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Ein Plädoyer für mehr ÖFB-Konkurrenzkampf

Warum der Fight ums ÖFB-Leiberl härter werden muss. Ein Plädoyer:

Ein Plädoyer für mehr ÖFB-Konkurrenzkampf

Sich selbst zu zitieren ist wenig charmant, bisweilen jedoch notwendig.

Nach dem Aus in Frankreich schrieb ich in meiner EURO-"Diplomarbeit" folgende Gedanken zum Thema Konkurrenzkampf im ÖFB-Team nieder:

„Ich möchte einen Wunsch äußern, den ich schon vor Turnierbeginn unabhängig vom Abschneiden als Evolution für die WM-Quali im Kopf hatte und der nach diesem Scheitern umso wichtiger ist.

Es darf, soll und muss wieder mehr Konkurrenzkampf geben.

Nicht falsch verstehen: So etwas lässt sich sehr wohl mit guter Stimmung im Team kombinieren. Und der Aufbau dieser viel zitierten "Wohlfühl-Oase", eben jener "lieben Familie", war auch zweifelsohne dringend notwendig, um nach Frankreich zu kommen. Daran gibt es nichts zu rütteln.

Aber es gibt auch Situationen, wo vielleicht auch ein etwas klareres Wort nicht schadet, wo man vielleicht einmal – natürlich respektvoll – betonen könnte, dass das und das nicht passt, und wo man vielleicht auch einmal eine gewisse Rivalität im Kampf um eine Position spüren darf.

Dass wirklich alle 23 Herrschaften gut Freund miteinander sind, glaubt sowieso niemand. Das ist auch unrealistisch. So lange der Umgang miteinander trotzdem weiterhin stimmt, könnte man aber schon ein wenig mehr Würze reinbringen – auf und abseits des Feldes.

Ich bin nämlich wirklich gespannt, wie Koller die WM-Qualifikation anlegen wird, ob er mehr Positionskämpfe zulässt, so wie er es ja auch in Frankreich – der Situation geschuldet – plötzlich tun musste.

Bislang lebte er in der komfortablen Situation, dass wohl auch eine Vielzahl der Ersatzspieler einsehen musste, dass sich die Startelf von selbst aufstellt und die Frage Hinteregger oder Prödl die einzig spannende ist.

Aber Mitglieder der jüngeren Generation wie Sabitzer oder Schöpf werden sich weiterentwickeln, an Routine gewinnen und immer mehr in Richtung Stammformation drängen. Darauf sollte man vorbereitet sein, ohne dass die Stimmung kippt.

Nur so ein Hinweis, eine kleine Warnung. Jetzt geht vieles wieder bei null los. Da wäre eine Adaption der bisherigen Herangehensweise, nennen wir es meinetwegen "Die liebe ÖFB-Familie 2.0", vermutlich keine schlechte Idee.“


Was ist diesbezüglich passiert? Dreieinhalb Monate und drei sehr facettenreiche Länderspiele (1 wackliger Sieg – 1 unnötiges Unentschieden – 1 dumme Niederlage) später lässt sich folgende erste Zwischenbilanz ziehen:

Gar nichts. Alles so wie immer. Als hätte es Frankreich gar nie gegeben.

(Artikel wird unter dem Video fortgesetzt)


Teamchef Marcel Koller befindet sich wieder strikt in seinem Qualifikations-Modus. Der Konkurrenzkampf ist de facto abgeschafft. Wer seinen Platz im Kreis des Vertrauens eingenommen hat, darf ins ÖFB-Camp anreisen und mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, von Beginn an zum Einsatz zu kommen.

„Rasiert“ wird, wer diesen Status noch nicht erlangt hat. Markus Suttner wurde seine schwache Performance in Georgien zum Verhängnis. Eine schlechte Leistung und er war draußen.

Ansonsten ist weiterhin eine Art Kronprinzen-Regelung in Kraft. Nachgerückt wird, wenn der „Amtsinhaber“ ausscheidet. Sabitzer für den verletzten Harnik. Özcan für den verletzten Almer. Einen anderen Weg in die Startelf scheint es für die „Backups“ weiterhin nicht zu geben.

Zur Klarstellung: Ich bin nicht generell gegen diese Herangehensweise, sondern für eine Adaption. In meinen Augen spricht nach wie vor nichts dagegen, auch einmal ein schlechtes Länderspiel machen zu dürfen und deswegen nicht gleich um seinen Stammplatz zittern zu müssen. Zudem sind Vertrauen, Eingespieltheit und blindes Verständnis nie ein Fehler.

Genauso wenig ist in meinen Augen ein neuer Reiz ein Fehler.

Vor allem, wenn der Erfolg ausbleibt. Am Weg zur EURO war der Erfolg da. Das große Ziel war der größte gemeinsame Nenner. Die Stammelf war in einem Flow. Jeder Ersatzspieler wollte selbst unbedingt nach Frankreich und hätte den Teufel getan, diesen Flow zu gefährden.

Irgendwann nach der EM-Quali ist dieser Flow verloren gegangen. Das ÖFB-Team begann in der Vorbereitung saudumme Gegentore zu kassieren und kassiert sie weiterhin. Der Verdacht der Kopfsache liegt nahe.

Die aktuellen Konzentrationsmängel kann man nicht mehr, wie noch im Frühjahr geschehen, als Einzelfälle abtun, sie ziehen sich wie ein roter Faden durch 2016. Wenn man das 2:2 gegen Wales ungeschaut als beste Leistung des Länderspiel-Jahres verkaufen kann, dann stimmt etwas nicht.

Man könnte an dieser Stelle auch auf die Idee kommen, dass sich ein Schlendrian einschleicht, wenn man sich seines Stammplatzes zu sicher sein kann. Muss nicht stimmen, der Gedanke ist aber wohl zulässig.

Wenn Koller nach der Niederlage in Belgrad folgende Diagnose von sich gibt, sollten nämlich alle Alarmglocken schrillen: „Man muss den Arsch zusammenbeißen und die letzten zehn Meter gehen. Es ist auch eine mentale Sache, denn die Mannschaft hat schon bewiesen, dass sie es kann.“

Warum tut sie es plötzlich nicht mehr? Warum werden diese notwendigen zehn Meter nicht mehr zurückgelegt? Gerade die defensive Kompaktheit war es, die Österreich in der EM-Quali ausgezeichnet hat - und es war ein Verdienst der gesamten Mannschaft, vom Stürmer vorne bis zum Goalie hinten.

Inzwischen hat die ÖFB-Elf nach drei WM-Quali-Spielen bereits mehr Gegentore kassiert als in der gesamten EURO-Kampagne – und nur zur Erinnerung: Drei der damaligen fünf Verlusttreffer kassierte man, als das Ticket nach Frankreich bereits gelöst war, sprich als es de facto wurscht war.

Würde es jemanden wundern, wenn es Alessandro Schöpf wundert, dass er eine bereichernde Leistung als Wechselspieler nach der anderen abliefern kann, aber trotzdem kein Thema für die Startelf ist?

Damals war die erstmalige gemeinsame Turnier-Qualifikation der Reiz. Ich bleibe bei meiner Meinung, dass in der WM-Quali ein vorsichtiges Zulassen des Konkurrenzkampfs der zusätzliche Reiz sein müsste.

Man nehme das Beispiel Alessandro Schöpf, der seinen Wert als Joker im Nationalteam bereits unter Beweis gestellt hat. Ob er auch in Pflichtspielen von Anfang an funktioniert? Das weiß niemand. Aber es hat auch noch niemand ausprobiert.

Noch ist der Tiroler nicht in der Position, Ansprüche zu stellen und zudem ein verbales Musterbeispiel an Mannschaftsdienlichkeit – langjähriges Medientraining in der deutschen Bundesliga hat seine Wirkung nicht verfehlt. Der Bursche weiß all die richtigen Dinge zu sagen.

Aber würde es jemanden wundern, wenn es den Schalke-Legionär wundert, dass er eine bereichernde Leistung als Wechselspieler nach der anderen abliefern kann, aber trotzdem kein Thema für die Startelf ist? Mich nicht. Man wird ihn nicht ewig hinhalten können. Früher oder später verpufft auch der „Ich-bin-schon-froh-wenn-ich-dabei-bin-Effekt“.

Vor allem, wenn Zlatko Junuzovic auf der Zehn weiterhin nicht seine beste Nationalteam-Form ausspielen sollte. Am rechten Flügel, wo diesmal Sabitzer die Chance bekam, ist Schöpf bislang offenbar keine Überlegung wert.

Neben Schöpf geht es auch anderen Akteuren wie Sebastian Prödl oder Stefan Ilsanker, die bisher jeweils eine überzeugende Vereins-Saison spielen (siehe LAOLA1-Legionärs-Power-Ranking), nicht anders. Die Konkurrenz auf ihren Positionen ist zwar namhaft. Unglaublich überzeugend agierte sie im ÖFB-Dress zuletzt jedoch nicht.

Vielleicht würde sie es wieder tun, wenn auch der Hinterkopf weiß, dass ein Konkurrent auf den vermeintlich sicheren Posten lauert. Und zwar ein ernsthafter. Und nicht nur einer auf dem Papier.

Die Zeit für eine Nachschärfung, eine Evolution, der die längste Zeit richtigen, aber möglicherweise überholten Personalpolitik im ÖFB-Team scheint gekommen.




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