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"Die Lebensqualität verbesserte sich drastisch"

Die Flugzeug-Tragödie um die Eishockey-Mannschaft Lokomotiv Yaroslavl löste weltweites Entsetzen aus. In den Erinnerungen wird der 7. September als einer der dunkelsten Momente des Sports lange erhalten bleiben.

Eine Welle der Anteilnahme schwappte infolge über Russland. Familien-Mitglieder, Anhänger sowie Kollegen gedachten der verunglückten Truppe. Eine ganze Nation trug Trauer.

„Den Leuten wurde aufgezeigt, wie schnell es vorbei sein kann. Es hätte jeden treffen können“, ringt Bernd Brückler auch zwei Monate danach um Worte. Schließlich erlebte der 30-jährige Schlussmann die Katastrophe hautnah, verdient er doch seit zwei Jahren in der Kontinental Hockey League (KHL) seine Brötchen.

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Im LAOLA1-Interview schildert der Steirer, wie die Bevölkerung den folgenschweren Absturz verdaut, und äußert sich zur Infrastruktur-Debatte, Thema "Flug-Angst" sowie sportlicher Herausforderung in der „zweitbesten“ Liga der Welt.

LAOLA1: Bernd, mit Arbeitgeber Sibir Novosibirsk befindest du dich mitten in der Saison. Wie fällt die Bilanz nach 20 von 54 Partien des Grunddurchgangs aus?

Bernd Brückler: Wir sind ein sehr junges Teams, daher waren wir uns im Klaren, es wird sowohl Ups als auch Downs geben. Im Moment befinden wir uns auf Platz elf von zwölf Teams im Osten, doch es ist knapp beieinander. Bei mir war es auch etwas schwankend, aber im Großen und Ganzen passt die Leistung. Wir haben gegen Top-Teams super gespielt, andererseits konnten Klubs, wo wir glaubten, dass wir besser wären, nicht geschlagen werden.

LAOLA1: Backup Yury Klyuchnikov löste dich mehrfach zwischen den Pfosten ab. Steht dein Nummer-eins-Status dennoch außer Frage?

Brückler: Wir haben Phasen mit fünf Spielen in neun Tagen. Es ist anstregend, also bekommt er seine Einsätze. Er spielt brav, weiß jedoch wo er steht. Die Positionen sind klar definiert. Natürlich ist Leistung entscheidend. Wenn ich weiterhin so spiele, wird alles so bleiben. Hält er stark und ich habe Partien, wo es nicht gut läuft, können sich die Rollen im Laufe des Jahres verändern.

LAOLA1: Von Torpedo Novgorod bist du im Sommer nach Novosibirsk gewechselt. Was hat dich dazu veranlasst?

Brückler: Ich habe mit Torpedo verhandelt. Sie zeigten Interesse, meinen Vertrag nochmal zu verlängern. Der Verein entschloss sich, den Trainer rauszuwerfen. Ein Finne wurde verpflichtet, der viel Mitspracherecht bei Spieler-Transfers bekam und einen Landsmann für das Tor wollte. Das Ende meiner Zeit, glücklicherweise bekundeten andere KHL-Mannschaften ihr Interesse.

LAOLA1: Stellt dieser Schritt einen sportlichen Aufstieg dar?

Brückler: Beide Teams befinden sich im Liga-Mittelfeld. Im Kader gibt es keine großen Namen, dafür haben wir Talente mit dem Potenzial, Stars zu werden. Es ist eine Herausforderung, hier zu sein. Zudem waren unsere Trainer ein großer Anreiz. Sie befinden sich erst am Anfang der Coaching-Karriere, sind richtig hungrig, wollen etwas erreichen und arbeiten hart für den Erfolg.

LAOLA1: Der Saison-Auftakt wurde von der Katastrophe um Lokomotiv Yaroslavl überschattet. Wie hast du diesen Tag miterlebt?

Brückler: Wir sind ebenfalls zu unserem Auswärtsspiel geflogen. Als wir aus der Maschine gestiegen sind, haben wir plötzlich davon erfahren. Details und Ausmaße waren uns noch nicht bewusst. Über Medien sowie Freunde bekamen wir immer mehr Infos, was wirklich passiert ist.

Brückler war nach Absturz geschockt: "Es hätte jeden Spieler treffen können!"

LAOLA1: NHL-Superstars und Personen aus aller Welt bekundeten Mitgefühl. Wie ging die russische Bevölkerung damit um?

Brückler: Das war natürlich ein Wahnsinn. Wenn man sich vorstellt, dass es unser Flugzeug hätte sein können. Es hätte jeden Spieler treffen können. Mein Tormann-Vorgänger bei Sibir war beispielsweise in dieser Maschine. Einige andere Verunglückte spielten früher ebenfalls in Novosibirsk. Fans legten Blumen sowie Fotos vor unsere Eishalle und zündeten Kerzen an. Diese Tragödie hatte nicht nur mit Eishockey zu tun, eine ganze Nation stand unter Schock. Den Leuten wurde aufgezeigt, wie schnell alles vorbei sein kann.

LAOLA1: Die Lizenz der JAK-42 wäre wenige Wochen später abgelaufen. Zwar wurde unlängst ein Fehlverhalten der Besatzung als Ursache eruiert, dennoch sind solch veraltete Flugzeuge in Russland keine Seltenheit. Steigt man seither mit einer gewissen Angst ein?

Brückler: Natürlich sind sofort Stimmen laut geworden, dass es Bedarf gäbe, teilweise ganze Serien zu erneuern. Bislang hat man wenig gemerkt. Vor kurzem sind wir selbst mit einer alten JAK-42 geflogen. Angst habe ich keine. Es gibt allerdings Spieler, bei denen Fliegen schon zuvor mit mulmigem Gefühl verbunden war. Da tut eine solche Katastrophe nichts Gutes.

LAOLA1: Bezüglich Infrastruktur ist Russland sowieso ein „schlafender Riese“. Wie beurteilst du die Entwicklung der Vergangenheit?

Brückler: Gewaltig! Russland hat generell viel aufzuholen, egal ob es den Zustand von Hallen, Gebäuden, Flughäfen, Straßen oder Spitälern betrifft. Es zieht sich eigentlich durch das ganze Leben. Was sich in den letzten Jahren getan hat, ist unglaublich. Meine russischen Mitspieler bestätigen mir, so etwas gab es damals nicht. Die Lebensqualität verbesserte sich drastisch, man ist auf dem richtigen Weg. Auch in der Liga ist der Trend zu erkennen, es gibt kaum Hallen, die richtig alt wären. Jene in Novosibirsk ist eigentlich eine der wenigen. Zwar sorgen 7.000 Tausend für super Stimmung und wir spielen total gerne dort, aber sie ist ziemlich überholt.

LAOLA1: Entstehen dadurch Schwierigkeiten im Trainings-Alltag?

Brückler: Für uns Spieler gibt es keine Probleme, wir haben alles, was wir brauchen. Swimming-Pool, Sauna, Basketball-Platz, eine kleine Fußball-Halle und Kraftkammer - solch Dinge sind vorhanden, nur eben etwas in die Jahre gekommen. In Minsk, Omsk oder St. Petersburg stehen hingegen absolute Top-Arenen auf NHL-Niveau, davon sind wir weit entfernt.

LAOLA1: Herrscht auch bezüglich Professionalität im Umfeld noch Nachholbedarf?

Brückler: Es gibt nach wie vor Potenzial. Mit der Einführung der KHL wurden ein Schritt in die richtige Richtung gemacht. Die Verantwortlichen bemühen sich, diese Professionalität, welche in der NHL an den Tag gelegt wird, einzubauen. Mittlerweile gibt es Profi-Schiedsrichter, die in den ersten Jahren noch Amateure waren. Auch Eishallen ließ man renovieren, um den Standard hoch zu halten. Es wird versucht, so nah wie möglich an die NHL heranzukommen.

LAOLA1: Die National Hockey League ist hinlänglich als DIE Elite-Liga bekannt, dahinter folgt die KHL. Obwohl es kein übergreifendes Kräftemessen gibt, wird man das Gefühl nicht los, als wolle man mit den USA konkurrieren. Was hältst du davon?

Brückler: Viele Russen sind in der NHL Superstars. Auch Ausländer, die dort Leistungsträger waren, sind zurückgekommen. Das liegt mitunter daran, dass Gagen sehr hoch sein können. Solche Spieler in der KHL zeigen, die Liga ist einfach stark. Man will was aufbauen, um sich zu einem ernstzunehmenden Konkurrenten zu entwickeln.

LAOLA1: Wie schätzt du die Qualität im Vergleich zur NHL ein?

Brückler: Das Niveau ist sehr hoch. In Russland wird viel Wert auf Schnelligkeit sowie Technik gelegt. Das Körperspiel wird in Nordamerika sicher mehr forciert, es ist in der KHL sogar etwas weniger als in der finnischen Liga, wo ich vorher gespielt habe. Dafür ist die technische Qualität exzellent. Wie man das vergleichen kann, ist schwer zu sagen, weil die Eisfläche auch komplett unterschiedlich ist. Hier wird auf einer großen olympischen gespielt und in der NHL auf einer kleineren.

LAOLA1: Stichwort Finnland: Warum hast du 2009 beschlossen, dein sportliches Glück in der KHL zu suchen? Deine Verbundenheit zum „Land der 1000 Seen“ ist bekanntermaßen ungebrochen.

Brückler: Genau, Finnland ist mein Lebens-Mittelpunkt. Während der Sommer-Monate bereite ich mich dort auf die Saison vor. Wir haben ein Haus, meine Familie lebt dort. Frau Veera und die beiden Kinder haben die Unterstützung der Schwiegereltern. Mein Wechsel war eine Karriere-Entscheidung. Wenn man die Chance bekommt, in der KHL zu spielen, muss man es in Anspruch nehmen.

Das Gespräch führte Christoph Köckeis