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Der „Ferrari unter den Eishockey-Cracks“ ist zurück

Der „Ferrari unter den Eishockey-Cracks“ ist zurück

Exakt 320 Tage musste die National Hockey League auf das Comeback ihrer Hauptattraktion warten.

Die Elite des Kufensports ohne den wohl weltbesten Crack – nicht vorstellbar. In der Nacht auf Dienstag kommt es zur ersehnten Renaissance des Aushängeschilds.

Sidney Crosby is back – zehn Monate der Abstinenz finden im Consol Engery Center zu Pittsburgh ein Ende. Gegen Michael Grabner und die New York Islanders betritt der 24-Jährige wieder die große Bühne.

„Wenn er aus dem Tunnel kommt, wird die Halle beben und das Publikum elektrisiert sein. Wir können davon profitieren“, sehnt Betreuer Dan Bylsma dem Opening-Faceoff des kanadischen Olympia-Helden – mit dem Overtime-Treffer im Enspiel 2010 gegen Erzrivale USA stieg er zur nationalen Ikone empor - herbei.

Eine Gehirnerschütterung setzte den Ausnahmekönner lange außer Gefecht. LAOLA1 kennt die Gefühlslage Crosbys und den steinigen Weg zurück.

Der Leidensweg des Sidney C.

  • 1. Januar: Im Heinz Field, Football-Arena der Pittsburgh Steelers, steigt das traditionsreiche Winter Classic. An einem regnerischen Neujahrstag kommt es zum Showdown der Giganten, „The Next One“ Crosby versus Washington Capitals‘ Alex „The Gr8“ Ovechkin. Überschattet wird das Duell vom „Blind-Side-Hit“ David Steckels, welcher das Penguins-Heiligtum im zweiten Drittel niederstreckt. Dennoch steht Crosby bis zur Schlusssirene auf dem Eis.
  • 5. Januar: Der Superstar klagt über Nackenschmerzen, zeigt aber keinerlei Symptome, die auf eine Gehirnerschütterung schließen lassen und wird gegen Tampa Bay erneut Opfer eines Checks. Nach einer Attacke Victor Hedmans prallt der Kapitän gegen die Bande. Eigentlich eine Aktion, welche in der NHL häufiger zutage kommt. Wie sich später herausstellen sollte, jedoch eine mit weitreichenden Konsequenzen.
  • 7. Januar: Michael Collins, Spezialist für Gehirnerschütterungen, diagnostiziert eine solche beim Center. Das vestibuläre System - bedeutendstes Gleichgewichtsorgan des Menschen - wurde in Mitleidenschaft gezogen. „Diese Symptome, mit denen Sid zu kämpfen hatte, deuteten auf eine lange Genesung hin“, gab Collins Monate danach zu verstehen. Die Öffentlichkeit wurde darüber nicht informiert.

Fans haben ihren Liebling wieder - das ersehnte Comeback ist Realität
  • 31. März: Balancestörungen, Kopfschmerzen sowie Müdigkeit zwangen den jüngsten Kapitän eines Stanley-Cup-Champions (2009/22) zur Auszeit. Drei Monate nach dem folgenschweren Check erhält der prominente Patient „Grünes Licht“ für erste Einheiten. Der Rückschlag folgt auf dem Fuße.
  • Mitte April: Crosby plagen die für solche Traumata typischen Beschwerden – das Ende seiner Comeback-Pläne. Statt Auftritten in den Playoffs steht ein erholsamer Frankreich-Urlaub auf dem Programm. Relaxen und Abstand gewinnen!

  • 2. Juni: Freigabe für die Vorbereitung – „Sid the Kid“ startet mit dem Konditions-Training und schnürt überdies erstmals seine Schlittschuhe.
  • 15. Juli: Intensives Workout - das Fitness-Niveau soll wie gewöhnlich bis zum Penguins-Camp aufgebaut werden. Alles läuft nach Wunsch. Crosby bleibt von Rückfällen verschont, vorerst.
  • 24. August: Abermals klagt der begnadete Spielmacher über Nachwehen, die nächste Zwangspause im beinharten Kampf um das Comeback. Aufkeimender Optimismus weicht Ernüchterung: „Es war definitiv eine frustrierende Phase.“
  • 7. September: Crosby nimmt in der Öffentlichkeit zur Rehabilitation Stellung. „Ich habe noch leichte Kopfschmerzen. Mental fühle ich mich besser als in den Monaten zuvor“, schließt der leidgeprüfte Crack ein Karriereende aus. Das beteuert ebenso Collins, der behandelnde Arzt: „Ich bin zuversichtlich, dass ihm eine lange und erfolgreiche Karriere bevorsteht.“ Licht am Ende des Tunnels.
  • 17. September: „Ich war überglücklich hier draußen zu sein. Es hat riesen Spaß gemacht, mit den Kollegen zu arbeiten. Das Tempo war gut, die härteste Einheit seit langem“, fällt Crosby ein Felsbrocken vom Herzen, ob des Einstiegs in das Camp. Ein weißer Helm zierte das Haupt, damit war er körperkontaktfreie Zone. Gleichwohl schritt die Rehabilitation rapide voran.
  • 13. Oktober: Ein Meilenstein, schließlich trägt der Mittelstürmer wie üblich seinen schwarzen Kopfschutz. Auf die Frage nach den Emotionen während der Full-Contact-Premiere antwortet Crosby: „Sehr Aufregend, ich fühle mich deutlich freier.“ Selbst Head Coach Dan Bylsma lobt seinen Schützling: „Er zeigt Speed sowie Technik auf hohem Niveau, dies schaffen nur wenige Cracks.“ In all den Bewegungen sei wieder der Superstar erkennbar.

"The Next One" hat wieder gut lachen

21. November: „Sid the Kid“ is back

Die Rückkehr eines „der begabtesten Spieler, welche das Eishockey je gesehen hat“ - so pflegt der 41-jährige Penguins-Betreuer das „Gesicht der Franchise“ zu beschreiben – steht unmittelbar bevor. „Ich denke, die Form passt. Den letzten Schliff erhält man einzig und alleine im Wettkampf“, streicht Crosby die Bedeutung ausreichender Eiszeit hervor.

Während sich aufgrund des dicht gedrängten Terminplans mit 13 Partien im Oktober kaum Trainings-Möglichkeiten boten, konnte der MVP des Jahres 2007 Anfang November erstmals mehrere Tage am Stück mit der Mannschaft arbeiten. Mit positiver Tendenz.

„Das Timing wurde besser. Mit jeder Spiel-Situation ging es leichter.“ Nichtsdestotrotz hielten alle Beteiligten dem Druck der Öffentlichkeit stand. Denn bereits vergangene Woche brodelte es in der Gerüchteküche gewaltig.

Konzentrations-Schwächen im Alltag

„Nach den Erfahrungen der letzten Monate wollten wir sicher gehen, dass er bereit ist und wir nichts überstürzen“, begründet Bylsma den sorgsamen Umgang. Durch einen verfrühten Einsatz hätte der Genesungs-Prozess im "Worst-Case" neuerlich bei null begonnen. Und Rückschläge musste er bis zu diesem Zeitpunkt genügend wegstecken.

Crosby, welcher auf dem Eis das scheinbar Unmögliche mit der Leichtigkeit des Seins geschehen lässt, hatte mit alltäglichen Dingen grobe Schwierigkeiten. Autofahren, Fernsehen, Radio hören oder Team-Meetings überforderten den Publikumsliebling, an Video-Analysen war erst gar nicht zu denken.

„Wenn du derart lange warten musstest, wirst du in dieser Phase nicht nervös. Ich bin dem Ziel stets näher gekommen, daher war von fehlender Geduld keine Spur“, signalisiert der Filigran-Techniker.

Bergeron kennt die Schattenseiten

Unterstützung im schwierigsten Abschnitt seiner erfolgsverwöhnten Laufbahn erhielt „Sid“ auch von Konkurrenten. Einer jener war Bruins-Crack Patrice Bergeron. Der Landsmann und Kollege im „Team Canada“ durchlebte die Schattenseiten des Eishockey-Lebens. Nach einem Bandencheck verpasste er 2007/08 mit 72 Grunddurchgangs-Partien und den Playoffs fast die komplette Spielzeit.

„Ich musste Tag für Tag leben. Sobald ich weit in die Zukunft blickte, kam plötzlich Panik auf“, erinnert sich der 26-Jährige zurück. Mit diesen Erfahrungen stand er seinem Freund mit Rat und Tat zur Seite.

„Wir schreiben SMS. Du möchtest ihn nicht belästigen, aber das Gefühl geben, dass Unterstützung da ist. Es klingt klischeehaft, dennoch ist positive Einstellung und Geduld das Wichtigste.“ Attribute, für welche Verantwortliche und Ärzteteam zu sorgen wussten.

„Gleich gut oder besser“

„Er ist es wert, zu warten“, bekräftigte General Manager Ray Shero stets das Vertrauen. Zurecht, denn seine Nummer 87 befand sich vergangenes Jahr im Höhenflug. In 41 Begegnungen verbuchte Crosby 66 Scorerpunkte, hypothetisch hätte dies ein Career-High von 132 Zählern bedeutet.

Zuversicht verbreitete zudem Spezialist Collins, der Wayne Gretzkys designierten Nachfolger unter ständiger Beobachtung hatte. „Sid ist der Ferrari unter den Eishockey-Cracks. Das vestibuläre System ist ausgeprägter als bei anderen. Aus diesem Grund ist er der Beste seines Faches, das zeichnet ihn aus.“

Dank dieser Besonderheiten, außergewöhnlichem Talent und unbändigem Ehrgeiz wird der Angreifer bald an seine Glanzzeiten anknüpfen. Davon ist Bergeron überzeugt: „Er kommt gleich gut oder besser zurück.“

„Wir brauchen ihn, er ist das Gesicht der Liga“

Dass Crosby, ob des Martyriums eine mentale Blockade behalten könnte, glaubt Mastermind Bylsma nicht: „Er zeigte großen Willen, ging vor das Netz und suchte Eins-gegen-Eins-Situationen. Scheu vor Verkehr oder Körperkontakt hat man im Training nicht gesehen.“

Trotz ansprechendem Saison-Verlauf – Pittsburgh hält bei 25 Punkten (Bilanz: 11-6-3) und liegt gleichauf mit Philadelphia, dem Spitzenreiter der Eastern Conference – können die Mitspieler Crosbys Rückkehr in das Lineup kaum erwarten. „Er arbeitete hart, um dafür fit zu werden“, so Left Wing Steve Sullivan, der vor überschwänglicher Euphorie warnt: „Er wird nicht sofort der Alte sein, es wird etwas dauern.“

In der Nacht auf Dienstag werden alle Kameras auf Crosby gerichtet sein. Freund Bergeron ist bewusst: „Wir brauchen ihn, er ist das Gesicht der Liga.“

Christoph Köckeis