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Kommentar - Der Sieger: Die Formel 1! Oder?

Spannendste Saison aller Zeiten sollte Werbung sein. War sie aber nicht:

Kommentar - Der Sieger: Die Formel 1! Oder? Foto: © getty

Die Formel-1-Saison 2021 hat sich in ihrem Showdown noch einmal selbst übertroffen. Die punktgleichen WM-Kontrahenten fechten die Entscheidung in der allerletzten Runde aus - eine Storyline, die sich sonst nur in überzeichneten Sportfilmen findet.

Spätestens mit diesem Finale ist klar: Die Saison war die spannendste aller Zeiten. Und die gute Nachricht: Die Entscheidung fiel auf der Strecke. Ganz ohne im Vorfeld hinaufbeschworenen Crash.

Hamilton und Verstappen haben ihre Aufgaben mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln erfüllt. An den Darbietungen beider Fahrer auf der Strecke gab es nichts auszusetzen. Für die strategischen Ansätze ihrer Teams sind die Fahrer ebensowenig in die Verantwortung zu nehmen, wie für andere Geschehnisse auf der Strecke und Eingriffe der Rennleitung.

Eigentlich sollte 2021 mit seiner Dramatik nur ein Prädikat zugeschrieben werden können: Werbung für den Sport. Die Formel 1 hat die öde Mercedes-Dominanz der letzten Jahre, Killer ihrer Attraktivität für den Fan, aufgebrochen. Und einen neuen Helden geboren.

Aber am Ende des Tages sind es wieder nicht die Leistungen, über die gesprochen wird. Nicht über Verstappens Coolness in der letzten Runde. Nicht über Hamiltons von Anfang bis Ende fehlerfreie Fahrt. Nicht über eine strategische Meisterleistung Red Bulls, nicht über die Zögerlichkeit von Mercedes.

Gesprochen wird über die Safety-Car-Phase, die Verstappen in aussichtsloser Position eine Chance schenkte. Einmal mehr über die Hilflosigkeit der Rennleitung im Angesicht kritischer Entscheidungen. Und leider auch über verständliches, aber doch auch unwürdiges Verhalten der Verlierer.

Bei der Formel 1 sollten nach dieser Saison die Sektkorken knallen. Der Sekt bleibt leider eingekühlt, nicht nur weil in Abu Dhabi ohnehin verpönt. Es gibt in den nächsten Monaten viel zu klären.

Safety Cars gehören eben dazu

Eins vorweg: Die Safety-Car-Phase an sich war eine richtige Entscheidung im Namen der Sicherheit. Und Safety Cars waren einerseits noch nie fair, berauben sie den Führenden doch immer seines herausgefahrenen Vorsprungs.

Andererseits waren sie schon immer Teil des Sports, nahmen auch auf Ergebnisse Einfluss. In Abu Dhabi entfaltete sich das in seiner größtmöglichen Dramatik. Oft genug sind Motorsportfans auch dankbar für diese Würze, die ein fades Rennen noch einmal spannend macht. Das muss nicht gut gefunden werden und schreit im Sinne des Sports schon lange nach einem anderen Lösungsansatz - die "Virtual Safety Cars" waren ein erster Schritt in die richtige Richtung.

Leider war auch das Hin und Her der Rennleitung bei der Exekution der letzten Runden nur ein neues Fallbeispiel im Pippi-Langstrumpf-Kurs, der in dieser Saison Einzug hielt. Ich mach' mir die Welt, wie sie mir gefällt - und lege das Reglement aus, wie es der Spannung des Rennens gerade zuträglich ist.

Überrundete vorbeilassen oder nicht? Zuerst die eine Ansage, dann die andere. Am Ende eine Lösung, die es so noch nicht gab. Und dann wieder der Eindruck, Michael Masi wüsste selbst nicht, was er tun soll. Er tat das, was für maximale Spannung sorgte.

Wunder? Renngötter? Nein, Michael Masi

Dieser Spannung der letzten Runde von Abu Dhabi haftet ein künstlicher Beigeschmack an. Unter normalen Umständen hätte Verstappen keine Chance mehr gehabt. Das mussten alle Siegerparteien eingestehen: Verstappen selbst, der sich für ein "Wunder" bedankte (HIER nachlesen>>>). Und auch Helmut Marko und Christian Horner, die einen Gruß an die "Renngötter" schickten (HIER nachlesen>>>).

 

(Text wird unterhalb fortgesetzt)

Die Rennleitung hat sich durch die erneute Rennfreigabe einmal mehr einen Eingriff in das Rennergebnis erlaubt, der legitim war - ob korrekt durchgeführt, werden die Instanzen entscheiden. Unabwendbar war er aber nicht. Auch die letzte Runde unter dem Safety Car zu absolvieren, Verstappen keine Chance mehr zu schenken, wo er zuvor keine Aussicht mehr auf eine hatte und damit das zuvor quasi feststehende Ergebnis des Rennens zu bewahren, hätte aber der Show geschadet. Und die Show stand wohl vor der Fairness.

Es ist ein Beigeschmack, den die Formel 1 ihrem Sport selbst verpasst hat. Und den keine noch so spannende Entscheidung verdecken kann. Genug Fans werden sich von diesem Fakt vergrämt fühlen, ergriffen vorher jene die Flucht, denen die Spannung fehlte. Notwendig wäre es nicht gewesen, zu viel gute Show hat sich in diesem Jahr von selbst produziert.

Dass fast jedes Rennen ein Nachspiel hat - Protest hier, beleidigte Leberwürste an den Kommandoständen da - ist fast schon eine logische Folge, der Refrain, der immer wieder kommt und so lästig im Ohr bleibt.

Mercedes kann das Prädikat eines schlechten Verlierers mit der Ausreizung aller Möglichkeiten, das Ergebnis anzufechten, verpasst werden. Es ist aber verständlich, es steht zu viel auf dem Spiel, alles auf sich beruhen zu lassen, was auch hätte anders laufen können.

Jetzt braucht es Nachbesserung

Max Verstappen ist ein verdienter Weltmeister. Einen unverdienten hätte es gar nicht geben können. Zu brillant waren die Leistungen beider Anwärter. Es wird auch dieser Eindruck der bleibende sein, hat sich der Staub der tagesaktuellen Geschehnisse einmal gelichtet, wird sich der Rückblick weniger auf das letzte Rennen und mehr auf die 21 davor konzentrieren.

"Ohne Safety Car wäre Lewis Weltmeister. Es war pures Glück, was heute passiert ist."

Fernando Alonso

Und die Schlagseite der Geschehnisse in Abu Dhabi war auch nicht die erste ihrer Art. Ob die vielen Aufreger dieser Saison am Ende zu einer ausgleichenden Gerechtigkeit fanden, muss jeder für sich entscheiden.

Aber die Formel 1 muss etwas tun. Die Formel 1 braucht klare - am besten gleich besser überschaubare - Regeln. Klare Linien. Und Verantwortliche, die sie durchziehen, statt herumzueiern.

Unter Michael Masi hat die Unberechenbarkeit Einzug in die Leitung der Rennen gehalten. Am Ende seines zweiten Jahres steht der Australier schwer unter Beschuss. Eine Ablöse wird sicher diskutiert, vielleicht wäre sie nicht die schlechteste Entscheidung. Für den Sport und für Masi selbst.

Könnten wir doch nur über die Leistungen reden...

Dieses "Gschmäckle", dem fast jedes Rennen anhaftete, wegzubekommen, wird die neue Aufgabe der Formel 1. Jahrelang war sie damit beschäftigt, Spannung zu schaffen, wo keine mehr war.

Eine Kostenbremse und ein neues Reglement waren das Ergebnis, die ausgerechnet jetzt Einzug halten, wo sich das gröbste Problem von selbst gelöst hat. Ironie des Schicksals wäre, wenn uns diese radikalen Einschnitte nächste Saison die neue Spannung erst wieder kosten. Noch gibt es keinen Grund zu dieser Annahme, könnte auch das Gegenteil eintreten.

Ein Sport muss fair sein, faire Rahmenbedingungen haben, soweit das möglich ist. Dazu gehört eine nachvollziehbare Rennleitung. Wie schön wäre diese Saison erst gewesen, hätte sich nie jemand benachteiligt gefühlt? Hätte nie ein Wort über Masi, die Stewards und Co. verloren werden müssen? Klare Regeln und eine stringente Anwendung hätten dafür schon gereicht.

Eine gute Grundlage. Nutzt sie!

"DAS IST INAKZEPTABEL! Max ist ein absolut fantastischer Fahrer, der eine unglaubliche Saison hatte, und ich habe nur Respekt für ihn. Aber was heute passiert ist, ist absolut inakzeptabel. Ich kann nicht glauben, was wir gerade gesehen haben."

George Russell

Trotz all dieser Kritik: Die Formel 1 2021 hat sich einen positiven Abschluss verdient. Zu viel hat sie uns allen in den vergangenen acht Monaten geschenkt.

Gehörte man selbst zu einem Lager, waren es alle vorstellbaren Höhen und Tiefen, die durchlebt wurden. Diskussionspotenzial noch und nöcher, auch wenn sich der Ton zwischen den Parteien zuletzt fast ins Unerträgliche verschärfte. Es ist nur Sport, er sollte Ablenkung und Ventil sein - für alle Dinge, die uns sonst gerade so belasten, und in der die Worte eine permanente Aufrüstung erfahren.

Für Neutrale, wer es bis zuletzt überhaupt bleiben konnte, gab es ein Feuerwerk an Geschehnissen, die sich für ewig in die Erinnerungen brennen werden. Für Neulinge in der Formel 1 setzte es gleich mit voller Breitseite das ganze Potpourri aller Dinge, die diesen Sport so faszinierend, so beeindruckend, so fantastisch und eben auch frustrierend machen.

Für die Geschichtsbücher gab es Rekorde. Beendete und prolongierte Serien. Vielleicht beginnende Erfolgsläufe und Rennen, die zum Klassiker werden könnten, deren Wiederholungen in 30 Jahren Programmlöcher in öffentlich-rechtlichen Sportspartenkanälen füllen. Falls es lineares Fernsehen dann noch gibt.

Und an diesem Sonntag, an dem die WM endlich ihre Entscheidung fand, sprach fast jeder über die Formel 1. Wie es einst vor Jahrzehnten war.

Nicht die schlechteste Bilanz für uns Beobachter. Und keine schlechte Grundlage für einen Sport, der seine Daseinsberechtigung im Zeitgeist künftig hart verteidigen muss. Jetzt braucht es die richtigen Stellschrauben, die negativen Emotionen dieses sporthistorischen Tages in Zukunft loszuwerden.

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