In einem Kommentar kann man die bei der Abschluss-Pressekonferenz aufgekommene Frage, ob das Irland-Match bereits ein Schicksalsspiel für Teamchef Marcel Koller ist, ein wenig deutlicher beantworten als in einem journalistischen Text.
Nein, ist es nicht. Alles andere wäre nicht sonderlich schlau.
Und das nicht nur, weil es derzeit tendenziell an Alternativen mangelt – die für diesen Job denkbaren Trainer-Legionäre Ralph Hasenhüttl, Peter Stöger und Adi Hütter wären gut beraten, weiter ihre Karriere im Ausland zu forcieren.
Alle Entscheidungen Kollers in diesem Länderspiel-Jahr konnte ich auch nicht nachvollziehen, aber erstens liegt kaum jemand immer richtig und zweitens lässt sich wohl eine breite Mehrheit für die Einschätzung gewinnen, dass der Schweizer nach wie vor der richtige Mann am richtigen Ort ist.
Hoffentlich später als früher wird sich Fußball-Österreich aber ohnehin Gedanken über einen neuen Teamchef machen müssen. Auch wenn die Lehre der bisherigen Zusammenarbeit anderes besagt, schließlich hat Koller zwei Mal verlängert (und dies gerade beim ersten Mal gegen die öffentliche Erwartung), würde ich nicht ausschließen, dass dies die letzte Qualifikation des 56-Jährigen als ÖFB-Teamchef ist – und zwar wohlgemerkt unabhängig von ihrem Ausgang.
Dennoch: Zum jetzigen Zeitpunkt sollte sich diese Frage nicht stellen. Dass sie trotzdem gestellt wurde, spiegelt jedoch das bis dato enttäuschende Länderspiel-Jahr 2016 wider. Vor einem Jahr, ja selbst vor einem halben, wäre sie undenkbar gewesen, so unantastbar war der eidgenössische „Ehren-Österreicher“.
Die souveräne Qualifikation für die EM wird wohl für immer Teil der österreichischen Fußball-Geschichte sein und Koller war ihr Mastermind.
So viel Segen dieser Erfolgslauf nach Frankreich gebracht hat, so viel Fluch kann er in der derzeitigen Situation sein, schließlich ist er ein Maßstab, dem das Nationalteam auch in besserer Verfassung in der laufenden WM-Qualifikation kaum gerecht werden hätte können.
Solche Maßstäbe sind zwar per se nichts Schlechtes, schließlich helfen Vergleiche bei der Einordnung. Aktuell ist der Blick in den Rückspiegel eher kontraproduktiv, zu außergewöhnlich war eine Kampagne mit neun Siegen und einem Remis in zehn Partien.
In dieser Länderspiel-Woche haben mit Julian Baumgartlinger und Martin Harnik zwei ÖFB-Kicker interessante Worte zum Vergleich mit der EM-Qualifikation gefunden. Ihre Kernaussagen:
Baumgartlinger: „Ich denke, dass man die beiden Qualifikationen schon mal grundsätzlich nicht miteinander vergleichen kann, weil die Erwartungshaltung zu Beginn der EM-Qualifikation ganz anders war, als sie jetzt ist. Jeder erwartet von uns, oder spekuliert damit, dass es im selben Rhythmus wie in der EM-Quali weitergeht. Es war eine Ausnahmesituation in ganz Europa, dass man so durchmarschiert und so viele Spiele gewinnt. Es war harte Arbeit und wenn man genau schaut, bis auf wenige Spiele, die wir souverän mit mehreren Toren Abstand gewonnen haben, waren es alles enge Partien. Jetzt haben alle geglaubt, es geht so weiter. Wir waren uns bewusst, wie schwierig es war und wie schwierig es auch jetzt wieder wird. Jetzt können wir uns fragen: Zweifeln wir an uns oder lassen wir das bleiben? Wir haben uns dafür entschieden, das bleiben zu lassen und zu sehen, was wir trotzdem geleistet haben. Wir sind immer wieder zurückgekommen und haben uns neben den zahlreichen Toren auch noch zahlreiche Chancen erarbeitet. Diesen Weg gehen wir weiter. Aus einem Start mit einem Sieg, einem Unentschieden und einer Niederlage kann trotzdem noch eine erfolgreiche Qualifikation werden.“
Harnik wehrt sich gegen die Einschätzung, dass man in der EM-Qualifikation eine gewisse Selbstverständlichkeit ausgestrahlt habe: „Selbstverständlichkeit ist ein Unwort. Es waren einige Spiele dabei, in denen es auch in die andere Richtung hätte kippen können, wo wir uns das Glück sicherlich erarbeitet, aber am Ende einfach auf unserer Seite hatten. Es war unterm Strich natürlich unglaublich erfolgreich und wirkte souverän, weil wir 28 Punkte hatten und mit dem Spiel in Schweden den Eindruck vermittelt haben, wir wären durchmarschiert, aber während dieser Qualifikation war es alles andere als selbstverständlich. Ich würde sogar sagen, es war nicht immer souverän. Österreich ist noch nie mit einer Selbstverständlichkeit durch eine Qualifikation marschiert, und dieses Mal genauso wenig.“
Auch wenn Baumgartlinger bei seinem Hinweis auf die „Ausnahmesituation in ganz Europa“ England außer Acht gelassen hat, stimmt es schon: Die letzte EM-Quali war ein Sonderfall.
Aber wohl die meisten von uns, da nehme ich mich gar nicht aus, lassen sich hin und wieder beim Blick auf diese grandiosen eineinhalb Jahre erwischen. Als Vergleich ist dies wie gesagt okay, als Maßstab jedoch zu viel verlangt, weshalb wir wohl lieber eher heute als morgen damit aufhören und die erfolgreiche Vergangenheit auch Vergangenheit sein lassen sollten (genau wie wir die unerfolgreiche Vergangenheit bei der EURO aus dem Gedächtnis löschen mussten...).
Die „normale“ Quali erleben wir jetzt gerade.
Eine, die bis zum Schluss ein Krimi werden dürfte. Eine, in der Nervenstärke gefragt ist. Eine mit engen Spielen, von denen nicht jedes gewonnen werden kann. Vielleicht ist es auch richtig, dass beispielsweise manche Phasen in den Partien gegen Wales oder in Serbien besser waren als so manches gewonnene Spiel in der EM-Quali.
„Mittlerweile geht es eigentlich nur noch um Ergebnisse und nicht mehr um Leistungen oder Tendenzen“, findet Baumgartlinger.
Das mag nicht fair sein, stimmt jedoch tendenziell. So ist das Geschäft.
Deswegen sollte es die Weiterentwicklung des ÖFB-Teams in dieser Kampagne sein, zu beweisen, dass man Rückschläge wegstecken und nach schlechten Ergebnissen zurückkommen kann. Nennen wir es meinetwegen eine deutsche Tugend. Wer Qualität hat, stellt diese Qualität unter Beweis.
Klasse offenbart sich nämlich nicht nur in der Phase von Siegesserien, sondern gerade in der Reaktion auf Misserfolge.
Irland ist eine gute Gelegenheit, die wahre Klasse dieses ÖFB-Teams zu zeigen. Denn ja, früher oder später zählen die Ergebnisse, auch in dieser Quali. Und „echte“ Schicksalsspiele würden wir uns gerne ersparen.