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Wie Spielberg die wahren Probleme der MotoGP aufgezeigt hat

Das Rennen war keine Werbung für den Sport. Die Probleme sind vielfältig und komplex, müssen aber ernstgenommen werden. Denn die Formel 1 ist weit voraus.

Wie Spielberg die wahren Probleme der MotoGP aufgezeigt hat Foto: © Gold & Goose / Red Bull Content Pool

"Formel Fad" - im Sprachgebrauch des Vierrad-Liebhabers kam dieser Begriff in den letzten Jahren schon häufiger vor.

Seit Anbeginn der Hybrid-Ära kämpft die Formel 1 gegen das Image an, langweilige Rennaction zu produzieren. Freilich liefert die Motorsport-Königsklasse auch reichlich Spektakel ab, wie vor allem 2021. Doch speziell diese Saison, durch die absolute Dominanz von Max Verstappen bedingt, hat die F1 wieder etwas an Attraktivität verloren.

Zumindest die Zuschauerzahlen lassen sich das aber nicht anmerken, über 300.000 Fans waren Ende Juni bzw. Anfang Juli in Spielberg zugegen. Der Grund: Die Vierrad-Elite weiß sich perfekt zu vermarkten, erlebte innerhalb von sieben Jahren einen Anstieg von über 220.000 Fans auf dem Red Bull Ring.

Von der MotoGP lässt sich das nicht behaupten, im Gegenteil. In derselben Zeit sank die Anzahl der ins Murtal kommenden Motorrad-Fanatiker von knapp 216.000 auf 173.000, wobei es dieses Jahr ein leichtes Zuschauerplus im Vergleich zum Vorjahr gab.

Die Formel 1 hat die MotoGP inzwischen trotzdem klar übertrumpft, obwohl Francesco Bagnaia und Co. die Massen in den letzten Jahren mehr begeistern konnte.

Aerodynamik und Reifen machen attraktives Racing schwierig bis unmöglich

Doch, und so ehrlich muss man speziell nach diesem Wochenende sein: Diese Zeiten scheinen vorerst vorbei. Der Grand Prix von Österreich wird als einer der langweiligsten der letzten Jahre in die Annalen eingehen, die Gründe dafür sind genauso vielfältig wie komplex.

Als wohl größtes Übel, vor dem besonders KTM-Motorsportdirektor Pit Beirer in der Vergangenheit mehrfach gewarnt hat, stellt sich die überbordende Arbeit an der Aerodynamik der Bikes heraus. Diese haben inzwischen gar nichts mehr mit normalen Motorrädern zu tun, sondern gleichen viel mehr einer Rakete.

Hier ein Flügel, da ein Spoiler, dort noch ein kleines Teilchen, das wieder ein Zehntel bringt - Ducati stieß diese Entwicklung vor Jahren bereits an, Teams wie KTM und Aprilia mussten mitziehen, um überhaupt eine Chance gegen das Nonplusultra der MotoGP zu haben. Welche Auswirkungen eine Vernachlässigung dieses Bereichs hat, lässt sich bei Honda und Yamaha erfragen.

Ebenfalls eine immer größere Debatte verursachen die Reifen. Seit Silverstone - der Grand Prix von Großbritannien vor zwei Wochen war regenbedingt wiederum einer der interessantesten der Vergangenheit - müssen die Teams ganz besonders auf den Druck in den Vorder- und Hinterreifen achten.

MotoGP in Spielberg 2023 - die besten Bilder vom Sonntag

Das Limit von 1,88 bar im vorderen und 1,68 bar im hinteren Pneus darf nicht unterschritten werden. Kurz erklärt: Je geringer der Reifendruck, desto mehr Grip hat der Pilot. Bereits ab 2,2 bar soll das Gefühl am Vorderrad kritisch sein, besteht erhöhte Sturzgefahr.

Auf einer Strecke wie dem Red Bull Ring ist es praktisch unmöglich, nicht in diesen Bereich zu kommen. Dichtes Verfolgen des Vordermannes sowie Überholmanöver sind extrem schwierig gewesen, außerdem sind die Michelin-Vorderreifen temperaturempfindlich - bei über 30 Grad Lufttemperatur am Sonntag auch nicht unbedingt optimal.

KTM-Star Brad Binder meinte etwa: "Nach rund zehn Runden wurde der Vorderreifen extrem heiß. Ich hätte zwei oder drei Mal fast das Vorderrad verloren. Ich musste Tempo rausnehmen, sonst hätte das übel geendet."

Der Südafrikaner musste Rennsieger Bagnaia also ziehen lassen, der Front kühle Luft verschaffen, um seinen Podestplatz nicht in Gefahr zu bringen. Über fünf Sekunden lag er am Ende hinter dem Italiener - aber nicht, weil er zu langsam war. Dass er den Speed für einen möglichen Heim-Triumph hatte, bewies der 28-Jährige in den Anfangsrunden, in denen er ganz dicht dran war.

Leise Kritik am WM-Veranstalter, dem vom Weltverband in die Suppe gespuckt wird

Auch dahinter gab es wenig bis kaum Rennaction, nur im Mittelfeld tobte über eine längere Zeitspanne ein heißer Kampf um die Punkteränge - nur zu sehen war er nicht.

Franco Morbidelli bemängelte: "Da hast du mit Marc Marquez einen achtfachen Weltmeister, auch Fabio Quartararo ist Weltmeister. Das sind großartige Fahrer, die sich da den Arsch abkämpfen. Solche Fights im Mittelfeld werden in der Formel 1 immer gezeigt. Vielleicht sollte man diese Dinge mehr ins Rampenlicht rücken."

TV-Bilder gäbe es ja zur Genüge, in Spielberg wurde eine neue, in die Lederkombi integrierte Kamera am Rücken getestet. Die Aufnahmen sind zweifelsohne beeindruckend, bieten dem Zuschauer vor dem Fernseher wieder neue Blickwinkel - aber weshalb sollte mich die Sicht hinter des Piloten interessieren, wenn anderweitig spannende Positionskämpfe zu sehen wären?

Nur ein kleiner Kritikpunkt an der Dorna, die als WM-Promoter alles erdenkliche macht, um den Sport noch attraktiver zu gestalten. Dass ihr die FIM in die Suppe spuckt, dafür kann sie nichts. Der Motorrad-Weltverband stellt nämlich das MotoGP Stewards Panel, das am Samstag zum wiederholten Male in diesem Jahr für Aufregung sorgte.

Dieses Thema haben wir bereits ausführlicher in einem anderen Kommentar behandelt, in dem wir eine klare Linie forderten - eine kurze Erwähnung an dieser Stelle sei trotzdem erlaubt.

Marquez fordert Kursänderung - MotoGP bewegt sich in "entgegengesetze Richtung" zur F1

Die Probleme der heutigen MotoGP waren in Spielberg allerdings augenscheinlich und sollten die Dorna dazu bewegen, sich Gedanken über eine Kursänderung zu machen. Denn das aktuell geltende Reglement gilt noch bis zum Ende der Saison 2026, angesichts des derzeitigen Trends könnte die Königsklasse bis dorthin ihre Fans längst verloren haben.

Ein prominenter Befürworter einer zügigeren Regel-Anpassung ist mit Superstar Marc Marquez zu finden. Der achtfache Weltmeister beklagte am Sonntag, dass die MotoGP immer mehr zur Formel 1 mutiert, nicht mehr der Fahrer, sondern das Bike den Unterschied ausmacht.

Und, noch viel schlimmer: Man bewege sich "in die entgegengesetzte Richtung" zur Formel 1. Denn die Vierrad-Königsklasse hat Anfang 2022 einen neuen Weg eingeschlagen, laut Marquez "mit weniger Abtrieb und Aero-Effekt." Damit droht die F1 noch weiter zu enteilen, den Anschluss in Sachen Beliebtheit hat die MotoGP ohnehin schon verloren.

Ob die Dorna entgegensteuern wird, ist zu hinterfragen. Als erste Maßnahme, um wieder mehr Fans an die Rennstrecken der Welt zu locken, wurde heuer das Format geändert, bei jedem Rennen gibt es einen Sprint. Doch der dadurch exponentiell steigende Stress forderte viele Verletzte.

Bezeichnend: Nach wie vor gab es 2023 keinen Grand Prix, an dem alle 22 Stammfahrer am Start gestanden sind.

Neue Nahbarkeit der Piloten kommt bei den Fans gut an

Im Zuge der Formatänderung hat der WM-Promoter auch ein Ass aus dem Ärmel gezogen, um endlich etwas Positives anzubringen.

Der "Hero Walk", in Spielberg fand er vor dem Welcome Center statt, gilt als voller Erfolg - dabei kommen die Fans ihren Stars hautnah, sammeln unzählige Fotos, Autogramme, aber vor allem schöne Erinnerungen.

Auch die Piloten bevorzugen die Nahbarkeit zu den Zuschauern. "Das ist zwar etwas hart, was den Zeitplan betrifft, aber es war hier (in Spielberg, Anm.) alles perfekt organisiert. So soll es sein, da können sich viele etwas abschauen", lobte das Spitzentrio Bagnaia, Binder und Marco Bezzecchi.

Wenn dann KTM in der Heimat die finale Bestätigung einbringt, in der Weltspitze angekommen zu sein, gibt es unter den Motorrad-Aficionados sowieso kein Halten mehr. Ganz Spielberg war in orange gefärbt, die Podestplätze des rot-weiß-roten Herstellers in Sprint und Rennen veranlassten zu einer großen, dreitägigen Party im Herzen der Steiermark.

Vier Plätze 2024: KTMs schwerwiegende Niederlage

Für die Mattighofener bleibt der einzige Wermutstropfen des gesamten Wochenendes, dass man bei der Dorna wegen eines fünften bzw. sechsten MotoGP-Startplatzes ab 2024 endgültig abgeblitzt ist.

Die gelieferten Gründe, dass unter anderem die freien Plätze nur an ein neues Werksteam vergeben werden, das gar nicht in Sichtweite ist, sind fragwürdig.

Angesichts des Potenzials von KTM hätte der WM-Veranstalter mit zwei weiteren RC16-Bikes auch auf diesem Wege für eine größere Attraktivität der Serie sorgen können. Immerhin stehen wöchentlich auch acht Ducatis in der Startaufstellung.

Den Oberösterreichern steht indes ein handfestes Dilemma ins Haus, für das GasGas-Team stehen drei Fahrer für zwei Plätze unter Vertrag. Wunderkind Pedro Acosta hat seinen Gerüchten zufolge sicher, zwischen den aktuellen Stammfahrern Pol Espargaro und Augusto Fernandez wird es ein "sportliches Ausscheidungsrennen" geben.

Einer von ihnen muss danach auf die Ersatzbank wandern. Und die MotoGP? Die muss aufpassen, dass sie von Fans nicht ebenfalls dorthin verbannt wird. Der Blick in die Zukunft verheißt jedenfalls nichts Gutes...


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