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Deutschland kann schon wieder keinen Titel feiern

Deutschland kann schon wieder keinen Titel feiern

Gary Lineker muss schön langsam um sein berühmtestes Zitat fürchten. Fußball ist zwar immer noch ein einfaches Spiel, bei dem 22 Männer dem Ball nachjagen.

Allerdings heißen die Sieger seit einigen Jahren Spanien, Italien, Brasilien oder Frankreich, aber nicht mehr Deutschland.

Unbedingter Wille fehlt

Das DFB-Team wartet bereits seit 16 Jahren auf einen Turniersieg. Bei der EM 1996 in England setzte man sich im Halbfinale gegen den Gastgeber im Elfmeterschießen durch und triumphierte anschließend durch das Golden Goal von Oliver Bierhoff mit 2:1 über  Tschechien.

Der letzte große Titel einer deutschen Vereinsmannschaft liegt auch schon elf Jahre zurück. 2001 konnte sich der FC Bayern den Sieg in der Champions League sichern. Aber nicht etwa durch eine beeindruckende Vorstellung im Finale gegen Valencia, sondern im Elfmeterschießen.

Das soll jetzt nicht heißen, dass die Erfolge deutscher Mannschaften nur glücklich zustande gekommen wären. Vielmehr zeugen diese knappen Siege vom unbedingten Willen, von einer Siegermentalität, die in den letzten Jahren scheinbar abhanden gekommen ist.

Titellose Durststrecke

Insgesamt gab es seit 2001 auf Vereins –und Verbandsebene sieben Endspiele mit deutscher Beteiligung. Doch weder die Nationalmannschaft (2002 und 2008), Bayern München (2010 und 2012), Bayer Leverkusen (2002), Borussia Dortmund (2002) oder Werder Bremen (2009) konnten am Ende eine Trophäe in die Luft stemmen.

Diese Ergebnisse als puren Zufall oder Pech abzutun, wäre zu einfach. Nicht nur die nackten Zahlen, sondern auch das Auftreten der deutschen Mannschaften bestätigen das. In der Vergangenheit musste man die DFB-Elf dreimal besiegen, bis sie wirklich besiegt war. Heutzutage vermittelt sie weder dem Gegner noch dem Zuschauer dieses Gefühl.

Bis Ende der 90er (1999 ausgenommen) konnte man sich noch darauf verlassen, dass die Deutschen mit einer beängstigenden Regelmäßigkeit am Ende irgendwie noch den Ausgleich, oder den Siegtreffer erzielten. Eine „typisch deutsche Tugend“ wurde das genannt. Bei der 1:2-Halbfinal-Niederlage gegen Italien vermittelten sie jedoch nie den Eindruck, die Partie noch drehen zu können.

Lieber in Schönheit sterben?

Diese Feststellung soll keineswegs die Arbeit von Jogi Löw diskreditieren. Der 52-Jährige hat es schließlich geschafft, die als „Rumpelfußballer“ abgestempelten Deutschen schönen Kombinationsfußball spielen zu lassen.

Mehmet Scholl fordert "Gier nach Erfolg"
Gleichzeitig ist es ihm aber nicht gelungen, dem DFB-Team das zurückzugeben, was es seit jeher ausgezeichnet hat: Den Nimbus der Unbesiegbarkeit. Er konnte bislang keine Balance zwischen alten Tugenden und neuen Ideen herstellen. Langsam werden im Nachbarland Stimmen laut, die hinterfragen, ob es nicht besser war, sich an Titeln zu erfreuen, als am schönen Spiel der eigenen Mannschaft.

„Es gibt Bedingungen für Erfolg. Die Italiener hatten brutalen Teamgeist und absolute Gier nach Erfolg. Erst da oben drauf kommt der persönliche Erfolg“, weiß etwa Mehmet Scholl. Mit dieser Meinung steht der Ex-Nationalspieler nicht alleine da.

Persönlichkeitsentwicklung als Schlüssel

Matthias Sammer legt in seiner Funktion als DFB Sportdirektor auch immer wieder den Finger in die Wunde. Er wird nicht müde zu betonen, dass schön spielen allein nichts bringt, sondern Titel gewonnen werden müssen. Und dies geht eben nur mit der von Scholl propagierten „Gier nach Erfolg“.

Sammer leitet seit 2006 die Juniorenmannschaften des deutschen Fußball Bundes. Dort teilt er die Ausbildungskonzeption in fünf Bereiche: Konstitution, Kondition, Technik, Taktik, Persönlichkeitsentwicklung.

„Wir haben 2006 in unseren Leitfaden 'Die Seele unseres Spiels' geschrieben: Wir wollen auch Titel gewinnen!", sagt der ehemalige Weltklasse-Libero. Teilweise wurde er dafür belächelt. Seine Kritiker monierten, dass im Jugendbereich Ergebnisse doch keine Rolle spielen würden. Für den 44-Jährigen  ist dieser Ansatz völlig unverständlich.

„Okay, dann bilden wir eben konstitutionell, konditionell, technisch-taktische Verlierer aus“, reagierte er provokativ.

Jahr Mannschaft Bewerb Gegner Ergebnis
2002 Nationalteam Weltmeisterschaft Brasilien 0:2
2002 Bayer Leverkusen Champions League Real Madrid 1:2
2002 Borussia Dortmund UEFA Cup Feyenoord Rotterdam 2:3
2008 Nationalteam Europameisterschaft Spanien 0:1
2009 Werder Bremen Europa League Shaktar Donezk 1:2 n.V.
2010 Bayern München Champions League Inter Mailand 0:2
2012 Bayern München Champions League FC Chelsea 4:5 n.E.

Das "System Sammer" baut auch auf Persönlichkeitsentwicklung

Nur der Sieg zählt

Den Spielern muss von Anfang an eingeimpft werden, dass nur der Sieg zählt. Das versteht Sammer unter Persönlichkeitsentwicklung. Das Feiern der zweiten und dritten Plätze – wie es bei den letzten Turnieren der Fall war - ist ihm dabei ein besonderer Dorn im Auge.

Manuel Neuer, Mesut Özil, Sami Khedira, Mats Hummels, Jerome Boateng, Benedikt Höwedes und Marcel Schmelzer sind Sprösslinge des „Systems Sammer“ und krönten sich 2009 zum U21-Europameister. Spätestens seit der Niederlage gegen Italien scheint klar zu sein, dass sie diese Siegermentalität nicht in die A-Mannschaft mitnehmen konnten.

Auch Joachim Löw hat mittlerweile erkannt, dass schön spielen allein nicht reicht. „Man kann Titel nicht herbeireden“, ist sich der Coach bewusst. Im Großen und Ganzen ist er mit dem Turnier allerdings zufrieden und verweist auf die Zukunft des Teams: „Die Mannschaft ist jung, sie wird diese Niederlage verarbeiten und sich weiterentwickeln.“

Unvollendete Generation

Aber die Geschichte wiederholt sich, denn 2006, 2008 und 2010 war es nicht anders. Deutschland scheidet aus, ist enttäuscht, und klopft sich danach auf die Schulter. Jedes Mal wurde nach dem Turnier laut verkündet, dass die Mannschaft gerade erst am Anfang stehe, und mit ihrem schier endlosen Potenzial in Zukunft sicherlich viele Titel feiern werde.

Dieses Selbstbewusstsein in allen Ehren, man täte jedoch gut daran, sich ein warnendes Beispiel am Scheitern früherer „Wundermannschaften“ zu nehmen. Denn es gab schon genügend Generationen ausgezeichneter Fußballer, denen ein Turniersieg verwehrt blieb.

Ungarn war von 1950 bis 1954 unbesiegt, den WM Titel holten aber ausgerechnet die Deutschen. In den 70ern waren es die Niederlande, die mit ihrem „Totaalvoetball“ das Spiel revolutionierten. Doch auch Cruyff und Co. wurden damit nur guter Zweiter. Die Dribbelkünstler aus Brasilien galten in den 80ern als die beste Nationalmannschaft der Welt. Titel? Fehlanzeige.

Wo ist der Killerinstinkt?

Die längste Durstrecke hat aber Spanien hinter sich. Fast ein halbes Jahrhundert lang musste der aktuelle Welt- und Europameister warten, ehe er wieder einen Pokal in die Höhe stemmen durfte.

Das weiß auch Sammer: "Die Spanier haben schon Mitte der Neunziger begriffen, dass die ersten vier Säulen nichts bringen, wenn die fünfte fehlt. Schauen Sie nach Holland: Die haben einen einzigen großen Titel geholt, 1988 bei der EM - diese überragenden Fußballer! Da muss man sich doch fragen, woran das liegt."

Man kann es nennen wie man will. Glück, Tugend, Siegeswillen, Killerinstinkt, das Sieger-Gen, eine gewisse Mentalität - die Deutschen haben es jedenfalls irgendwie verloren. Und es sei die Frage erlaubt, ob dem DFB-Team mit seinen perfekt ausgebildeten Einzelspielern nicht vielleicht Typen wie Paul Breitner oder Lothar Matthäus fehlen. Solche Spieler eckten zwar an, machten aber im entscheidenden Moment den Unterschied aus.

 

Fabian Santner