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Paischer und die Jagd nach dem "Welttitel"

Paischer und die Jagd nach dem

Egal ob Tag-Nacht, Gedichte oder weibliche Stimmungsschwankungen – vieles ist an Zyklen gebunden. Mit Ludwig Paischers Formkurve verhält es sich nicht anders.

Fast zwei Jahre musste der 29-Jährige nach seinem Grand-Slam-Sieg 2009 in Rio de Janeiro warten, bis er im Juni mit Sao Paulo wieder ein Weltcup-Turnier gewann.

Eine lange Durststrecke für jemanden, der auf dieser Ebene bereits 25 Mal auf dem Podest, davon zehn Mal ganz oben, stand.

„Aber ich denke deshalb jetzt nicht negativ“, bleibt der zweifache Europameister mit Ausblick auf die am Dienstag beginnende Judo-Weltmeisterschaft in Paris (Auslosung) gelassen. Warum auch nicht, schließlich ist das Durchschreiten eines sportlichen Tals für Paischer nicht neu.

Bewährtes Vorgehen

Es war 2007, als Paischer knapp ein Jahr vor den Olympischen Spielen in Peking einen Durchhänger hatte. Und wie die Geschichte damals ausging, ist ja hinlänglich bekannt: Paischer holte in der chinesischen Hauptstadt Silber.

Einen olympischen Zyklus später – also heute – muss der 60-kg-Kämpfer neuerlich mehr einstecken, als er austeilt. Die Formkurve zeigt nach den jüngsten Ergebnissen (Dritter beim Weltcup in Bukarest und besagter Sieg in Sao Paulo) allerdings leicht nach oben.

Gerade rechtzeitig für die anstehende WM, bei der Paischer gleich am Eröffnungstag auf die Matte steigen wird.

Es muss der große Wurf sein

Das Ziel dort ist eine Medaille, womit er es den bislang letzten vorolympischen Welttitelkämpfen 2007 in Rio de Janeiro, als er Bronze holte, gleich tun würde. Angesichts seiner Leistungen bei den diesjährigen Grand Slams, wo er durch die Bank in der Vorrunde ausschied, ist man in Fachkreisen ob dieser ambitionierten Pläne allerdings skeptisch.

Paischer denkt da naturgemäß anders. Sein insgeheimer Wunsch liegt sogar noch höher. Nach seinen zweiten Plätzen bei Weltmeisterschaften (2005) und Olympischen Spielen treibt den ehrgeizigen Bodenkampf-Spezialisten nur noch ein Ziel voran: „Ich möchte einen Welttitel gewinnen.“ Ob Olympia oder WM, ist ihm im Prinzip egal.

„Für das, was ich in meinem Leben trainiert habe, will ich nicht nur irgendwo Dritter werden“, begründet Paischer. Mit dieser Einstellung stehe er nicht alleine da.

Die zu Ende gehende Krise werfe ihn nicht aus der Bahn: „So etwas gehört dazu. Ich bin überzeugt, dass sich niemand vier Jahre lang an der Spitze halten kann.“

Der verflixte Daumen

Einer der Hauptgründe für besagte Krise ist die Daumen-Verletzung, die er sich bei der Final-Niederlage bei der Heim-EM 2010 in Wien zuzog. 2011 beteuerte er vor beinahe jedem Grand Slam, dass der Finger wieder gut sei – wie übrigens jetzt auch vor der WM – doch die Ausbeute war stets gleich – und zwar enttäuschend. Sind die Aussagen über den Zustand seines Fingers nur leeres Gerede? Oder lag es gar an etwas anderem?

„Nein, es war schon der Daumen. Er hat lange gebraucht. Es war wichtig, dass ich eine Pause eingelegt habe.“

Ludwig Paischer rechnet sich Chancen auf WM-Edelmetall aus
Doch auch wenn die physische Ursache größten Teils (Paischer: „Manchmal tut der Daumen noch ein bisschen weh, allerdings ist es kein chronischer Schmerz mehr.“) verschwunden ist, ist das Problem in der Psyche noch existent.

„Zuletzt ist es vorgekommen, dass ich wegen des Daumens während des Griffkampfs eine Schonhaltung eingenommen habe“, erklärt der Paris-Sieger von 2005. Was dabei rauskommt, wurde beispielsweise beim Grand Slam in Moskau sichtbar. Dort beherrschte er seinen chinesischen Auftaktgegner Lamusi zunächst nach Belieben. Als der Asiate aber das erste Mal seinen Griff im Nacken setzen konnte, blieb Paischer völlig passiv und wurde prompt mit einem Uchimata (Innenschenkelwurf) aus dem Bewerb geworfen.

Der Unterschied zwischen Matte und Becken

„In Moskau habe ich diese Schonhaltung eingenommen. Das muss ich rausbekommen“, sagt Paischer. Um dies in die Tat umzusetzen, hat Paischer zuletzt unzählige Flugkilometer zurückgelegt.

Reisen nach Japan, Spanien und Brasilien standen auf dem Programm. Für Paischer sind große Distanzen kein Muss, vielmehr ist es die Suche nach leistungsstarken Sparring-Partnern, die ihn in den Flieger klettern lässt.

„Für uns ist es nicht so leicht wie für die Schwimmer, die nur in ein Becken reinhüpfen brauchen. Im Judo kannst du ohne starke Trainingspartner nichts erreichen.“

Kampf gegen die Wachablöse

Während Paischer versucht, sich weiterzuentwickeln, hat es der Judo-Sport längst getan. Als mit 2009 der direkte Griff zum Bein des Gegners verboten wurde, wurde eine tiefschürfende Veränderung des Kampfstils insbesondere in den leichten Gewichtsklassen, wo Techniken aus dem Ringsport bis dato stark forciert wurden, eingeleitet.

Auch für Paischer, der dadurch eine seiner Spezialtechniken verlor, ein herber Einschnitt. Seither hat eine neue Generation an Kämpfern, angeführt von Rishod Sobirov (UZB) und Georgii Zantaraia (UKR), das Sagen in der Klasse bis 60 kg. Ist es da für Paischer überhaupt noch möglich, den Weg zurück an die Spitze zu finden?

„Klar haben die Jungen einen Vorteil. Wir Arrivierten müssen unser Kampf-Konzept, mit dem wir jahrelang gut gefahren sind, plötzlich umstellen. Das ist nicht leicht. Aber wenn ich nicht daran glauben würde, es zu schaffen, hätte ich schon aufgehört. Außerdem habe ich auch nach der Regeländerung bereits gute Ergebnisse abgeliefert“, wischt Paischer alle Bedenken vom Tisch.

Karten neu gemischt

Dass Paischer am Dienstag in Paris ganz oben steht, wird ganz schwer. Das weiß er auch selbst. „Für mich ist Sobirov der Top-Favorit.“ Der Usbeke gewann heuer alle Turniere, bei denen er an den Start ging.

Aus heutiger Sicht gilt der 24-Jährige, der in souveräner Manier – er hat fast doppelt so viele Punkte wie der zweitplatzierte Zantaraia – die Weltrangliste anführt, auch als heißester Gold-Tipp für London.

Doch dort will auch Paischer wieder ein Wörtchen mitreden: „Ich bin mir sicher, dass ich mit einer gezielten Vorbereitung dann wieder zu den Top-Favoriten gehöre.“

Reinhold Pühringer