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"Hinter dem Netz stehen einfach echte Freunde"

Wenn Italien heute im Viertelfinale der Volleyball-Europameisterschaft auf Finnland trifft, ist dies für einen Mann weit mehr als das Duell um den Einzug unter die letzen vier.

Für "Azzurri"-Coach Mauro Berruto ist es das Spiel der Spiele. Der Italiener stand sechs Jahre lang, so lange wie niemand zuvor, an der Seitenlinie des heutigen Gegners Finnland und zeichnete sich in dieser Zeit hauptverantwortlich für den rasanten Erfolgs- und Popularitäts-Anstieg des dortigen Volleyball-Nationalteams.

Im Dezember 2010 kehrte er mit ähnlichem Auftrag in seine italienische Heimat zurück. Der 42-Jährige sollte die sechs Jahre währende Durststrecke der einst so erfolgsverwöhnten Volleyball-Großmacht beenden und Italien wieder zurück in die absolute Weltspitze führen.

Bei LAOLA1 spricht Berruto über seine emotionelle Gefühlslage, warum die Italiener in Sachen Erwartungshaltung umdenken müssen und Österreich schon jetzt eine Reise wert war.

LAOLA1: Die Vorrunde in Innsbruck ist zu Ende und Italien hat sich als Gruppenerster direkt für das Viertelfinale qualifiziert. Wie zufrieden sind Sie mit ihrer bisherigen Leistung?

Mauro Berruto: Ich bin extrem glücklich darüber, weil es ein riesengroßer Schritt vorwärts war. Das Team hat bewiesen, dass es Qualitäten in seiner Einstellung, sowie in seinen Kampffähigkeiten hat, um ein Spiel nach schwachem Start noch zu drehen, und zudem das Potential besitzt, um gutes Volleyball bieten zu können.

LAOLA1: Ist es ein Nachteil, dass sich Italien erst auf die neue Halle in Wien einstellen muss?

Berruto: Ich würde sagen, das ist ein angenehmes Problem. Weil wir wissen, dass die Spiele in Wien sehr wichtig sein werden. Wir sind stolz dort spielen zu dürfen und freuen uns sehr darauf.  Außerdem war die Organisation bisher perfekt. Innsbruck und Österreich sind eine Stadt und ein Land mit enormer sportlicher Kultur. Das zeigt allein die Tatsache, dass hier bereits zwei olympische Winterspiele stattgefunden haben. Die Menschen hier wissen, wie man ein Event zu organisieren hat. Außerdem war ich zuvor noch nie in Innsbruck und muss sagen, dass es eine wirklich wunderschöne Stadt ist.

LAOLA1: Das bevorstehende Viertelfinal-Duell mit Finnland ist für Sie wohl ein ganz besonderes Spiel.

Berruto: Auf jeden Fall. Ich habe so viele Gefühle im Bauch, dass es schwer ist, darüber etwas zu sagen. Wir haben ja bereits in der Vorrunde in Innsbruck gegeneinander gespielt und da habe ich viele Menschen wieder getroffen die für mich von großer Bedeutung waren und hoffe, dass ich auch ein bisschen wichtig für sie war. Ich habe jedenfalls, auf und neben dem Platz, sechs sehr schöne Jahre meines Lebens mit ihnen verbracht. Manchmal erkennt man erst wie wichtig einem manche Dinge sind, wenn man es aus der Entfernung betrachtet. Hinter dem Netz stehen einfach echte Freunde.

LAOLA1: Sie haben das finnische Volleyball quasi aus den Kinderschuhen herausgeholt und an die Weltspitze herangeführt. Auch das muss eine besonders schöne Erinnerung sein.

Berruto: Absolut. Ich bin sehr stolz darauf, Teil dieser Erfolgsgeschichte gewesen zu sein und zu sehen, wie wichtig Volleyball in Finnland geworden ist.  Heute kann man alleine anhand der Anzahl der Menschen auf den EM-Tribünen sehen, welche Bedeutung Volleyball in Finnland inzwischen hat. Die Atmosphäre bei unserem Duell in Innsbruck war so, als würde man in der Hakametsä-Arena in Tampere sitzen.

LAOLA1: Im Gegensatz zu den fanatischen finnischen Fans waren unerwarteter Weise kaum Fans ihres aktuellen Teams Italien in der Halle. Warum sind die „Tifosi“ der EM bisher fern geblieben?

Berruto: In Italien haben wir etwas mehr Konkurrenz, weil Volleyball von vielen anderen Sportarten mit großer Bedeutung umringt ist. Dagegen gibt es keine Medizin. Ich bin mir aber sicher, dass im Falle des Aufstiegs ins Halbfinale auch unsere Fans zahlreicher kommen werden.

LAOLA1: Spielt es hier vielleicht auch eine Rolle, dass das erfolgsverwöhnte Italien seit sechs Jahren bei internationalen Großveranstaltungen auf einen Podiumsplatz warten muss?

Berruto: Das spielt auf jeden Fall eine Rolle. Gerade weil das italienische Volleyball eine so erfolgreiche Geschichte hat. Allerdings ist diese Historie auch mitverantwortlich für die letzten sechs erfolglosen Jahre. In manchen Momenten hat sie sich wie ein schwerer Stein auf die Schultern unserer Spieler gesetzt und diese so belastet, dass wir phasenweise einfach nicht gewinnen konnten. Ich hoffe und wünsche mir von meinen Spielern, dass sie diesen Stein bald ablegen. Wir müssen Tag für Tag lernen, damit richtig umzugehen. Das Italien von heute ist einfach nicht mehr das Italien der 90er. Heutzutage gibt es mehr Länder auf Top-Niveau, die allesamt Titel gewinnen können. Man hat bereits im Verlauf des Turniers gesehen, dass die Teams immer näher zusammenrücken. Aber wir haben sicherlich eine gute und talentierte Mannschaft.

LAOLA1: …die zudem noch sehr jung ist! Nach ihrem Umbruch im Team ist mit Luigi Mastrangelo nur mehr ein Spieler der „Alten Garde“ mit dabei. Ist das Team vielleicht noch zu unerfahren für den ganz großen Triumph?

Berruto: Mit jedem Match schreiben sie ihre Geschichten und sammeln Erfahrung und das Gefühl, dass man Volleyball manchmal mit Blocks, Annahmen und Angriffen spielen und es manchmal einfach aus dem Herzen kommen muss. Damit wir etwas erreichen können, müssen wir beides besitzen. Ein Team, das kämpfen kann, welches dafür aber vielleicht nicht das beste Volleyball spielt, dafür aber im Stande ist, aggressiv zu spielen und sich quasi im Nacken des Gegners festzubeißen. Und ein Team, das besseres Volleyball spielt, und mit großer Aggressivität in Service, Blocks und Diagonal-Angriffen spielen kann.

LAOLA1: Österreich scheint für Italien ein guter Volleyball-Boden zu sein. Schließlich haben die „Azzurri“ 1999 bei der letzten EM in Wien den Titel gewonnen!

Berruto: Ich bin ehrlich gesagt mehr auf die Tatsache fokussiert, dass Italien seit 2005 bei den wichtigen Turnieren keine Medaille mehr gewinnen konnte. Aber wir dürfen uns nicht verstecken und werden alles versuchen um bis zum letzten Tag der Euro in Wien zu bleiben, es also bis ins Finale zu schaffen. Soweit dürfen wir jetzt aber noch nicht denken. Dieses Turnier ist sehr kurz, darum ist es wichtig, das Momentum auf seine Seite zu bekommen. Wir müssen Schritt für Schritt vorwärts gehen, dürfen uns nicht stressen, aber auch nicht stehenbleiben. Wenn wir das schaffen und uns vollkommen auf die jeweils nächste Partie konzentrieren, dann werden wir sicher unsere Rolle spielen.

Das Gespräch führte Christoph Walter