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"Ich wollte dann mein eigenes Leben leben"

Als Sven Hannwald am 6. Jänner 2002 im Auslauf von Bischofshofen seinen ersten Sieg bei der Vierschanzen-Tournee feierte, war dem Deutschen das Ausmaß seines Triumphes gar nicht richtig bewusst.

Er hatte soeben alle vier Tournee-Springen für sich entschieden, den historischen Grand Slam geholt.

"Ich habe erst mit etwas Abstand realisiert, was ich erreicht habe. Ich konnte es am Anfang auch noch nicht abschätzen", sagt der 37-Jährige heute.

In dieser Saison jährt sich Hannwalds Grand Slam zum zehnten Mal und noch immer ist er der Einzige, dem dieses Kunststück gelang.

Exklusiv im LAOLA1-Interview erinnert sich der einstige Überflieger an damals zurück, sagt, ob er einen erneuten Grand Slam für möglich hält, was er seinen Landsleuten zutraut und warum er mit Toni Innauer im Clinch liegt.

LAOLA1: Sven, bei dieser Tournee jährt sich dein historischer Grand Slam zum zehnten Mal. Denkst du ab und zu noch daran?

Sven Hannawald: Ich werde jedes Jahr automatisch daran erinnert, da es im Fernsehen Einspieler von damals gibt und ich mehr Interviews geben muss. Es ist nach wie vor ein schönes Gefühl, wenn ich zurückdenke. Ich hoffe auch vor jeder Tournee, dass mein Grand Slam noch ein Jahr hält (schmunzelt).

LAOLA1: Kannst du dich noch an deine Gefühle erinnern, als du in Bischofshofen ausgefahren bist?

Hannawald: Natürlich. Mein erster Gedanke war: Jetzt ist es endlich vorbei. Es war doch eine extreme Anspannung und Erwartungshaltung da. Dann kam die enorme Freude und der Stolz, dass man so etwas geschafft hat. Ich hatte auch wahnsinnig viele Leute im Hintergrund, ohne die das nicht möglich gewesen wäre.

LAOLA1: Wann war dir damals klar, dass es tatsächlich für alle vier Siege reichen könnte?

Hannwald: Das ist schwierig zu sagen. Daran geglaubt habe ich erst, als ich es tatsächlich geschafft hatte. Davor habe ich versucht, solche Gedanken von mir wegzuschieben. Solche Dinge lenken dich letztendlich ab. Von den Medien wurde ich natürlich immer darauf angesprochen. Ich habe auch ehrlich gesagt unterschätzt, was für ein Druck bei der Tournee herrscht.

LAOLA1: Was traust du deinen Landsleuten mittelfristig zu?

Hannwald: Ich traue ihnen zu, dass mittelfristig wieder einer unter den Top 3 im Gesamtweltcup ist. Einzelsiege muss man immer auf der Rechnung haben. Ich bin schon gespannt, was die Jungs erreichen. Vor allem bei der Tournee. Für mich war die Tournee immer ein extrem spannender Zweikampf zwischen Deutschland und Österreich. Die Rivalität hat es immer ausgemacht.

LAOLA1: Warum hat es so lange gedauert, bis Deutschland wieder konkurrenzfähig geworden ist?

Hannawald: Nach unserer erfolgreichen Zeit hat man einiges verschlafen. Martin (Schmitt, Anm.) und ich haben doch immer die Kohlen aus dem Feuer geholt. Ich will aber damit nicht sagen, dass die Arbeit dahinter schlecht war. Du bist ja auch abhängig davon, welche Talente im Nachwuchs sind. Den Überflieger kannst du dir nicht im Ofen backen. Wenn es ihn nicht gibt, bringen auch die besten Nachwuchskonzepte nichts. Da braucht man dann die Geduld, um auf dieses große Talent zu warten.

LAOLA1: Hätte es dich nie gereizt, als Trainer aktiv im DSV mitzuwirken?

Hannwald: Gereizt hätte es mich schon, aber ich wollte nach über 20 Jahren in dieser Szene mal mein eigenes Leben leben. Ich hätte es vielleicht machen können, aber mein Gefühl hat mir etwas anderes gesagt. Ich wollte Sachen machen, denen ich jahrelang abgeschworen hatte. Im Nachhinein gibt mir meine Zufriedenheit recht.

LAOLA1: Hast du irgendwann diesen Nimbus der Unbesiegbarkeit gespürt?

Hannawald: Man versucht, diese enorme Belastung zu steuern so gut es geht. Darum hat es meiner Meinung nach auch erst einen gegeben, der den Grand Slam geschafft hat. Weil man es irgendwie schaffen muss, die psychische Komponente in den Griff zu kriegen. Ich hatte damals auch einen Sportpsychologen, mit dem ich viel besprechen konnte.

LAOLA1: War dir damals gleich bewusst, dass du etwas Historisches geschafft hast?

Hannawald: Aufgrund der Reaktion unseres damaligen Trainer Reinhard Heß habe ich schon erkannt, dass mir da etwas ganz Besonderes gelungen ist. Ich habe aber erst mit etwas Abstand realisiert, was ich erreicht habe. Ich konnte es am Anfang auch noch nicht abschätzen.

LAOLA1: Glaubst du, dass irgendwann wieder ein Springer alle vier Bewerbe gewinnen kann?

Hannwald: Ich glaube eigentlich seit zehn Jahren daran. Aber natürlich habe ich auch ehrlicherweise die Hoffnung, dass es noch einige Zeit dauern wird bzw. ich überhaupt der Einzige bleibe. So ein Rekord ist schon schön. Sollte es wieder einer schaffen, dann hat er es sich auch verdient.

LAOLA1:
Viele Experten meinen, dass es einfacher geworden ist, den Grand Slam zu holen, da die Schanzenprofile immer ähnlicher geworden sind. Wie siehst du das?

Hannawald: Das mag schon sein, nur auf der anderen Seite ist das Athletenfeld enger zusammen gewachsen. Die Dichte an Top-Springern ist höher geworden. Du musst schon ein perfektes Gesamtpaket haben, um am Ende ganz vorne zu stehen.

LAOLA1: Österreich hat in den letzten Jahren alles dominiert. Ist so eine Dominanz für den Skisprung-Sport nicht auch kontraproduktiv?

Hannawald: Es hat im Laufe der Geschichte immer wieder Nationen gegeben, die nicht zu schlagen waren. Das wird es auch in Zukunft geben. Zur Zeit ist Österreich einfach das Maß aller Dinge, aber gerade Deutschland hat wieder aufgeholt. Wir haben mit Freitag und Freund zwei gute Asse im Spiel. Die Entwicklung ist sehr stabil.

LAOLA1: In der „Bild“ hast du dich etwas verärgert gezeigt, dass Toni Innauer für das ZDF als Tournee-Experte fungiert. War das alles so gemeint?

Hannawald: Es geht um gewisse Sachen, die ich einfach nicht verstehe. Nicht, dass ich den Job unbedingt hätte haben wollen. Aber ich habe mit einigen österreichischen Kollegen gesprochen und die haben mir gesagt, dass es das in Österreich nicht geben würde. Da würde man keinen Deutschen als TV-Experten heranziehen. Darüber hinaus hat es mich etwas gestört, dass es Toni Innauer ist.

LAOLA1:
Wieso?

Hannawald: Wir sind uns schon zu meiner aktiven Zeit öfter in die Quere gekommen. Er hat oft behauptet, dass wir bescheißen und illegale Wege beschreiten. Ich habe Respekt vor dem, was er damals alles erreicht hat, aber gewisse Sachen waren über das Ziel hinausgeschossen. Trotzdem geht es mir aktuell nicht um seine Person, sondern darum, dass viele Leute übergangen worden sind, die jahrelang die deutsche Fahne hochgehalten haben.

LAOLA1: Wie sieht es eigentlich mit der Akzeptanz von Werner Schuster in Deutschland aus?

Hannawald: Auch das hat sich entwickelt. Für uns ist es definitiv hilfreich, so einen Mann zu haben. In Sachen Nachwuchs fragt man sich allerdings schon, warum es nicht mehr deutsche Trainer gibt. Bei Werner Schuster habe ich schon am Anfang gemerkt, dass er einen guten Weg gehen wird. Er strahlt viel Ruhe und eine gewisse Überzeugung aus. Darüber hinaus hat er ein System reingebracht. Der Erfolg gibt ihm recht.

LAOLA1: Ein langjähriger Weggefährte von dir ist immer noch aktiv. Viele sagen, Martin Schmitt hätte den idealen Absprung verpasst. Wie siehst du seine Situation?

Hannawald: Hätte, wäre, wenn – was andere Leute sagen, muss dir egal sein. Martin weiß am besten, was er möchte. Es geht auch nicht immer darum, den perfekten Absprung zu erwischen, sondern aufzuhören, wenn man keine Lust mehr hat. Natürlich war er früher erfolgreicher, aber wenn es ihm noch Spaß macht, soll man ihn lassen. Ich würde ihn noch nicht abschreiben.

Das Interview führte Kurt Vierthaler