel betrachtet, war sie durchwachsen. Aber immerhin gab es ein Happy End mit dem WM-Titel im Teamfliegen. Das ist auch eine starke Leistung. Im Einzel hat es mich leider von Anfang an gefuchst. Man sieht dann wie extrem die Dichte ist. Wenn es dann so wie bei mir nicht passt, wird man gleich einmal durchgereicht.

LAOLA1: Fuchsen tut es dich ja schon seit Längerem. Nach Val di Fiemme haben deine Abstimmungsprobleme begonnen. Was hast du umgestellt?

Schlierenzauer: Ich habe vor eineinhalb Jahren mit meinem Stützpunkttrainer einen neuen Weg eingeschlagen. Wir haben versucht, meine Technik weiter zu optimieren. So weit bin ich nun. Dadurch ergeben sich aber in punkto Material andere Voraussetzungen. Ich muss für meinen neuen Sprungstil gewisse Anpassungen vornehmen, aber mir fehlt da ein bisschen die Zeit.

LAOLA1: Ist das ein bisschen die „Krankheit“ eines Spitzensportlers, immer noch mehr zu wollen?

Schlierenzauer: Ganz große Sportler zeichnet aus, dass sie immer nach mehr streben. Aber man darf es nicht übertreiben. Immer neue Sachen zu bringen, macht auch keinen Sinn. Denn wenn man mit einem Punkt Vorsprung gewinnt, hat man auch gewonnen. Es müssen nicht immer 15 Punkte sein.

LAOLA1: Die Saison biegt in die Zielgerade ein. Bist du froh, dass es langsam zu Ende geht?

Schlierenzauer: Ich muss sagen, dass ich körperlich so gut beisammen bin, wie noch nie. Ich war kein einziges Mal krank. Natürlich ist eine mentale Müdigkeit da, aber da geht es wohl jedem so. Ich freue mich auf die letzten Bewerbe, da ich noch eine Challenge mit dem Gesamtweltcup vor mir habe.

LAOLA1: Nach der Tournee und dem Skifliegen am Kulm war aber doch eine gewisse Leere da, oder?

Schlierenzauer: Ja, schon. Die Zeit zwischen dem 28. Dezember und Mitte Jänner ist sehr stressig -  vor allem, wenn man die Tournee gewinnt (schmunzelt). Auf der einen Seite ist es ein schönes Privileg, dass man das alles erleben darf. Auf der anderen Seite unterschätzt man die ganzen Nebenschauplätze ein bisschen. Wenn dann enormer Stress herrscht, kommen irgendwann Situationen, wo man nicht mehr mag und man denkt: Wieso tu‘ ich mir das an? Ich muss sicher noch lernen, dass das zu einem Spitzenathleten dazu gehört.

LAOLA1: Auf der anderen Seite bist du schon sechs Jahre im Weltcup dabei. Kannst du dir überhaupt vorstellen, noch zehn Jahre zu springen?

Schlierenzauer: Das wird man sehen. Grundsätzlich ist die Freude am Sport derzeit sehr, sehr groß. Und man muss im Alter ja nicht mehr jedes Springen absolvieren. Man kann ja auch bei den Saison-Highlights einsteigen, wenn man gut genug ist (lacht).

LAOLA1: Angenommen du gewinnst in zwei Jahren in Sotschi Olympia-Gold. Überspitzt gefragt: Müsstest du dann eigentlich nicht aufhören, da es nichts mehr zu gewinnen gibt?

Schlierenzauer: Mit dem habe ich mich noch nicht befasst. Ich glaube, das sind dann Situationen, in denen man spürt, ob die Zeit reif ist, etwas anderes zu machen. Der Drang, diese Sportart auf eine andere Stufe zu stellen, ist da und die Freude auch noch. Alles andere ergibt sich.

LAOLA1: Was würde dir der Sieg-Rekord von Matti Nykänen bedeuten? Es fehlen dir nur mehr sechs Erfolge.

Schlierenzauer: Ich würde schon sagen, dass es eines der größten Dinge ist, das man in einem Sportlerleben erreichen kann. Wenn man der erfolgreichste Athlet in einer Sportart ist, dann kann man schon sagen, dass man nicht schlecht war (lacht).

LAOLA1: Du hast dir jetzt schon mit deiner Modelinie ein zweites Standbein geschaffen. Fällt es da leichter, an die Karriere nach dem Sportlerleben zu denken?

Schlierenzauer: Ja, schon. Mir ist es sehr wichtig, dass ich nicht nur den Spitzensport habe, sondern auch eine Beschäftigung, die mich ablenkt. 24 Stunden über Skispringen nachdenken, ist ein kompletter Blödsinn. Es funktioniert auch gar nicht. Was sich nach der Sportkarriere ergibt, wird man sehen. Es gibt einige Möglichkeiten, die mich reizen würden.

Das Interview führte Kurt Vierthaler

LAOLA1: Hast du in den letzten Jahren auch lernen müssen, einmal „Nein“ zu sagen?

Schlierenzauer: Ja, auch. In der Euphorie, auf der Welle des Erfolges sagt man gleich einmal „Ja“. Es geht einem auch leicht von der Hand. Wenn man jedoch unzufrieden ist und kämpfen muss, zipft einen schneller etwas an. Man muss lernen, „Nein“ zu sagen, auf sich zu schauen und sein Ding durchzuziehen.

LAOLA1: Selektierst du mehr aus, als noch vor ein paar Jahren?

Schlierenzauer: Ich bin mittlerweile in der Lage zu sagen, dass Qualität vor Quantität geht. Natürlich stehen viele Termine an. Im Grunde genommen wäre jeden Tag etwas. Aber da muss man ganz einfach selektieren und rausfiltern, was einem wichtig ist. Alles andere muss man absagen.

LAOLA1: Du hast die Tournee gewonnen, den 40er an Weltcupsiegen vollgemacht und kämpfst um den Gesamtweltcup mit. Hattest du schon Zeit, zu realisieren, dass das heuer eine richtig gute Saison war bzw. noch ist?

Schlierenzauer: Eigentlich noch nicht wirklich. Du bist im Dauerstress und stehst bis zum letzten Springen ständig unter Druck. Da bleibt fast keine Zeit, alles zu realisieren. Ich weiß aber, dass diese Saison wieder sehr gut ist. Obwohl ich auch zugeben muss, dass ich durch meine vergangenen Erfolge auf einer gewissen Schiene angelangt bin. Der Drang zum Perfektionismus ist mittlerweile so groß, dass man oft vergisst, was man eigentlich schon alles erreicht hat. Darum muss man auch einmal die Kirche im Dorf lassen und sagen: Es war sensationell und es passt alles, so wie es ist.

LAOLA1: Vergisst du auch manchmal, dass du erst 22 bist?

Schlierenzauer: Ja, das vergesse ich ehrlich gesagt wirklich manchmal. Meine bisherigen Erfolge waren schon extrem. Und in der Öffentlichkeit wirst du immer an Erfolgen gemessen. Da tut es dann schon gut, wenn man wieder einmal hört: 'Junge, du bist erst 22, du darfst noch lange deinen Sport ausüben. Du hast schon viel erreicht, cool down.'