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W-A-R-U-M?

Wie konnte es so weit kommen? Welche sind die Baustellen? Eine Ursachenforschung:

W-A-R-U-M?

Wie sehr haben wir uns nicht alle auf das Länderspiel-Jahr 2016 gefreut?

Nun steht nur noch der Ausklang gegen die Slowakei auf dem Programm und die Ernüchterung ist allseits groß.

Die EUROphorie wurde selbst von einer holprigen Vorbereitung im Frühjahr nicht gebremst, die bittere EM-Enttäuschung ließ die Hoffnung auf eine Buchung der Reise zur WM in Russland kaum geringer werden. Diesem Trip droht jedoch bereits die baldige Stornierung.

"Das ist gerade eine sehr mühsame Phase", muss auch Marcel Koller eingestehen.

Wie konnte es so weit kommen?

So ganz genau weiß wohl niemand, wie der Faden nach den Erfolgsjahren 2014 und 2015 derart reißen konnte. Öffentlich sagt zumindest kein ÖFB-Mitglied etwas, und es ist zu befürchten, dass man auch intern vor dem einen oder anderen Rätsel steht.

Aber Gedanken darf und muss man sich natürlich machen.

Es ist wohl ein Mix aus einigen offensichtlichen und mutmaßlichen Gründen, die unter dem Strich eine Talfahrt ergeben haben, die in diesem Ausmaß nicht vorauszuahnen war. Denn nach dem EURO-Scheitern einen derartigen Fehlstart in die WM-Quali hinzulegen, kann man nur als kapitale Enttäuschung einordnen.

Dessen sollte man sich im ÖFB-Team auch bewusst sein. Dann gibt es für 2017 durchaus Hoffnung auf Besserung. Denn abschreiben darf man die WM-Qualifikation natürlich noch nicht und tut es auch nicht.

Beginnen wir die Ursachenforschung bei den Basics: Wer mehr Tore kassiert, als er schießt, verliert. So weit, so logisch. 2016 ging jene Kompaktheit verloren, welche die ÖFB-Elf zuvor noch so ausgezeichnet hat. Die Zahl der Länderspiele, in deren Nachbetrachtung die Worte "dummes Gegentor" fielen, lässt sich leider an mehr als einer Hand abzählen.

Ob Slapstick-Gegentore, Unachtsamkeiten bei Einwürfen oder billige Konter - alles war dabei, und das jeweils nicht nur ein Mal. Sogar Eigentore erzielte man deren zwei - jenes von Kevin Wimmer gegen Wales ging noch als Pech durch, jenes von David Alaba im Test gegen Malta ist im Nachhinein wohl bezeichnend für das, was folgen sollte. Damals in Klagenfurt konnte man es noch als singulären Konzentrationsfehler abtun.

"Traurig, aber wahr: Die Robert-Almer-gegen-Ronaldo-Abwehrschlacht bei der EM gegen den späteren Europameister Portugal ist bis heute das einzige Spiel seit dem Ende der EM-Qualifikation, in dem Österreich zu Null spielte."

Traurig, aber wahr: Die Robert-Almer-gegen-Ronaldo-Abwehrschlacht bei der EM gegen den späteren Europameister Portugal, in welcher der Real-Superstar nicht einmal einen Elfmeter im ÖFB-Gehäuse unterzubringen vermochte, ist bis heute das einzige Spiel seit dem Ende der EM-Qualifikation, in dem Österreich zu Null spielte. In elf von zwölf Begegnungen kassierte man zumindest ein Gegentor.

"Derzeit ist bitter, dass wir hinten bestraft werden und vorne nichts geschenkt bekommen", drückt es Ramazan Özcan flapsig aus. Womit wir beim nächsten Basic wären: Das Toreschießen. Abseits der EURO klappte dies meist nicht so schlecht, allerdings ließ man gerade in der WM-Quali in entscheidenden Momenten auch zu oft gute Chancen liegen.

Bedenkt man den Umstand, dass Rot-Weiß-Rot derzeit zu oft einem Rückstand hinterherlaufen muss, ist dies keine gute Kombination. Gegen Wales kam man zwei Mal nach einem Rückstand zurück, in Serbien ebenso ehe man noch ein drittes Tor kassierte, gegen Irland klappte es nicht mehr.

"Wir haben die Effizienz vermissen lassen. Es ist einfach so, dass es automatisch schwierig wird, wenn du zu Hause kein Tor schießt. Da wir momentan immer in Rückstand geraten und aus vielen Chancen wenig machen, springen null Punkte raus", beklagt Julian Baumgartlinger.

Der Kapitän hatte am Samstag einen weiteren interessanten Denkanstoß parat. Gefragt, ob das Irland-Match symptomatisch für das ganze Länderspiel-Jahr 2016 war, antwortete er:

"Ich denke schon, dass man da Parallelen ziehen kann. Die Gegner bereiten sich mittlerweile darauf vor und legen es darauf an, gut zu verteidigen und zu hoffen, dass ein Konter durchrutscht, und das passiert momentan auch."

Auch wenn man dem Leverkusen-Legionär keinesfalls andichten darf, dass er es in diese Richtung gemeint hat, aber den Eindruck, dass das ÖFB-Team 2016 in so mancher Partie einen strategischen Nachteil hatte, konnte man durchaus gewinnen, allen voran bei der EURO.

Wir verlassen an dieser Stelle den Bereich der offensichtlichen Gründe und kommen zu den mutmaßlichen. Gerade beim viel zitierten Thema Plan B vertritt wohl so ziemlich jeder Fußball-Beobachter seine eigene Wahrheit, und das ist auch okay so.

In der Realität entscheiden kann ohnehin nur einer, und das ist der Teamchef, dafür wird er auch bezahlt.

Marcel Koller ist ein Trainer, der auf Kontinuität setzt, wogegen im Grunde nichts einzuwenden ist. "Expect the unexpected" wird in diesem Leben nicht mehr sein Motto, wenn nicht gerade EM ist und er die Experimentierfreudigkeit in sich entdeckt. Stichwort Dreierkette.

Es bleibt dabei: Gerade diese Variante hat einen Charme (und hätte es in Zeiten einer Außenverteidiger-Dürre bei gleichzeitigem guten Angebot an Innenverteidigern aktuell womöglich mehr denn je).

Über den Zeitpunkt ihrer Premiere (und ihrer Abschiedsvorstellung?) lässt sich jedoch weiterhin getrost streiten, wenn man sie ungeprobt aufführt, nachdem man zuvor jahrelang darauf beharrt hat, ein System detailgenau und perfektionistisch einzustudieren.

Diese Herangehensweise war definitiv die richtige, dies sollte man in Zeiten eines Tiefs nicht vergessen. Die Frage lautet jedoch, ob sie es immer noch bedingungslos ist, oder ob Koller den Zeitpunkt für mehr Variantenreichtum übersehen hat.

Wirklich überraschen kann Österreich derzeit kaum einen Gegner. Seinen Plan A verändert der Teamchef zumeist nur in Nuancen, und wenn man damit nicht durchkommt, wenn plötzlich aus irgendwelchen Gründen nicht mehr ein Rädchen ins andere greift, wird es eng.

Noch einmal: Dieser bedingungslose Glaube an sein Rezept ist nichts per se Schlechtes. Diesen verfolgen in der Fußball-Welt genügend Trainer. Überraschungseffekt erzielt man damit jedoch keinen, und dass Kritiker von Sturheit sprechen, sollte zumindest nicht verwundern.

"Mit der Dreierkette hat Koller den Präzedenzfall geschaffen, dass es sehr wohl doch innerhalb seiner Vorstellungskraft liegt, selbst in einer absoluten Ausnahmesituation etwas Ungewöhnliches zu wagen. Es wird spannend zu beobachten, ob er dies in einer weniger heiklen Situation wiederholt, zum Beispiel in einem der anstehenden Tests, oder ob er weiter auf more of the same baut."

Mit der Dreierkette hat Koller übrigens den Präzedenzfall geschaffen, dass es sehr wohl doch innerhalb seiner Vorstellungskraft liegt, selbst in einer absoluten Ausnahmesituation (und das ist ein "Endspiel" um den Achtelfinal-Einzug für Österreich) etwas Ungewöhnliches zu wagen. Es wird spannend zu beobachten, ob er dies in einer weniger heiklen Situation wiederholt, zum Beispiel in einem der anstehenden Tests, oder ob er weiter auf more of the same baut.

Sturheit ist auch ein beliebter Vorwurf an Koller, wenn es um Personalfragen geht, wobei man hier besonders differenziert vorgehen sollte. Jede Position und jede Personalie hat ihren eigenen Hintergrund, auf alle einzugehen würde den Rahmen sprengen, genauso wie einer erneute Analyse seiner Zurückhaltung, zumindest vereinzelt mehr Konkurrenzkampf zuzulassen.

Am augenscheinlichsten Probleme gibt es nach dem Rücktritt von Christian Fuchs links in der Viererkette. Markus Suttner hat der Schweizer recht früh wieder fallen gelassen, das Experiment mit Kevin Wimmer war bislang nicht von Erfolg gekrönt. Den Oberösterreicher nun als Sündenbock abzustempeln und mit Pfiffen zu bedenken, ist tendenziell ungerecht, denn er hat sich nicht selbst als Linksverteidiger nominiert, dafür jedoch als Innenverteidiger eine so gute Entwicklung hingelegt, dass Tottenham ihn unter Vertrag genommen hat. Wie viele Österreicher können von sich behaupten, bei einem Spitzenklub der Premier League unter Vertrag zu stehen? Als Innenverteidiger, und genau das ist er, wird Wimmer noch sehr wertvoll für das Nationalteam werden.

Die für viele, aktuell tendenziell sogar die Mehrheit, logische Lösung als Linksverteidiger ist David Alaba. An dieser Causa entzündet sich die Debatte über Kollers Sturheit besonders, dabei prallen hier vermutlich zwei Wahrheiten aufeinander. In dieser Personalie ist der 56-Jährige Überzeugungstäter, und dieser Überzeugung kann man sich durchaus anschließen. Ich gebe gerne zu, dass ich das tue, respektiere aber selbstredend auch die Meinung des anderen "Lagers".

Dass es überhaupt zu einer derartigen Notsituation kommen konnte, ist aber, nur so nebenbei, ein jahrelanges Versäumnis des ÖFB, der dieser Position viel zu lange viel zu wenig Bedeutung geschenkt hat. Sollte Valentino Lazaro nicht aufgehen, droht auf der rechten Seite übrigens in nicht allzu ferner Zukunft das gleiche Problem. Florian Klein wird nicht jünger, sondern steht wenige Tage vor seinem 30er.

Die Schwachstelle auf der einen Seite zu beheben und die andere Seite nicht in Bälde eine werden zu lassen, sind jedenfalls Herausforderungen für die kurz- (links) und mittelfristige (rechts) Zukunft.

Zu guter Letzt ein Wort zum Jahr der Spieler. Zwei Auffälligkeiten gehören angesprochen.

Erstens war schon länger nichts mehr von der "lieben ÖFB-Familie" zu hören, dieser ewig rauf und runtergespielten Platte, wie gut der Teamgeist nicht ist. Das ist er mutmaßlich immer noch, aber nach dem Irland-Spiel sagte Koller im ORF folgendes: "Wir müssen noch mehr zusammenrücken." Alessandro Schöpf sagte in der Mixed Zone folgendes: "Wir müssen aus den Fehlern lernen und näher zusammenrücken." Alaba sagte in der Mixed Zone folgendes: "In erster Linie müssen wir uns zusammenraufen und als Team wieder enger zusammenrücken."

Vermutlich waren es die klassischen Floskeln, aber man wird zumindest hellhörig.

Zweitens ist derzeit viel vom fehlenden Selbstbewusstsein die Rede. Drehen wir das Rad der Zeit kurz zur Phase vor der EURO zurück, als neben Selbstbewusstsein auch noch die Selbstsicherheit regierte. Kritik nach mäßigen Testspielen wurde beinahe als Majestätsbeleidigung empfunden. Viele (nicht alle) Spieler haben sich die Situation selbst mit dem Hinweis schöngeredet, dass man rechtzeitig in den Quali-Modus finden werde. Hat man nicht.

Nach der verpatzten EM hat man sich selbst darauf eingeschworen, dass man für die WM-Quali wieder rechtzeitig in den Quali-Modus finden werde und nach dem Sieg in Georgien wohl auch daran geglaubt. Leider falsch gedacht.

Merke: Gerade in guten Zeiten ist nicht jede Kritik von außen kontraproduktiv, ein Angriff oder als unhaltbar von der Hand zu weisen. Außerdem sollte der Lerneffekt des aktuellen, im Prinzip mit dem Abpfiff der EM-Quali gestarteten Tiefs sein, dass man sich auch nach Erfolgen stets neu beweisen muss.

Gleichzeitig sollte man jedoch auch als Beobachter von außen berücksichtigen: So wie in der erfolgreichen Phase nicht alles gut war, ist in der momentanen Phase nicht alles schlecht - vor einigen Jahren, als Österreich qualitativ und strategisch weit vom jetzigen Level entfernt war, hätte man die derzeitigen Probleme wohl gerne genommen. Aktuell enttäuschen sie jedoch im Wissen um ebenjenes Potenzial schlichtweg mehr.

Wie auch immer: Der Schlendrian, der sich vereinzelt eingeschlichen hat, gehört abgestellt. Manche Dinge, die 2016 passiert sind, haben nämlich wenig mit Taktik, Verletzungen oder schlechter Vereinsform zu tun.

Das Nationalteam hat unter Koller schon einmal einen absoluten Tiefpunkt genutzt, um sich in gewisser Art und Weise neu zu erfinden und in der Folge gnadenlos ergebnisorientiert aufzutreten - und zwar die so bittere Pleite gegen Schweden in Stockholm 2013, die den WM-Traum 2014 platzen ließ.

Der WM-Traum 2018 ist noch nicht geplatzt. Aber ein unerwarteter Tiefpunkt ist erreicht und es ist Zeit, sich wieder neu zu erfinden. Auf ein erfolgreiches 2017!





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