England gegen Italien. Das Mutterland des Fußballs gegen die Heimat des Calcio. Kick and Rush gegen Catenaccio. Fish and Chips gegen Pizza und Pasta!
Eigentlich sollte man meinen, dass das Duell dieser beiden Fußball-Großmächte auf eine lange Tradition zurückblicken kann. Doch tatsächlich hat man bei Turnieren erst zweimal die Klingen gekreuzt.
Nur zwei Turnier-Duelle
Das erste Mal trafen die „Three Lions“ bei der Gruppenphase der EM 1980 in Italien auf die „Squadra Azzurra“. Nachdem beide Teams zum Auftakt unentschieden gespielt hatten, war klar, dass der Verlierer nicht mehr ins Endspiel einziehen kann.
Die Gastgeber behielten mit 1:0 die Oberhand, der Traum vom Finale platzte aber aufgrund eines Remis am letzten Spieltag gegen Belgien.
Die zweite Turnier-Begegnung fand kurioserweise wieder in Italien statt. Bei der WM 1990 rückten beide bis ins Halbfinale vor, wo sie jeweils unglücklich im Elfmeterschießen gegen Argentinien beziehungsweise Deutschland den Kürzeren zogen. Und so spielte man im kleinen Finale um den dritten Rang, den sich die Heimmannschaft mit einem 2:1-Sieg sichern konnten.
Bilanz spricht für Italien
Aber auch in Qualifikationen wurden die beiden nicht oft in dieselbe Gruppe gelost. Lediglich vor den WM-Turnieren 1978 und 1998 durfte man sich messen.
In den Siebzigern blieb man jeweils zu Hause 2:0 siegreich, jubeln durften aber am Ende nur die Italiener. Das um drei Tore bessere Torverhältnis bedeutete das Ticket für die Weltmeisterschaft in Argentinien.
1998 gewannen die „Azzurri“ zwar in Wembley mit 1:0, England holte jedoch ein 0:0 in Rom und war damit fix qualifiziert. Italien musste den Gang in die Barrage gegen Russland antreten, wo man sich mit 1:1 und 1:0 durchsetzen konnte.
„Three Lions“ spielen italienisch
Insgesamt hält man also bei nur sechs Pflichtspielen, von denen die Italiener bei einem Remis vier gewinnen konnten. Um dieser Bilanz einen weiteren England-Sieg hinzuzufügen, versucht Trainer Roy Hodgson die „Azzurri“ mit ihrer ureigenen Waffe zu schlagen: Dem Catenaccio.
Die „Three Lions“ traten bei dieser EM bis jetzt „typisch italienisch“ auf. Zwei tief stehende Viererketten zermürbten die Angriffsbemühungen der Gegner, und sowohl im Konterspiel, als auch aus Standards war man gnadenlos effizient.
Daniele de Rossi bringt es mit seiner Einschätzung auf den Punkt: „ Wir werden es mit einem Gegner zu tun bekommen, der italienischer spielt, als wir es selbst je werden.“
So kommt es nicht von ungefähr, dass Hodgson seine Mannschaft keinesfalls als „Underdog“ sieht. „Wir haben Weltklasse-Spieler in unserem Team, die sicherlich in vielen anderen Ländern ebenfalls Nationalspieler wären. Italien hat bisher solide gespielt, für die großen Höhepunkte haben sie aber noch nicht gesorgt“, weiß der 64-Jährige.
Italien orientiert sich neu
Auf der anderen Seite fand in der Heimat des Calcio bei der Übernahme von Trainer Cesare Prandelli ein Paradigmenwechsel statt. Oberstes Prinzip ist es nun nicht mehr, Tore zu verhindern, sondern welche zu erzielen.
Einer, der dies kann ist Mario Balotelli. Doch der 21-Jährige ist nicht nur für seine Torgefahr, sondern auch für seine Eskapaden auf und jenseits des Platzes bekannt und deshalb in seinem Heimatland nicht unumstritten. Eine Kostprobe seiner zwei Gesichter bot er gerade erst im Spiel gegen Irland.
Der Angreifer kam erst in der Schlussphase ins Spiel, erzielte dann aber er den sehenswerten Treffer zum 2:0 für die „Azzurri“. Beim anschließenden Jubel musste er jedoch von Teamkollegen Leonardo Bonucci vor einer verbalen Entgleisung in Richtung italienischer Bank bewahrt werden.
England rechnet mit Ausschluss
Grund genug für die „Yellow Press“, mit weiteren Fehltritten und sogar einer Roten Karte des Stürmers zu rechnen, weswegen viele Engländer auf einen Einsatz des „Bad Boys“ von Anfang an hoffen.
Das klingt zwar etwas dubios, kommt aber nicht von ungefähr. Balotelli wurde in den letzten zwei Saisonen viermal des Feldes verwiesen. Dazu sah er 22 Gelbe Karten in insgesamt 71 Spielen.
Zum Vergleich: Der englische Innenverteidiger John Terry, der auch nicht gerade als zimperlich bekannt ist, kommt in der gleiche Zeit in 102 Einsätzen auf 17 Verwarnungen und einen Ausschluss. Sein Nebenmann Joleon Lescott holte sich in 89 Einsätzen sogar nur zwei Gelbe Karten ab.
Mancini ist Balotellis Ziehvater
Italiens Skandalstürmer hat aber nicht nur wegen skurriler Gründe Fürsprecher. Sein Vereinstrainer Roberto Mancini ist nicht nur sein Förderer, sondern auch sein größter Fan.
„Balotelli muss immer spielen, die Mannschaft ist mit ihm viel stärker. Ich möchte Cesare Prandelli nicht reinreden, da er einen sehr guten Job macht, aber ich halte Mario für den besten italienischen Angreifer“, so der 47-Jährige.
Auch Manchester-City-Mittelfeldspieler James Milner weiß um die zwei Gesichter seines Mannschaftskollegen: „Es gibt zwei Marios. Der eine taucht zu spät zum Training auf und ist nicht wirklich interessiert, und der andere ist ein Top-Spieler. Wir wissen das und sind darauf vorbereitet.“
Prandelli setzt auf Balotelli
Italiens Coach weiß natürlich auch um die Qualitäten seines „Problemkindes“ und wird ihn deshalb wohl von Anfang an bringen. „Tief im Herzen ist er ein Goldjunge“, ist der 54-Jährige von seinem Ausnahmekönner überzeugt.
Seiner offensiven Grundausrichtung wird er ebenfalls treu bleiben. „Ehrlich gesagt können wir gar nicht auf Ergebnis spielen“, räumt Prandelli ein.
Verkehrte Welt vor dem abschließenden Viertelfinale der EURO. Eines wird sich jedoch wohl nie ändern: „Fußball ist ein einfaches Spiel. 22 Männer jagen 90 Minuten lang einem Ball nach und am Ende gewinnen immer die Deutschen!“
Dieser berühmte Spruch von Gary Lineker könnte bei dieser EURO wieder einmal in Erfüllung gehen, denn beide Turniere, bei denen England und Italien aufeinandertrafen, konnte Deutschland für sich entscheiden.
Fabian Santner