Melzer: "Potapova ist Bereicherung für Österreich“
Der ÖTV-Sportdirektor freut sich über die neue rot-weiß-rote Nummer eins und hofft auf baldiges grünes Licht für das Billie-Jean-King-Cup-Team.
Österreichs Frauen-Tennis durfte sich am Donnerstag über ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk freuen.
Mit Anastasia Potapova erhielt in dieser Woche eine Top-Spielerin die österreichische Staatsbürgerschaft.
Ab der kommenden Saison wird die 24-jährige Russin die rot-weiß-roten Farben auf der WTA-Tour vertreten.
Neue Nummer eins in Österreich
Potapova, die vielen Fans wohl vor allem durch ihren Turniersieg beim Upper Austria Ladies in Linz 2023 bekannt ist, ist aktuell die Nummer 51 der Welt, war aber schon auf Rang 21 zu finden.
Damit ist sie vor Julia Grabher (WTA 94), Sinja Kraus (WTA 109) und Lilli Tagger (WTA 155) klare Nummer eins in Österreich.
Während die Einbürgerung für fast alle heimischen Fans recht überraschend eintrudelte, wusste ÖTV-Sportdirektor Jürgen Melzer schon länger Bescheid.
"Wir haben bereits Anfang des Jahres einen Brief vom Ministerium bekommen, dass Potapova um eine Staatsbürgerschaft angesucht hat", erzählt der Niederösterreicher im Gespräch mit LAOLA1.
"Einen Tag später hat mir ihr Manager geschrieben. Wir mussten danach einige Fragen beantworten, ob sie gut genug und eine Bereicherung für das österreichische Tennis ist und ob sie für das Nationalteam zur Verfügung stehen würde. Diese Fragen haben wir mit 'Ja' beantwortet und ans Ministerium zurückgeschickt. Wir sind nicht auf sie zugegangen, das ist von ihr ausgegangen."
"Bereicherung für das ÖTV-Team"
Nichtsdestotrotz freut sich Melzer über den ÖTV-Neuzugang. Vor allem für das Billie-Jean-King-Cup-Team sei Potapova in jedem Fall "eine Bereicherung". Wobei sich die Premiere für Rot-Weiß-Rot noch etwas hinziehen könnte.
"Wir müssen schauen, wie schnell sie für das Billie-Jean-King-Cup-Team spielberechtigt ist. Da sind wir in Kontakt mit der ITF. Vielleicht dauert das jetzt noch Jahre, bis sie wirklich spielen darf. Das hängt von der ITF ab, wie viele Sondergenehmigungen sie zulassen. Sie erfüllt nämlich einige Kriterien nicht", erklärt Melzer die Problematik.
So müsste eine Spielerin beispielsweise schon zwei Jahre im Besitz des neuen Reisepasses sein – was bei Potapova freilich noch nicht zutrifft. Doch selbst wenn es länger dauern sollte: "Sie ist erst 24 Jahre alt – die kann also noch einige Zeit spielen."
Zugpferd für junge Österreicherinnen
Wie oft die dreifache WTA-Turniersiegerin künftig in Österreich weilen wird, werde sich noch zeigen. Grundsätzlich ist die Ex-Frau des ehemaligen Bresnik-Schützlings Alexander Shevchenko sowieso viele Wochen im Jahr auf der Tour unterwegs.
"Sie macht gerade ihre Saisonvorbereitung in Dubai. Sie hat gesagt, sie will hin und wieder in Wien trainieren. Wann genau, wissen wir aber nicht. Sie wird hier aber nicht ihre Trainingsbase aufschlagen. Wir freuen uns aber natürlich, wenn sie mit den jungen Spielerinnen trainiert", hofft Melzer, dass Südstadt-Talente wie Claudia Gasparovic, Ekaterina Perelygina, Leonie Rabl oder Julia Ehrenberger von den Erfahrungen Potapovas profitieren können.
Vieldiskutierte Nationenwechsel russischer Spieler
Potapova ist freilich nicht die erste Russin, die in den letzten Jahren ihre Staatsbürgerschaft wechselte. Aufgrund des Ukraine-Kriegs sind Spieler und Spielerinnen aus Russland und Weißrussland zwar weiterhin auf der Tour spielberechtigt, müssen aber unter weißer Flagge antreten. Zudem sind sie von Teambewerben wie dem Davis-Cup- oder Billie-Jean-King-Cup-Team ausgeschlossen.
Die bekannteste Spielerin war bislang die ehemalige Weltranglisten-Achte Daria Kasatkina, die sich Australien anschloss und schon davor offen ihr altes Heimatland und Putin kritisierte.
Potapova versuchte sich bislang wie die meisten ihrer Landsmänner und Landsfrauen in dieser schwierigen Situation eher zurückhaltend zu verhalten und sprach sich dafür mehrmals gegen Krieg und für den Frieden aus. Eine wohl nachvollziehbare Reaktion, wenn man bedenkt, dass die Spielerinnen zwar meistens außerhalb Russlands leben, jedoch weiterhin ihre Familien im Heimatland haben.
Melzer: "Uns war bewusst, dass da Fragen kommen werden"
"Natürlich waren wir uns bewusst, dass da Fragen kommen werden. Im Endeffekt können wir diese Einbürgerung aus sportlichen Gründen aber nur befürworten", so Melzer, der in seiner Funktion als ÖTV-Sportdirektor wohl kaum anders entscheiden hätte können. "Das Sportliche ist das, was wir beurteilen können."
Dass bei dieser Geschichte allerdings auch immer wieder Reibungspunkte entstehen können, zeigte sich erst vor Kurzem bei einem vom russischen Mineralöl-Konzern Gazprom gesponserten Exhibition-Turnier in St. Petersburg, wo Potapova mit ihrem Freund Tallon Griekspoor spielte. Der Niederländer wurde für seine Teilnahme sogar vom niederländischen Außenminister gerügt.
"Wir hoffen natürlich, dass sich unsere Spielerinnen an unsere Regeln halten und sich ethisch richtig verhalten", würde sich Melzer solche Diskussionen in Zukunft gerne ersparen. "Dass ich gegen den Krieg und für den Frieden bin, ist eh klar und sie hat auch schon ganz klare Statements in diese Richtung abgegeben."
Eines steht durch Potapovas Wechsel freilich auch fest: Neue Freunde hat sich die 24-Jährige, die weiterhin im Besitz der russischen Staatsbürgerschaft bleiben wird, mit ihrem Nationenwechsel in ihrer Heimat eher nicht gemacht.
Der ehemalige Weltranglisten-Erste Yevgeny Kafelnikov wetterte noch am Donnerstag in einem Interview mit dem russischen "Sport-Express": "Ich habe kein Vergnügen daran, solche Nachrichten zu kommentieren. Was soll ich da für ein Urteil abgeben? Das muss ich nicht."
"Sie hat ihre Nation gewechselt. Gut, aber soll ich deshalb darüber weinen? Was hat sie jemals für Russland gewonnen? Ich sag’s nicht und ihr auch nicht. Auf Nimmerwiedersehen!"
Bleibt uns als Gegenantwort nur zu sagen: "Herzlich willkommen in Österreich, Anastasia!"