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Fußball in Mattersburg 2.0: Ein Märchen unter Pappeln

Nach dem Untergang des SV Mattersburg regiert jetzt der MSV 2020 im Pappelstadion. Das hat sich verändert, das sind die Menschen und Visionen dahinter.

Fußball in Mattersburg 2.0: Ein Märchen unter Pappeln Foto: © LAOLA1/Kulovits

Menschenschlangen vor dem Pappelstadion. Das gab‘s in Mattersburg lange nicht.

Es ist ein besonderes Spiel, das da gleich steigt. Nicht Bundesliga, sondern burgenländische 2. Liga Mitte. MSV 2020 gegen SV Rohrbach.

Nur wenige Kilometer trennen die beiden Orte. Mehr Derby geht nicht. Es ist das erste seit 23 Jahren.

Seither ist im Mattersburger Fußball viel passiert. Der Aufstieg des SV Mattersburg war steil, der Untergang ein spektakulärer Kriminalfall. Statt dem SVM regiert jetzt der MSV in der Bauwelt-Koch-Straße.

Im Juni übersiedelte der Verein von der Akademie Burgenland ins ehemalige Bundesliga-Stadion. Das erste Heimspiel der neuen Saison, im Pappelstadion, gegen den ewigen Rivalen, bei bestem Fußball-Wetter – Es ist angerichtet.

In Mattersburg träumte man im Vorfeld von 1.000 bis 2.000 Zuschauern, geworden sind es sogar ein wenig mehr als 2.000. Der Spielbeginn verzögert sich aufgrund des Andrangs an den Kassen um 10 Minuten.

"Do geht’s zu wie in Bundesliga-Zeiten", frohlockt Herr F., ein alteingesessener Mattersburger, wie er selbst sagt. "A schens G’fühl", nickt sein Kumpane an seinem Krügerl nippend. "Mehr Zuschauer ham‘ma am Schluss in der Bundesliga a net g‘habt."

Das Ordner-Personal erweist sich in der Zwischenzeit als Spielverderber für eine handvoll MSV-Fans, die sich mit Bengalen in Stellung gebracht hatten. "Show must go on" ertönt über die Stadion-Lautsprecher, die Mannschaften laufen ein.

Anpfiff.

Noch am Tag des endgültigen Untergangs des SV Mattersburg am 5. August 2020 wurde in den Katakomben des Pappelstadions der Entschluss gefasst, einen neuen Verein zu gründen. Nur fünf Tage später war der MSV 2020 geboren.

"Es war wichtig, schnell etwas zu machen", erinnert sich Manfred Strodl, Gründungsmitglied und nunmehriger Obmann des MSV.

"Unsere Vision ist, es mittelfristig in die Regionalliga zu schaffen."

MSV-Obmann Manfred Strodl

Ansporn für Strodl und sein Team war vor allem der Nachwuchs. Heute spielen 180 Kinder und Jugendliche, davon 40 Mädchen, in Mattersburg Fußball. Betreut werden sie von 13 Trainern.

Seit der Saison 2021/22 gibt es auch wieder eine Kampfmannschaft. Das Personal dafür kam quasi von alleine.

"Als es geheißen hat, wir gründen einen Verein, haben viele Spieler aus der Region gesagt, sie möchten dabei sein. Da war sofort eine Aufbruchstimmung da", erzählt Strodl.

Die Philosophie ist klar: Mit jungen Spielern aus der Region Schritt für Schritt nach oben. "Unsere Vision ist, es mittelfristig in die Regionalliga zu schaffen", sagt der Obmann. "Der eingeschlagene Weg ist der richtige."

Gestartet in der untersten Liga des Burgenlandes, gelangen dem MSV zwei Aufstiege in Folge bis in die 2. Liga Mitte.

30 Minuten sind gespielt, noch immer 0:0. Die Gangart ist hart, ein Derby eben.

Dann der erste Aufreger des Spiels: Alois Höller bringt seinen Gegenspieler kurz vor dem Strafraum zu Fall. Letzter Mann – Rot!

Ausgerechnet Höller. Der Star, wie ihn manche in Mattersburg nennen.

Jener Alois Höller absolvierte in seiner Karriere über 300 Spiele für den SV Mattersburg, gab im Dress der Burgenländer sein Bundesliga-Debüt.

Jetzt ist er mit 34 Jahren zurück im Pappelstadion. "Da sind alle Gefühle wieder hochgekommen", sagt Höller, der in der Vorsaison mit Scheiblingkirchen aus der Regionalliga abgestiegen ist.

Beim MSV sieht sich der Routinier, der zuletzt drei Jahre lang die U7 trainierte, als Leitfigur in der jungen Mannschaft. "Die Jungen nehmen viel an, sowohl taktisch als auch technisch. Es braucht aber sicher noch Zeit."

Für den einen oder anderen seiner jetzigen Mitspieler ist Höller schon länger ein Vorbild. "Letztens sagte einer in der Kabine zu mir: Weißt du noch, damals gegen Salzburg, bin ich mit dir eingelaufen", schmunzelt Höller.

Nichts zu lachen hat Höller, als er in seinem ersten Heimspiel für den MSV vorzeitig in die Kabine muss. "Ist nicht seine erste Rote in diesem Stadion", zuckt ein gelassener Zuschauer mit den Schultern.

Höller ist noch nicht mal richtig in der Kabine, Freistoß, abgefälscht – 0:1 für die Gäste. "Der Ball stolpert ins Tor, wie früher beim SVM." Diesmal Kopfschütteln statt Schulterzucken.

Kurz drauf springt ein Großteil der 2.000 Fans jubelnd auf. 1:1!

VIDEO: Einblicke zum Bezirksderby MSV 2020 vs. SV Rohrbach

Halbzeit.

Eine Schnitzelsemmel muss sein. Ob sie noch so gut schmeckt wie zu SVM-Zeiten?

Das Kantinen-Personal schwitzt. Mit so viel hungriger und vor allem durstiger Kundschaft haben sie offenbar nicht gerechnet. Die Schnitzelsemmeln sind gut, aber aus. Was für eine Niederlage.

"Verloren hom‘mas no ned", sind die Männer in der Schlange vor der Kantine optimistisch, dass es aus Mattersburger Sicht zumindest auf dem Feld keine Niederlage gibt.

Ähnliches dürfte bei der Halbzeit-Ansprache in der MSV-Kabine von Trainer Josef Kühbauer zu hören gewesen sein. Der Bruder von Didi Kühbauer hat seit Sommer 2022 das Sagen an der Seitenlinie.

"Er hat den Respekt der Spieler. Wenn er was sagt, das pickt", veranschaulicht Strodl. Und: "Er ist Mattersburger, das passt perfekt zu unserer Philosophie", spricht der Obmann von einem Trainer-"Glücksgriff".

Unter Kühbauers Regie soll der dritte Meistertitel in Folge in Angriff genommen werden. "Mit dieser Mannschaft spielst du auf jeden Fall vorne mit", meint Höller. "Es ist sehr viel Potenzial da."

57. Spielminute: 2:1 für Mattersburg. Spiel gedreht. "Hier regiert der MSV", schallt es durchs Pappelstadion. "Hoffentlich geht ihnen net die Luft aus", ist nicht jeder im grünen Lager siegessicher.

In der Schlussphase wird es nochmal hitzig. Rohrbach wirft nochmal alles nach vorne, Mattersburg opfert sich auf dem Feld für den prestigeträchtigen Sieg im Derby auf.

Die Stadion-Uhr zeigt die fünfte Minute der Nachspielzeit an. 3:1 – Das war’s.

Schlusspfiff.

"Hier regiert der MSV", stimmt der Stadionsprecher durchs Mikrofon nochmal an. Zur Feier des Tages darf doch noch ein Bengalo gezündet werden.

Der grüne Rauch ist noch nicht verflogen, da folgt schon die Einladung zur "3. Halbzeit" ins ehemalige SVM-Cafe.

Ehemalig deshalb, weil in den Räumlichkeiten in den Katakomben des Pappelstadions aktuell nur wenig ans SVM-Cafe von früher erinnert.

Im Zuge der Auflösung des SV Mattersburg wurde 2020 quasi alles verkauft, das nicht niet- und nagelfest war. Angefangen von Garnituren an Dressen bis hin zu den Sitzen auf der Haupttribüne. Rechtzeitig vor dem Derby wurden neue angeschafft, so kamen zumindest 1.200 der mehr als 2.000 Fans in den Genuss einer halbwegs bequemen Sitzunterlage in der Mitte der Tribüne. Wer zu spät kam und sitzen wollte, musste links und rechts davon auf Beton Platz nehmen.

Fast alles, was über Jahre hinweg entstand, verschwand mit dem SV Mattersburg. VIP-Zelt, VIP-Tribüne, Fernsehturm – alles weg. Wo einst die große Stahltribüne für die Auswärts-Fans stand, ist jetzt ein zusätzlicher Trainingsplatz.

Eines der wenigen Überbleibsel aus Bundesliga-Zeiten, ein Aufkleber der Rapid-Ultras auf der Haupttribüne, wird von einem Mattersburger Fan auch noch mit einem Ruck entfernt.

Das ehemalige SVM-Cafe wurde vor drei Jahren nahezu leergeräumt. Schank, Tische, Stühle – alles weg. "Sogar die Wandverkleidung haben sie heruntergerissen", erzählt Strodl.

Also wird nach dem Derby auf Bierbänken angestoßen, die provisorisch aufgestellt wurden. Halb so schlimm, findet der Obmann: "Feiern kann man überall."

In den Katakomben des Pappelstadions herrscht weitgehend Leere
Foto: © LAOLA1/Kulovits

Früher oder später soll das SVM-Cafe wieder revitalisiert werden. Das passiert in enger Abstimmung mit der Stadtgemeinde Mattersburg, der das Pappelstadion gehört und die für die Instandhaltung der gesamten Infrastruktur verantwortlich ist. Der MSV ist Mieter.

Vor dem Vereinshaus fällt einem als erstes das hohe Aufgebot an Polizei-Autos ins Auge. Das liegt weniger am hitzigen Derby, sondern daran, dass sich die hiesige Polizei vorübergehend im oberen Stockwerk eingemietet hat. Darunter befinden sich die Kabinen.

Abgesehen von Fotos der Spieler in den Umkleideräumen wirkt das Vereinshaus noch recht trostlos. Ihm soll nach und nach neues Leben eingehaucht werden – wie dem Fußball in Mattersburg im allgemeinen.

Was der MSV anders macht als der SVM

"Wir haben eine super Basis", spricht Strodl das sportliche und infrastrukturelle Fundament an. Das an sich fußballbegeisterte Publikum in Mattersburg und Umgebung gehört auch dazu.

"Hier wächst wieder was", strahlen die Augen des Obmanns, wenn er über sein "Herzensprojekt" redet. "Wir haben vieles erreicht, was vor einem Jahr noch nicht für möglich gehalten wurde. Fast wie im Märchen. Da müssen wir jetzt Schritt für Schritt weiter machen."

Nach oben hin will man sich keine Grenzen setzen. "Ob noch mehr kommt, hängt von mehreren Faktoren ab. Wir hätten zumindest die Möglichkeiten vom Stadion und von den Zuschauern her."

Die Geschichte des SV Mattersburg, der gemeinsam mit der Commerzialbank von Präsident Martin Pucher unterging, dient als mahnendes Beispiel, wie man es nicht macht.

"Nur Geld hineinzupumpen ist zu wenig", sagt der ehemalige Unernehmer Strodl. "Das ganze Projekt muss von einer breiten Basis getragen werden." 65 Sponsoren unterstützen den MSV aktuell.

"Wir backen lieber kleinere Brötchen und machen alles Schritt für Schritt", erklärt der Obmann.

Diese Philosophie hat zumindest in den ersten drei Jahren gefruchtet. Das ruft auch Neider auf den Plan.

"Wir haben viele gute Leute, die gute Arbeit machen. Dass es da Neider gibt, ist normal", sagt Strodl. "Aber der Erfolg gibt uns recht."

Und so könnte es in Mattersburg in Zukunft wieder häufiger Menschenschlangen vor dem Pappelstadion geben.

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