Und wenn du denkst, besser geht’s nicht mehr, kommt von irgendwo die Tour daher.
Eine ohnehin dramatische Tour de France 2011 ist um ein packendes Kapitel reicher. Die 19. Etappe mit der Bergankunft in Alpe d’Huez bot alles, was das Herz begehrt und sorgte einmal mehr für einen Pulsschlag jenseits der 180.
Ob nun die Wahnsinns-Attacke des Alberto Contador, der im Mute der Verzweiflung einen letzten Angriff unternahm, oder die zu Ende gegangene Leidenszeit der Franzosen, die sich über den ersten und zugleich heftig diskutierten Tagessieg von Pierre Rolland freuen durften – die letzte Bergetappe spielte alle Stückerl.
LAOLA1 rollt das Tagesgeschehen noch einmal auf und analysiert die wichtigsten Szenen und Entscheidungen.
*) Machte Alberto Contadors Attacke Sinn?
Nach seinem Einbruch in Serre Chevalier wollte sich der Madrilene nicht kampflos ergeben und lancierte früh einen Angriff. Damit setzte er seine Konkurrenten unter Druck. Im Endeffekt verpuffte die Attacke, da alle Favoriten vor dem Anstieg nach Alpe d’Huez wieder zusammen rollten. Contador riss zwar erneut aus, doch auf den letzten Kilometern machte sich der Kräfteverschleiß bemerkbar, wodurch er den Etappensieg noch aus der Hand gab. Am Ende steht der 28-Jährige mit leeren Händen da, zugleich kann er aber auch behaupten, alles getan zu haben, um doch noch eine Wende herbei zu führen.
*) Darf man Cadel Evans schon zum Tour-Sieg gratulieren?Auch wenn es wie eine billige Floskel klingt: Das Rennen ist erst in Paris zu Ende. Natürlich ist der Australier der deutlich stärkere Zeitfahrer und natürlich ist der mit 42,5 Kilometer bemessene Kampf gegen die Uhr für einen Bergspezialisten wie Andy Schleck wohl zu lang, doch es wäre nicht das erste Mal, dass ein Leader über sich hinauswachsen würde. Man erinnere sich nur an die „Große Schleife“ 2008. Evans lag vor dem Zeitfahren (damals über 53 Kilometer) „nur“ 1:34 Minuten hinter Carlos Sastre, machte aber lediglich 29 Sekunden wett und musste sich nach 3.559,5 Kilometern um 58 Sekunden geschlagen geben. Evans hinterließ bislang einen blendenden Eindruck, doch auch er ist – wie am Télégraphe gesehen – nicht vor Defekten gefeit.
*) Hätte das Gruppetto ausgeschlossen werden sollen?
Geht man streng nach Reglement, dann ja. Sprintstars wie Mark Cavendish und Tyler Farrar, die Zeitfahrspezialisten Fabian Cancellara und Tony Martin, „Road Captain“ Bernie Eisel und zahlreiche weitere Fahrer verpassten gleich zwei Mal in Folge das Zeitlimit. Der bereits ausgestiegene Andreas Klöden hätte alle nach Hause geschickt, da „wir Klassementfahrer auch jeden Tag voll fahren müssen“. Die Jury drückte ein Auge zu und zog den betroffenen Fahrern lediglich 20 Punkte ab. Die Fahrer haben sich geschickter Weise zu einer mehr als 80-köpfigen Gruppe zusammengeschlossen. Hätte die Jury durchgegriffen, hätte sich das Peloton halbiert. So aber dürfen sich die Fans auf das Zeitfahr-Duell Cancellara gegen Martin sowie einen packenden Schlusssprint auf den Champs Élysées freuen.
Christoph Nister
*) Haben sich die Schlecks taktisch klug verhalten?
Diese Frage stellt sich nur bedingt. Andy und Fränk wollten Contador am Col du Télégraphe nicht ziehen lassen, doch nur der jüngere der beiden Brüder konnte folgen. Daher war klar, dass Andy nicht gemeinsam mit dem Titelverteidiger Tempo machen würde. Am Schlussanstieg schienen beide Leopard-Kapitäne am Limit zu fahren. Bei Fränk machte sich dies bemerkbar, da er mehrfach den Anschluss zu verlieren drohte. Bei Andy waren die Nachwehen nach seinem Husarenritt vom Donnerstag ersichtlich, da er nicht mehr in der Lage war, den Turbo zu zünden und Evans unter Druck zu setzen.
*) Hat sich Pierre Rolland sportlich korrekt verhalten?
Endlich dürfen die Franzosen über einen Etappensieg jubeln. Rollands Triumph in Alpe d’Huez - es ist erst der zweite französische Erfolg bei dieser prestigeträchtigen Ankunft nach Bernard Hinault 1986 (siehe Tabelle) - war der erste für die „Equipe Tricolore“ in diesem Jahr. Doch nicht alle freuten sich mit dem Europcar-Edelhelfer. Schnell wurde Kritik laut, er hätte im Anstieg keine Führungsarbeit geleistet und nicht attackieren dürfen. Ob dies nun korrekt war oder nicht, ist eine Streitfrage. Denn einerseits ist es üblich, dass Fahrer aus der Equipe des Mannes in Gelb nicht führen müssen. Andererseits war Voeckler im Feld der Favoriten längst abgehängt und Rolland verfolgte nur noch eigene Interessen (neben dem Etappensieg die Übernahme des Weißen Trikots). Auch wenn es kritische Stimmen gibt, so hat sich Rolland alleine aufgrund seiner fantastischen Helferdienste in den letzten Tagen diesen Sieg mehr als verdient.
Jahr | Sieger | Jahr | Sieger |
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1952 | Fausto Coppi (ITA) | 1990 | Gianno Bugno (ITA) |
1976 | Joop Zoetemelk (NED) | 1991 | Gianno Bugno (ITA) |
1977 | Hennie Kuiper (NED) | 1992 | Andrew Hampsten (USA) |
1978 | Hennie Kuiper (NED) | 1994 | Roberto Conti (ITA) |
1979 | Joaquim Agostinho (POR) | 1995 | Marco Pantani (ITA) |
1979 | Joop Zoetemelk (NED) | 1997 | Marco Pantani (ITA) |
1981 | Peter Winnen (NED) | 1999 | Giuseppe Guerini (ITA) |
1982 | Beat Breu (SUI) | 2001 | Lance Armstrong (ITA) |
1983 | Peter Winnen (NED) | 2003 | Iban Mayo (ESP) |
1984 | Luis Herrera (COL) | 2004 | Lance Armstrong (USA)* |
1986 | Bernard Hinault (FRA) | 2006 | Fränk Schleck (LUX) |
1987 | Federico Echave (ESP) | 2008 | Carlos Sastre (ESP) |
1988 | Steven Rooks (NED) | 2010 | Alberto Contador (ESP)** |
1989 | Gert-Jan Theunisse (NED) | 2011 | Pierre Rolland (FRA) |
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** Bei der Dauphiné |