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Kommentar: Es warten noch viele Fässer auf Rangnick

Stadion, Musik und Ausbildungsfragen. Ralf Rangnick mischt sich auch abseits seiner eigentlichen Zuständigkeit immer mehr in Themen ein. Und das ist gut so.

Kommentar: Es warten noch viele Fässer auf Rangnick Foto: © GEPA

"Womöglich mache ich jetzt wieder ein neues Fass auf", schoss es Ralf Rangnick vergangene Woche bei einem Hintergrundgespräch mitten im Satz ein, als er gerade über die ÖFB-Trainerausbildung philosophierte.

Ja, er hat dabei wieder eines aufgemacht. Und gut so!

Allen Beteiligten ist klar, dass auch der 64-Jährige in erster Linie an der – nennen wir es mal "klassischen" – Teamchef-Arbeit gemessen wird. Ohne entsprechende Ergebnisse wird es für den ranghöchsten Trainer eines Fußball-Landes schnell mal ungemütlich.

Bei Rangnicks Bestellung schwang jedoch fraglos die Hoffnung mit, und hier nehme ich mich ganz und gar nicht aus, dass er über seine klassischen Kompetenzen hinaus blicken wird.

Als jahrelanger Sportdirektor, als Reformer, als geübter Hauptprojektleiter in Sachen rundes Leder an verschiedensten Standorten wie Hoffenheim, Salzburg oder Leipzig verfügt der Deutsche über Blickwinkel, die ein klassischer Trainer vielleicht nicht hat.

Zumindest Hinweise und Denkanstöße konnte man sich also schon wünschen.

Und ja, Rangnick liefert. Immer mehr.

Dass man der Meinung sein kann, dass man beim ÖFB gar nicht genug Fässer aufmachen kann, sei nur am Rande erwähnt.

Bevor wir uns drei mehr oder weniger wichtige Beispiele anschauen, sei der Vollständigkeit halber erwähnt, dass Rangnick mit seiner Spielphilosophie natürlich auch auf dem Platz Akzente setzt und gleichzeitig auch am Mindset einer ganzen Fußball-Nation arbeitet, indem er etwa ein Heim-Remis gegen Weltmeister Frankreich nicht einfach so als Megaerfolg durchapplaudieren lässt.

Aber das lässt sich ebenso wie das Initiieren eines sieben Jahrgänge umfassenden Lehrgangs für Perspektivspieler durchaus auch als normale Teamchef-Arbeit verkaufen.

Rapid-Stadion? Nicht mehr denkunmöglich

Darüberhinaus geht sein Engagement in Sachen Stadion, das er bereits in der Frühphase im Amt gestartet hat.

Konkret meine ich sein Vorhaben, im Rapid-Stadion zu spielen, mit dem er tatsächlich fast durchgekommen wäre – und vielleicht lässt sich das Wörtchen "fast" ja bald streichen.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Dies ist ein Thema, bei dem man beide Seiten verstehen kann.

Es lässt sich unterschreiben, wenn sich "Sky"-Experte und Ex-Nationalspieler Marc Janko ärgert:

"Ich finde es schade und fast traurig, dass keiner das Nationalteam im eigenen Stadion sehen will und es sogar Fan-Aufstände und Beschwerdebriefe gibt. Die besten Kicker des Landes müssen auf Herbergssuche gehen, weil sie nirgends gern gesehen werden. Es kann nicht sein, dass wir ein Stadion nach dem anderen bauen und das Nationalteam dort dann nicht gerne gesehen wird."

Gleichzeitig verstehe ich, wenn einer der führenden Vertreter der ÖFB-Fans bei LAOLA1 betont, dass er nicht mal am Tivoli aus Respekt vor den Innsbrucker Fans auf das Vorsänger-Podest gestiegen ist, weil er sich als Gast auch wie ein Gast verhält.

Im Falle von Hütteldorf hieße dies seiner Meinung nach: "Wenn sie das machen sollten, müssten wir überlegen, ob wir das Spiel nicht meiden. Da kannst du nur verlieren. Mit dem Block West will ich mich als letztes anlegen. Das ist kompletter Blödsinn, diese Idee sollten sie schnell begraben."

Das sind Bedenken, die man zumindest nicht einfach so ignorieren kann.

Aber, und das ist der Punkt: Man redet inzwischen, ob und wie sich all diese Themen lösen lassen. Das Rapid-Stadion wird seit 2016 bespielt und wäre schon genauso lange ideal für das Nationalteam. In Wahrheit hat es aber die Mehrheit von uns als denkunmöglich erachtet.

Ob das Thema auch ohne Rangnicks Hartnäckigkeit so konkret geworden wäre? Man darf berechtigte Zweifel haben.

Im Zusammenhang mit dem vermeintlichen No-Go Allianz-Stadion fragte Rangnick auch: "Nur weil es schon immer so ist, muss es das auch bleiben?"

Willkommen zurück in Österreich.

Pizzera und Rangnick

"I am from Austria" und der "Radetzky-Marsch" sind rot-weiß-rote Kultur-Güter, die ich mich bestimmt nicht zu verunglimpfen getraue. Aber ich bleibe bei der These, dass ein Großteil des Stadion-Publikums inzwischen angesichts der gefühlt 278. Wiederholung schon beim Mitklatschen einschläft, sofern nicht versehentlich die rot-weiß-rote Bier-Fahne in den Becher fällt.

Ganz ehrlich: Es amüsiert mich, dass es den Teamchef braucht, der erstens – laut eigener Erzählung war auch hier Bier im Spiel – in Feierlaune nach dem Sieg gegen Italien mitten in der Nacht auf einer Bus-Runde um den Ring beim Konsum von älteren und modernen Austropop-Klassikern auf die Idee kommt, dass das Nationalteam einen eigenen Song benötigt.

Der zweitens eine Woche später höchstpersönlich Paul Pizzera per Zoom-Call mit diesem Projekt beauftragt und der drittens das steirische Wortspiel-Kapazunder als – laut Pizzera – "uferloser Sprachnachrichten-Versender" nach seinen Vorstellungen steuert.

Mikromanagement?

Es ist spannend, an welche Elemente Rangnick denkt, wenn er der Meinung ist, dass es seinem Team zumindest ein bisserl helfen kann – und nichts anderes ist sein Hintergedanke, so ein Musik-Freak ist er mutmaßlich auch wieder nicht.

Wenn ein neues und durchaus modernes Liedchen gegen die Stadion-Lethargie hilft und eine neue Zielgruppe anspricht – warum nicht? Natürlich kann man im Wigl Wogl sein, ob einem "hoch gwimmas (n)imma" taugt, aber schaden wird es wohl nicht.

Von "richtig gut" zu "top"

Schaden entsteht in Österreich inzwischen schon seit längerer Zeit keiner, wenn man sich als Absolvent der ÖFB-Trainerausbildung bezeichnen darf.

Beginnend mit Willi Ruttensteiner über Thomas Janeschitz und Dominik Thalhammer bis hin zum aktuellen Leiter Thomas Eidler hat man sich zum Ziel gesetzt, auch Trainer für den internationalen Markt auszubilden – und das läuft.

Rangnick stellte, wiederum ohne direkte Zuständigkeit, in Frage, ob man in Österreich im Vergleich mit Deutschland und vor allem der Schweiz nicht zu viele Coaches das Pro-Diplom erwerben lässt.

Auch hier: Man kann dies auch anders sehen und der Meinung sein, dass möglichst viele bestens ausgebildete Trainer, von denen zahlreiche im Nachwuchs landen, von Vorteil sind.

Was die Förderung der absoluten Toptalente der nächsten Trainer-Generation betrifft, würde indes definitiv Qualität vor Quantität gehen.

Aber genau darum geht’s ja: Es geht nicht zwingend um richtig oder falsch, sondern um Denkanstöße wie diesen von jemandem, dem man auch zuhört. Um Diskussionen, ob es vielleicht eine noch bessere Lösung gibt.

Oder wie es Rangnick am Beispiel der Trainerausbildung unterstreicht: Die sei nämlich "richtig gut", es ginge darum, dass sie "top" werde.

Man kann sich auch mal in konstruktiver Zurückhaltung üben und nur vorsichtig anklingen lassen, dass im ÖFB nicht alle Bereiche "richtig gut" sind – liebe Grüße an Teile des Präsidiums an dieser Stelle. Und ist eigentlich jemand für Schiedsrichter zuständig in diesem Land?

Wie auch immer, im ÖFB arbeiten schon auch viele fähige Menschen, trotzdem täte es noch genügend Fässer geben, die Rangnick öffnen könnte. Vor allem abseits seines Zuständigkeitsbereichs.

Visionslosigkeit kann man ihm nämlich nicht vorwerfen. Im Sinne des österreichischen Fußballs wünschen wir uns ja hoffentlich eh alle, dass nun eine erfolgreiche Quali beginnt.

Für den österreichischen Fußball geht es jedoch nicht nur um eine EM-Teilnahme, sondern um einen Blick von außen, neue Akzente und das Aufbrechen verkrusteter Denkmuster. Auf allen Ebenen.

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