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Auf dem Weg nach oben

Auf dem Weg nach oben

Michael Gregoritsch setzt einen Grinser auf. Nein, drei Tore in einem Spiel seien ihm als Profi noch nie gelungen. „Es nervt mich, dass ich den Ball nicht erwischt habe. Wenn man drei Tore schießt, darf man ja normalerweise den Ball mit nach Hause nehmen. Ich muss noch mit unserem Zeugwart sprechen, damit ich den Ball doch noch bekomme“, sagt er.

Der Dreierpack beim 7:0 der ÖFB-U21 in der EM-Qualifikation gegen Aserbaidschan hat wieder einmal bewiesen, dass der 21-Jährige mittlerweile zu den besten Stürmern des Landes gehört. Der Steirer hat in den vergangenen Jahren eine erstaunliche Entwicklung genommen.

Seine ehrliche Freude nach jedem Tor, das Winken zur Familie auf der Tribüne und der Grinser in Richtung Papa auf der Trainerbank beweisen aber auch: Obwohl er in seinen jungen Jahren schon so viel erlebt hat, ist er noch längst nicht zum zynischen Profi-Kicker geworden. Wenn der Youngster über Fußball spricht, tut er das mit einem Leuchten in den Augen. Da werden keine Phrasen gedroschen. Gregoritsch ist authentisch geblieben.

Und er ist weiterhin auf dem Weg nach oben. Für die A-Länderspiele gegen Montenegro und Liechtenstein stand er erstmals auf Abruf. Nicht wenige rechnen damit, dass er noch vor der EURO 2016 sein Debüt unter Marcel Koller geben wird.

„Ich bin sehr stolz, mit 21 Jahren das erste Mal auf Abruf zu stehen. Das hat mich schon überrascht und riesig gefreut. Ich sehe das als Wertschätzung für meine Arbeit. Die Teilnahme an der EURO 2016 ist mein Traum. Es liegt an uns, die auf Abruf stehen, zu zeigen, dass wir der Mannschaft helfen können, wenn jemand ausfällt – genau das ist unsere Aufgabe. Dass dieser Traum von der EM relativ nahe ist, heißt nicht, dass ich mich zurücklehne. Ich muss Qualität zeigen. Ich muss zeigen, dass ich bereit bin. Nur, weil ich in drei Spielen sechs Tore geschossen habe, kann ich nicht beim nächsten Mal einen Kasperl runterspielen. Wenn ich mir ansehe, wieviele Spieler auf meinen Positionen wöchentlich Top-Leistungen bringen und Stammspieler sind… Ich bin auch relativ gut in die Saison gekommen, habe viele Spiele gemacht, war mit meinen Leistungen aber noch nicht zufrieden. Ich will nächstes Jahr im Sommer sagen können: ‚Ich habe für meinen Traum, bei der EURO 2016 dabei zu sein, alles getan.‘“

Gregoritsch ist ein Spieler aus jener Generation, die die österreichischen Fans träumen lässt. Es sind die Schaubs, die Lazaros, die Hintereggers und Schöpfs, die auf eine Zukunft, in der Teilnahmen an Großveranstaltungen wieder Normalität werden, hoffen lassen. Gregoritsch ist einer von ihnen.

Als der Offensivspieler im April 1994 zur Welt kam, saß ein junger Herbert Prohaska auf der Teamchef-Bank. Dementsprechend sind auch die Erinnerungen an die vergangenen Turniere mit ÖFB-Beteiligung.

„Das WM-Finale 1998 ist das erste Fußball-Erlebnis, an das ich mich erinnern kann. Aber sonst habe ich damals nichts mitbekommen. Wenngleich ich natürlich schon weiß, dass damals Ivo Vastic und Toni Polster jeweils Tore in der letzten Minute erzielt haben. Bei der Firmung 2008 habe ich Karten für Österreich-Deutschland im Happel-Stadion geschenkt bekommen. Dieses Spiel war ein Weltklasse-Erlebnis, das ich nie vergessen werde.“

Doch dann ging alles sehr schnell. Am 14. April 2010 schrieb Gregoritsch Geschichte. 2.300 Fans waren im Franz Fekete Stadion zugegen, als Kapfenberg-Trainer Werner Gregoritsch aus Personalnot in der Schlussphase des Heimspiels gegen die Wiener Austria seinen Sohn einwechselte. Rund zwei Minuten später gelang ihm sein erstes Tor. Am Vormittag war er noch in der Schule, am Abend dann ein gefragter Mann bzw. Junge bei den TV-Stationen.

15 Jahre, elf Monate und 27 Tage war er damals alt – so jung hat vor und nach ihm keiner in der Bundesliga getroffen. Zur Feier des Tages gönnte er sich einen Kebap. Vier Tage später, als Gregoritsch seinen 16. Geburtstag feierte, bekam er eine Collage von all den Medienberichten über ihn geschenkt. Sogar die „Bild“ und der „kicker“ hatten über seinen Treffer berichtet.

„Diese Geschichte wird mich mein Leben lang begleiten. Sie ist auch wirklich super und echt schön. Das Tor damals war großes Glück. Ich war der sechste Stürmer im Verein, die ersten vier sind ausgefallen und der, der gespielt hat, hat sich in der 75. Minute verletzt – da sind viele Umstände zusammengekommen, die das Märchen wahrgemacht haben. Ich war im nächsten Spiel nicht einmal im Kader, weil mein Vater gesagt hat: ‚Ich nehme dich aus dem Blickfeld. Ich will nicht, dass du in das Stadion gehst und jeder schaut dich an. So weit bist du noch nicht.‘ Ich wäre in diesem Alter noch nicht bereit gewesen, zu realisieren, was mir gelungen ist. Das ist erst mit 17, 18 Jahren gekommen. Als ich nach Deutschland gekommen bin, haben mich immer wieder neue Leute auf damals angesprochen. Je mehr ich erzählt habe, umso mehr habe ich es realisiert.“

Drei Tage nach dem denkwürdigen Spiel gastierte der Kapfenberger SV bei der SV Ried. Der Shooting-Star war nicht zu sehen. Gregoritsch junior lief einstweilen für die Amateure der „Falken“ auf.

„Der Zeitpunkt war sehr früh, aber es ist nicht zu schnell gegangen. Es ist in einem Tempo gegangen, wo ich mich den Gegebenheiten anpassen konnte. Ich bin in der Saison noch drei Mal eingewechselt worden, da war das aber eher so: ‚Jetzt darf der Kleine halt ein bisschen schnuppern.‘ In der Saison darauf musste ich mich wieder bei den Amateuren empfehlen.“

Die Wochen und Monate nach seinem erstmaligen Erscheinen auf dem Bildschirm waren geprägt von jenen Mutmaßungen, die auf der Hand lagen. Der junge Mann würde nie und nimmer Bundesliga spielen, wäre nicht sein Vater sein Trainer. Gregoritsch junior haftete der Ruf des Protektions-Kindes an. Erst in der jüngeren Vergangenheit konnte er ihn ablegen.

Wenn der U21-Teamchef heute von seinem Sohn spricht, dann nennt er ihn einfach Michi Gregoritsch, nicht "mei Bua" oder "mein Sohn". Der Coach ist bemüht, nicht den Eindruck entstehen zu lassen, sein Sprössling würde anders behandelt als jeder andere Spieler auch. Der Stürmer wiederum nennt ihn beim U21-Team schlicht „Trainer“.

„Immer, wenn ich schlecht gespielt habe, hat es geheißen, ich würde sowieso nur wegen meines Vaters spielen. Keiner, dem ich erzähle, dass mein Vater bei 50:50-Entscheidungen gegen mich entscheidet, glaubt mir das. Aber kein einziger von denen war in der Situation, auf diesem Niveau von seinem Vater trainiert worden zu sein. Es stimmt schon, dass ich durch ihn reingekommen bin, aber dann habe ich mir alles selbst erarbeitet. Ich muss mich nicht verstecken, weil ich Gregoritsch heiße. Und ich muss mich nicht verstecken, weil mein Vater Trainer ist. Ich bin stolz, dass mein Vater so viel erreicht hat. Und ich bin stolz, dass mittlerweile akzeptiert wird, dass ich wegen meiner Leistung und nicht wegen Protektion spiele. Die Dimension der Kritiker in Österreich ist wesentlich kleiner als in Deutschland. Sonst hätte ich damit vielleicht nicht umgehen können. Ich glaube, dass es ganz anders ausgehen hätte können, wenn ich bei Rapid gewesen wäre. Aber ich habe in Kapfenberg gespielt, bei einem Dorfklub. Ich bin in einer 25.000-Einwohner-Stadt aufgewachsen und habe lernen können, wie es sein könnte, wenn es schlecht läuft. Ich habe mir damals aus den 100 negativen Maxln nichts gemacht und werde mir heute aus 50.000 nichts machen, wenn es mal schlecht läuft. Aktuell in der ÖFB-U21 können alle gut damit umgehen. Ich bin nicht der Sohn, ich bin der Spieler. Ich bin einer von 23.“

Fünfeinhalb Jahre sind es mittlerweile, die der 21-Jährige im Profi-Geschäft ist. Viel mehr Routine geht als U21-Teamspieler eigentlich nicht. Im Sommer 2011 unterschrieb der Teenager einen Vertrag bei TSG Hoffenheim, wurde aber noch eine Saison an Kapfenberg verliehen. Im Sommer 2012 startete der Stürmer schließlich nach 44 Bundesliga-Auftritten, in denen er vier Tore und zwei Assists verbuchen konnte, sein Deutschland-Abenteuer.

„Ich glaube, mir hilft meine Erfahrung sehr viel. Ich habe schon länger gesehen, wie das ganze Profi-Geschäft abläuft. Die Erfahrung, die ich mit meinen 21 Jahren schon gesammelt habe, haben nur wenige. Ich habe das damals in Hoffenheim nicht ganz realisiert. Ich war 18 Jahre alt und habe mit einer Bundesliga-Mannschaft trainiert. Ich bin mit völlig unrealistischen Zielen dorthin gegangen. Ich habe geglaubt, alles wird so funktionieren wie ich mir das vorstelle. Dann bin ich draufgekommen, dass ich aufwachen muss und sehr viele andere Wege gehen muss, um dort hinzukommen, wo ich hin will. Ich bin immer noch nicht dort, wo ich sein will, aber ich bin ein paar Schritte näher.“

In Hoffenheim durfte der ÖFB-Legionär nie bei den Profis ran. 2013/14 war er an den FC St. Pauli verliehen, wo er in 16 Spielen einen Treffer erzielte. 2014/15 folgte in Bochum der nächste Schritt: Sieben Tore und vier Assists in 27 Spielen. Die Zeiten, in denen er sich bei den Reserve-Teams für höhere Aufgaben empfehlen musste, waren endgültig vorbei.

Seit einigen Wochen ist er zurück in Hamburg, allerdings beim HSV. Der Traum von der deutschen Bundesliga ging im vierten Auslandsjahr in Erfüllung. In der sechsten Runde gegen Ingolstadt gelang ihm das Goldtor zum 1:0-Sieg.

„Am Dienstagabend war ich der gefeierte Held, war danach jeden Tag in der Zeitung. Für mich war das neu: Ich war in einer Großstadt am Titelblatt. Das sind die Dinge, von denen man als Kind träumt, wenn man vor der Playstation sitzt. Am Samstag habe ich von Beginn an gespielt und so eine Schweinspartie gemacht, dass ich mich am liebsten selbst aufgefressen hätte. Ich kann damit umgehen, ich kann solche Dinge wohl besser verarbeiten als andere in meinem Alter. Wenn ich getroffen habe, weiß ich, dass es in drei Tagen schon wieder komplett anders aussehen kann. Ich bin keiner, der himmelhochjauchzend durch die Gassen läuft, wenn er mal in der Zeitung ist. Und ich bin nicht zu Tode betrübt, wenn es mal nicht gut gelaufen ist. Ich fange nicht zum Fliegen an, vergrabe mich aber auch nicht. Ich kann das schon richtig einschätzen. Es ist nicht alles, einmal ein Tor zu schießen und dann in der Zeitung zu stehen. Man muss das über drei, vier Saisonen machen. Nehmen wir David Alaba als Beispiel: Der hat seit sechs Jahren kein schlechtes Spiel gemacht, der hat 105 Spiele lang keine Gelbe Karte gesehen – das sind noch einmal ganz andere Relationen.“

Medienberichte über seine Person ist der Offensivspieler mittlerweile gewohnt. Zumal er in diesem Sommer wochenlang ein Thema war. Der Wechsel vom VfL Bochum zum Hamburger SV zog sich – mal war er praktisch fix, dann eigentlich geplatzt, dann wieder so gut wie durch, dann doch wieder nicht… Am 23. Juli konnte schließlich Vollzug gemeldet werden. Drei Millionen Euro überwiesen die Hamburger. Nur zwölf Österreicher waren bisher teurer.

„Es waren sehr turbulente Wochen. Am 13. Juni ist das Gerücht zum ersten Mal aufgekommen. Es wurde sehr viel geredet, geschimpft, gelacht, ich war in der einen oder anderen Stunde auch sehr traurig, weil der Transfer zu platzen gedroht hat. Wenn ich über diese zwei Monate ein Buch schreibe, kriege ich 200 Seiten voll. Und es gab ein Happy End!“

Die Ablösesumme und das wochenlange Bemühen des HSV, den Transfer über die Bühne zu bringen, belegen die Erwartungshaltung.

Eine neue Situation für Gregoritsch. Der Druck auf ihn ist gestiegen.

„Ich bin jedes Mal absolut bei Null gestartet. Weder bei Hoffenheim, noch bei St. Pauli, noch bei Bochum hat sich irgendjemand irgendetwas von mir erwartet. Ich habe immer wieder gezeigt, dass man mit mir rechnen kann, aber dass ich noch Zeit brauche. Es war irgendwie immer ein Schritt zurück und zwei Schritte nach vorne. Ich kann stolz auf das sein, was ich bisher erreicht habe. Beim HSV wird zum ersten Mal etwas von mir erwartet. Es ist nicht so, dass ich die Liga zerreißen muss, dass ich das 21-Jährige Wunderkind aus Österreich wäre. Aber der Klub will junge Spieler Schritt für Schritt einbauen. Von mir wird erwartet, dass ich mir den Arsch aufreiße und dafür arbeite. Ich muss alles dafür tun, dass ich diese drei Millionen rechtfertige – nicht jetzt, nicht in zwei Monaten, aber in einem oder zwei Jahren. Der HSV soll dann sagen können: ‚Wir haben eigentlich einen Preis bezahlt, der über dem Marktwert war, aber wir haben gewusst, dass er sich entwickeln kann.‘“

Zum Auftakt gegen den FC Bayern in der Startelf, auch in den beiden Runden darauf gegen Stuttgart und Köln von Beginn an dabei. In den ersten acht Runden ist der HSV-Neuzugang vier Mal in der ersten elf gestanden, drei Mal wurde er eingewechselt.

Doch die Leistungen schwanken noch. So richtig scheint der Rekordtorschütze der ÖFB-U21 noch nicht in der vermutlich besten Liga der Welt angekommen zu sein.

„Es wäre sehr frech, wenn ich sagen würde, dass ich mit den Einsatzzeiten nicht zufrieden bin. Es wäre aber auch frech, wenn ich behaupten würde, dass ich super gespielt habe. Das wäre mir selbst gegenüber einfach nicht ehrlich. Der Trainer gibt mir das Vertrauen, der Verein gibt mir die Zeit, meine bestmögliche Leistung abzurufen. Es ist die deutsche Bundesliga. Ich will mir nie vorwerfen müssen, einen Schritt zu wenig gemacht zu haben, zu wenig gelaufen und nicht genug in der Kraftkammer gewesen zu sein. Im Profi-Fußball braucht man sehr viel harte Arbeit. Und nach harter Arbeit bin ich am meisten zufrieden. Ich bin mit der Arbeit, die ich abgeliefert habe, zufrieden, aber nicht mit der Qualität der Arbeit.“

In Hamburg spielt der Steirer zumeist am rechten Flügel. Ursprünglich ein klassischer Mittelstürmer, wurde in Bochum die Flexibilität des 21-Jährigen entdeckt. Neuner, Zehner oder Flügelstürmer – Gregoritsch kann mittlerweile alles spielen. Nicht umsonst wurde er in Hamburg als „polyvalent“ präsentiert.

Trotz seiner Körpergröße von 1,93 Metern und seiner schlaksigen Statur ist der ÖFB-Legionär nämlich technisch sehr stark und kann mit seinen Lochpässen Abwehrreihen aufreißen. Auch in der Defensivarbeit hat er einen ordentlichen Sprung nach vorne gemacht.

„Am wohlsten fühle ich mich im Sturm-Zentrum. Irgendwann will ich dort wieder spielen. Ich habe mein Leben lang Stürmer gespielt. Peter Neururer hat damals einen Taktik-Kniff gemacht, der zum Glück aufgegangen ist. Davor hat es geheißen, ich sei nicht flexibel, jetzt wird es mir als eine meiner größten Stärken ausgelegt, dass ich rechts, links, zentral und ganz vorne spielen kann.“

In Hoffenheim war er Grego, auf St. Pauli Gregor, in Bochum machte ihn Coach Neururer zum Franz. Der Stürmer hat mit seinem Namen alles andere als leichtes Spiel in Deutschland.

„Ich weiß nicht, warum sie nicht einfach Gregerl sagen können. Ich werde es nie verstehen. Und ich verstehe einfach nicht, warum sie bei Gregoritsch das O so lang ziehen. Ich bin es leid, sie nach jedem Mal, wo sie meinen Namen falsch aussprechen, zu korrigieren. Ich hatte schon so viele Spitznamen, ich wurde auch schon Werner, Mitch und Itsch genannt. Am meisten genervt hat mich Gregor.“


Harald Prantl