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"Wir brauchen einen Spieler wie Arnautovic"

Immer wieder betonte Marcel Koller: „Ich möchte die Spieler spüren.“ Auf dem Trainingsplatz und abseits davon, ganz einfach in der täglichen Zusammenarbeit.

Nach Wochen des Reisens, des Planens und der Kontaktaufnahme fiebert der 50-Jährige spürbar jenem Bereich seines Jobs entgegen, wo er den größten Einfluss auf seine Schützlinge hat.

„Ich freue mich darauf, die Spieler kennenzulernen, und zwar nicht nur in der Theorie, sondern in der Praxis auf dem Platz“, erklärte der Schweizer im Rahmen seiner ersten Kaderbekanntgabe als ÖFB-Teamchef.

Die Zahl der Überraschungen im 23-Mann-Aufgebot für das freundschaftliche Länderspiel am 15. November in der Ukraine hält sich in Grenzen. Im Großen und Ganzen basiert der Kader am von Vorgänger Didi Constantini und Interims-Coach Willi Ruttensteiner selektierten Spielermaterial.

Erstmals A-Team-Luft werden lediglich die beiden Austrianer Heinz Lindner und Florian Mader schnuppern.

Während Paul Scharner und Ekrem Dag verletzungsbedingt fehlen, kehren Emanuel Pogatetz, Martin Harnik und Franz Schiemer nach überstandenen Blessuren ins Aufgebot zurück, ebenso wie Erwin Hoffer, der für die abschließenden EM-Qualifikations-Spiele in Aserbaidschan und Kasachstan nicht berücksichtigt worden war.

LAOLA1 bietet einen Überblick über die wichtigsten Erkenntnisse der ersten Kaderbekanntgabe Kollers:

DIE GOALIE-SITUATION:

Jürgen Macho und Christian Gratzei sind verletzt, Helge Payer fand nicht einmal auf der Abrufliste Berücksichtigung. Keine Frage: Auf einer Position, in der Österreich traditionell die Qual der Wahl hatte, herrscht aktuell Personalknappheit. Dies führt zum Kuriosum, dass Koller bei seinem Einstand auf zwei Goalies eines Vereins setzt – und zwar auf die beiden Austrianer Pascal Grünwald und Heinz Lindner. Das Trio komplettiert mit Düsseldorf-Legionär Robert Almer ein Ex-Veilchen. „Bei den Torhütern haben wir viele Verletzte oder solche, die nicht spielen. Das ist eine schwierige Situation“, gesteht Koller, für den es wichtig ist, die Schuld nicht immer nur beim Schlussmann zu suchen: „Der Tormann kann nicht immer auf gut Deutsch das ärmste Schwein sein. Entscheidend ist, dass alle zehn Feldspieler für den Torhüter arbeiten. Im Gegenzug erwarte ich vom Tormann, dass er nach Balleroberung das Spiel schnell macht.“ Da bei der Austria noch unklar ist, ob Lindner Grünwald ablösen wird, sind beide mit von der Partie. „Lindner ist mit dabei, weil er viel Talent hat. Er hat im U21-Team einen guten Eindruck hinterlassen“, erklärt Koller. Mit Almer wird der Eidgenosse am Freitag bei einem Besuch in Düsseldorf Kontakt aufnehmen. Der 50-Jährige möchte bei dieser Zusammenkunft diesem Trio auf die Hände schauen, ohne sich im Vorfeld auf eine Nummer eins festzulegen. „Ich möchte am Trainingsplatz ein Gespür bekommen: ‚Mit dem mache ich das, der ist heiß, der brennt.‘“ Der Frage, warum Payer kein Thema gewesen ist, wich Koller geschickt aus: „Alle anderen sind aufgefordert, durch gute Leistungen Aufmerksamkeit zu erregen.“

DEBÜTANT FLORIAN MADER:

Als einziger Neuling unter den Feldspielern hat Florian Mader den Sprung in den Kreis des Nationalteams geschafft. Der Austrianer nimmt den Kampf um einen der beiden Plätze im defensiven Mittelfeld im vermutlichen 4-2-3-1-System auf. „Er hat sich als sehr auffälliger Spieler präsentiert, der technisch sehr gut ist, den Ball sucht und ihn verteilen kann, ein gutes Passspiel hat, gute lange Bälle spielt. Das hat er eigentlich bei jedem Spiel gezeigt“, verdeutlicht Koller, der auch seine Erwartungen an den Neuling klar und deutlich formuliert: „Ich wünsche mir, dass er viel unterwegs ist, gute Organisation in seinem Spiel hat, aus der Zentrale das Spiel ankurbelt und die Spieler vor ihm in Position bringt.“

DER UMGANG MIT ARNAUTOVIC:

Marko Arnautovic muss mit vielen Vorurteilen leben – teilweise selbst verschuldet, teilweise auch nicht. Koller betonte stets, dass er sich sein eigenes Bild vom Werder-Legionär machen will, und setzte dieses Vorhaben auch in die Tat um. „Ich denke, dass er ein sehr angenehmer Mensch ist. Wenn man unter vier Augen mit ihm spricht, merkt man, dass er seine Linie hat“, erklärt der Schweizer, der die hochveranlagte Offensivkraft wiederum auf seine Linie bringen will. Diesbezüglich beließ er es nicht bei verbaler Kommunikation, sondern setzte gleichzeitig auf den Vorführeffekt: „Ich habe ihm eine acht Minuten lange DVD zusammengeschnitten, um ihm zu zeigen, wie ich sein Spiel sehe, und was ich haben möchte.“ Dabei hätte es sich ausschließlich um positive Szene gehandelt, denn: „Nach den Spielen in Aserbaidschan und Kasachstan musste er medial einiges einstecken. Marko braucht jemanden, der ihm sagt, was er gut macht.“ Gelingt es Koller das Vertrauen von Arnautovic zu gewinnen, und gelingt es diesem, das Vertrauen auf dem Platz zurückzuzahlen, wäre allen Beteiligten geholfen: „Marko ist ein hervorragender Spieler, der spielerische Qualitäten hat, wo ich sage: Wir brauchen so einen Spieler. Unsere Aufgabe ist es, ihn so zu führen, dass es okay ist und wir mit ihm leben können.“

DIE PROBLEMZONE AUSSENVERTEIDIGUNG:

Kollers Ziel ist es, dass jede Position doppelt besetzt ist. Vor allem in der Außenverteidigung wartet diesbezüglich noch Arbeit. Während links Christian Fuchs allein auf weiter Flur ist, steht nach dem Ausfall Dags mit Florian Klein auch nur ein Rechtsverteidiger im Aufgebot. Der Teamchef weiß um dieses Problem und versucht diesmal zu improvisieren: „Die Überlegung ist, den einen oder anderen Spieler im Training auf einer anderen Position zu versuchen und zu sehen, ob wir so eine Alternative für die Zukunft haben.“ Von den sechs potenziellen Innenverteidigern im Kader haben Manuel Ortlechner (links) und Franz Schiemer (rechts) Erfahrung auf der Außenposition. 2012 dürfte der von Constantini ins Abseits gestellte György Garics große Chancen auf ein Comeback haben. Koller: „Garics hat nach seiner Verletzung erst ein Spiel absolviert. Wir werden ihn weiter beobachten.“

DIE KAPITÄNSFRAGE:

Während des ÖFB-Camps in der kommenden Woche wird Marc Janko als Kapitän fungieren. Mit der endgültigen Entscheidung, wer sein Spielführer sein wird, möchte sich Koller jedoch noch ein wenig Zeit lassen: „Ich möchte sehen, wie die Spieler im täglichen Zusammenleben miteinander umgehen.“ Darüber, welche Rolle der Spieler mit der Schleife am Arm innerhalb der Mannschaft haben sollte, hat der 50-Jährige klare Vorstellungen: „Der Kapitän sollte der verlängerte Arm des Trainers sein, die Philosophie tragen, vorne weg gehen, die jungen Spieler unterstützen, das Bindeglied zwischen Mitspieler und Direktorium sein.“ Eine Stammplatzgarantie würde das Amt jedoch nicht mit sich bringen: „Das heißt nicht, dass ein Kapitän immer spielt, auch wenn es gut wäre und so sein sollte.“

DIE KONTINUITÄT:

Kollers Vorteil bei seinem Amtsantritt ist es, dass er keinen Neuaufbau starten muss, sondern auf ein solides Grundgerüst an Spielern zurückgreifen kann. Einerseits gilt es nun, die Schützlinge mit seiner Philosophie vertraut zu machen, andererseits die eine oder andere weitere Alternative zu finden. Deswegen kündigt Koller an, in den Freundschaftsspielen bis zum Auftakt der WM-Qualifikation auf einigen Positionen zu testen. „Wir wollen einen Kader von 30 Spielern aufbauen, der vielleicht mit einigen jüngeren Spielern auf 40 erweitert wird.“ Jene Akteure, die er ins Aufgebot für das Ukraine-Spiel geholt hat, seien jedoch keinesfalls gesetzt: „Diese Spieler haben keinen Freifahrtsschein.“ Dass ein Kicker bei seinem Verein Stammspieler sein muss, um fürs Nationalteam nominiert zu werden, sieht der Schweizer nicht als Grundbedingung („Dann könnte es sein, dass wir bei jedem Spiel ein neues Team haben.“). Vielmehr gelte es Kandidaten zu finden, die zu seinem Konzept passen. Dennoch: „Wenn ein Spieler ein halbes Jahr nicht spielt, fehlt ihm die Spielpraxis.“

Peter Altmann