Das Rezept war monatelang gleich, und es funktionierte: Das ÖFB-Team überrumpelt den Gegner gleich von Start weg mit seiner aggressiven Spielweise, presst hoch und gut an, erobert die zweiten Bälle, erzielt ein frühes Tor und hat so sofort das Momentum auf seiner Seite.
Doch was in der ersten Hälfte des Jahres 2024 geklappt hat, klappt nun nicht mehr. Angefangen mit der Achtelfinal-Niederlage gegen die Türkei bei der EM, fortgesetzt mit dem 1:1 in Slowenien und dem 1:2 in Norwegen.
Die anderen gehen in Führung
Drei Mal waren es die Gegner, die früh getroffen haben, die nicht geschockt werden konnten, sondern es ihrerseits getan haben.
"70 Prozent der Spiele, in denen eine Mannschaft früh in Führung geht, gewinnt sie auch", rechnet Teamchef Ralf Rangnick nüchtern vor.
Tormann Patrick Pentz stellt fest: "Wir sind aktuell einfach nicht im Flow."
Der Start in die Nations League ist schiefgegangen. Was ist da los? Warum funktioniert das ÖFB-Spiel nicht mehr wie gewohnt?
Nicht giftig genug
Nicolas Seiwald tut sich schwer, eine Erklärung zu finden: "Es liegt nicht daran, dass der Gegner so gut war. Wir wissen, wir können es besser. Das ärgert uns. Wir wissen, dass wir solche Nationen schlagen können, vielleicht sogar müssen, wenn wir unser Potenzial abrufen."
Sein Team sei "im Spiel gegen den Ball nicht giftig genug" gewesen, konstatiert Rangnick. Die Pressing-DNA, sie kommt dieser Tage nicht so ausgeprägt zum Vorschein wie gewohnt.
Der Hunger muss wieder her
Stefan Posch findet: "Wir müssen nicht alles in Frage stellen. Wir müssen unsere Abläufe wieder reinbringen. Wir müssen hungrig, aggressiv, leidenschaftlich auftreten, unser Herz am Platz lassen. So sind wir die Gegner gefühlt überrannt. Das macht uns stark – als Team, gemeinsam waren wir besser als die anderen. Das hat uns diesmal gefehlt."
Die Einzelkritik zum NL-Match Norwegen gegen Österreich
"Alle elf Spieler am Platz plus die Bank – jeder braucht diesen Hunger, diese Leidenschaft, um wirklich besser zu sein als andere Nationen. Wir sind eine kleine Nation, haben nicht die Topstars. Wir müssen übers Team kommen, da brauchen wir jeden, da muss alles perfekt funktionieren", sagt der Bologna-Legionär.
Leistungsträger fehlen
Doch das tut es aktuell eben nicht. Freilich hat das auch mit personellen Problemen zu tun. Da wären etwa die Langzeitverletzten David Alaba und Xaver Schlager. "Sie und Kalajdzic werden 2024 definitiv nicht mehr für uns spielen", muss sich Rangnick in Geduld üben.
Mit Kevin Danso und Michael Gregoritsch waren zum Start in die Nations League zwei weitere Leistungsträger nicht verfügbar.
"Es fehlen Spieler, die uns normalerweise extrem helfen. Das ändert aber nichts daran, dass wir es auch so besser machen können", sagt Rangnick.
Rangnicks Forderung
Und wie? "Wir müssen wieder den Fußball spielen, der uns in den letzten zwei Jahren ausgezeichnet hat. Der hat auch etwas mit dem Bewusstsein zu tun, dass wir richtig unangenehm sein müssen, dass wir giftig sein müssen. Gegen uns wollte keiner spielen. In den letzten Spielen war das nicht so der Fall. Das muss sich ändern. Wir müssen zu unseren Tugenden zurückfinden", fordert der Teamchef.
Die ÖFB-Kicker sind wild entschlossen, dieser Forderung in den kommenden beiden Heimspielen gegen Kasachstan und Norwegen nachzukommen.
"Wir freuen uns auf den Oktober, weil wir das unbedingt wiedergutmachen wollen. Das klare Ziel sind sechs Punkte. Ich bin zuversichtlich, dass wir wieder in den Flow kommen", sagt Seiwald.