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"Zusammenschweißen" - das neue ÖFB-Modewort

Warum solch ein Zittersieg fast mehr wert sein kann als ein klares 3:0. Warum das Publikum gegen Estland ein feines Gespür bewiesen hat.

Foto: © GEPA

"Zusammenschweißen".

Nach dem Modewort schlechthin im ÖFB-Team musste man nach dem 2:1-Zittersieg gegen Estland nicht lange suchen.

Beginnend mit Teamchef Ralf Rangnick kam es etlichen ÖFB-Akteuren über die Lippen, beispielsweise Torhüter Heinz Lindner: "Ich glaube, dass uns dieser Sieg noch mal enger zusammenschweißt."

"Das brauch' ich echt nicht noch mal", kann Siegtorschütze Michael Gregoritsch in Zukunft gerne auf Hochspannung bis kurz vor Schluss wie an diesem Fußball-Abend in Linz verzichten.

Als Gemeinschafts-Erlebnis oder Teambuilding unter nervlich belastenden Bedingungen war die Art und Weise, wie das Nationalteam das Spiel nach dem 0:1-Rückstand noch gedreht hat, jedoch einiges wert.

Alaba: "Wir wussten, es geht sich aus"

Laut David Alaba definitiv mehr als ein müheloser 3:0-Erfolg: "Davon bin ich überzeugt! Die Art und Weise, wie wir aufgetreten sind und dieses Spiel noch gedreht haben, schweißt uns als Mannschaft vielleicht noch mehr zusammen. Es ist ganz wichtig, auch solche Spiele zu gewinnen."

Der Kapitän analysierte das Geschehen nach dem Schlusspfiff beinahe schon euphorisch, was auch sinnbildlich dafür stand, dass es angesichts des Spielverlaufs und der Tragweite, die ein Punktverlust gehabt hätte, kein 08/15-Sieg war.

"Diesen Sieg nehme ich sehr gerne mit", jubelt der Real-Star, "weil er sehr viel gezeigt hat: Welchen Charakter wir innerhalb der Mannschaft haben, welchen Ehrgeiz und Willen wir haben, welchen Glauben an uns selbst. So ein Spiel tut uns für unsere Weiterentwicklung und unseren Weg sehr, sehr gut."

Der Auftritt habe gezeigt, welchen Charakter man speziell "in den letzten Wochen und Monaten entwickelt" habe: "Das habt ihr schon auch gemerkt, dass wir immer an uns geglaubt haben? Dass wir nie den Kopf haben hängen lassen oder das Gefühl hatten, das geht sich nimmer aus. Im Gegenteil! Wir wussten, es geht sich aus! Wir wussten, dass noch vieles möglich ist. So sind wir auch aufgetreten."

Das Wissen um die Nehmerqualitäten

Es ist kein Geheimnis, dass es gut und gerne auch ohne Drama funktionieren hätte können. Patrick Wimmer zielte früh in der Partie aus großer Distanz am leeren Tor vorbei, Gregoritsch vergab einen Elfmeter.

"Es war ein ekelhaftes Spiel für uns. Man kann nicht denkbar schlechter starten. Normal steht es 2:0 und es ist auf gut Deutsch 'zamgräumt'", verdeutlicht Lindner, "für die Moral und das Selbstbewusstsein ist es ein extrem wichtiger Sieg. Es geht um dieses Wissen, dass man Nehmerqualitäten besitzt und zurückkommen kann."

"Oftmals sind solche Spiele mehr wert als ein ganz klarer Sieg, weil dieses Feeling, das du beim Torjubel zum 2:1 hast, einfach unbeschreiblich ist."

Christoph Baumgartner

So sieht es auch Christoph Baumgartner: "Oftmals sind solche Spiele mehr wert als ein ganz klarer Sieg, weil dieses Feeling, das du beim Torjubel zum 2:1 hast, einfach unbeschreiblich ist. Sowas hilft einer Mannschaft, noch enger zusammenzuwachsen und immer den Glauben zu haben, in jeder Situation das Spiel auf unsere Seite drehen zu können."

Dieses Wissen tut nicht nur der Mannschaft gut.

Das feine Gespür des Publikums

Auch das Publikum bewies an diesem Abend ein feines Gespür. Alaba geht sogar so weit und behauptet: "Ohne die Fans wäre das nicht möglich gewesen. Wir brauchen die Unterstützung von außen, um erfolgreich zu sein."

Angesichts des Spielstands wären vor nicht allzu langer Zeit Pfiffe oder andere Unmutsäußerungen relativ wahrscheinlich gewesen. Die Mehrheit der Zuschauer blieb jedoch positiv und peitschte das ÖFB-Team auch nach vorne, als es noch im Rückstand lag.

"Das lag an unserer Spielweise", erläutert Alaba, "speziell in der zweiten Halbzeit, als wir Chance um Chance hatten und den Gegner unter Druck gesetzt haben, haben das die Leute gemerkt. Sie haben uns voll gepusht, dementsprechend haben wir dann auch reagiert."

Die Überzeugung des 30-Jährigen: "Das war eine Leistung von uns allen mit den Fans zusammen."

Themen, denen man sich widmen muss

Damit wäre der Wunsch von Rangnick, dass Publikum und Mannschaft einen "Doppelpass" spielen, erfüllt. Zumindest bei diesen beiden Begegnungen im neuen Linzer Stadion.

Generell wurde die Wichtigkeit, dass auch Mannschaft und Zuschauer wieder vermehrt eine Einheit bilden, in dieser Woche oftmals herausgearbeitet. Auch an diesem "Zusammenschweißen" muss weiter hartnäckig gearbeitet werden.

Wie es nach diesem Lehrgang natürlich so oder so das eine oder andere Thema gibt, dem man sich verstärkt widmen muss. Gegen beide Underdogs kassierte Österreich per defensivem Blackout jeweils ein Gegentor. Stärkere Kontrahenten forcieren und nutzen solche Fehler tendenziell noch gezielter.

In der Offensive sind sechs erzielte Treffer nicht schlecht, aber gerade gegen Estland hätte man sich bei besserer Chancenverwertung einiges erspart. Die Effizienz bleibt quasi ein Dauerbrenner.

Rangnicks "Angst" vor dem Doktor

Was aus dieser Oberösterreich-Woche jedoch definitiv bleibt, ist neben dem guten Feeling auch die Ausbeute von sechs Punkten, wodurch Belgien und Schweden wissen, dass sie sich im Juni gegen Österreich nicht allzu viel erlauben können.

"Wir haben ganz klar unsere Ziele dieser Woche erreicht", unterstreicht Alaba, der gegen Estland in der zweiten Halbzeit sein Comeback nach Verletzungspause gefeiert hat.

"Jeden Tag beim Frühstück war ich bereits besorgt, dass der Doktor zu meinem Tisch kommt und vom nächsten Ausfall berichtet."

Ralf Rangnick

Dies war eine der eher wenigen guten Nachrichten medizinischer Natur. Nach dem Aserbaidschan-Match mussten zusätzlich zu Akteuren wie Marko Arnautovic oder Xaver Schlager auch noch Marcel Sabitzer, Maximilian Wöber und Gernot Trainer w.o. geben.

"Ich zähle mich nicht zu den Trainern, die sich beklagen, wenn Spieler fehlen, aber was wir in den letzten Tagen an Rückschlägen verkraften mussten... Jeden Tag beim Frühstück war ich bereits besorgt, dass der Doktor zu meinem Tisch kommt und vom nächsten Ausfall berichtet. Unter diesem Aspekt betrachtet, müssen wir diesen Sieg noch mal höher einstufen", verdeutlicht Rangnick.

Eine Art Aha-Erlebnis

Denn - eh schon wissen: "Es war alles andere als eine Selbstverständlichkeit, dieses Spiel zu drehen. Deswegen glaube ich, dass uns dieser Sieg für die nächsten Spiele zusätzlich zusammenschweißt."

Dieses Zusammenschweißen meint nicht unbedingt, dass sich die Mannschaft erst durch solch einen Sieg besser verstehen würde. Die Stimmung war auch schon vorher gut, Teile des Kaders kennen und schätzen sich schon sehr lange.

Rangnick hat jedoch durchaus auch für frischen Kader-Wind gesorgt. Für die nachrückende Generation um Patrick Wimmer, Junior Adamu oder Flavius Daniliuc war dies sicher eine Art Aha-Erlebnis.

Und wenn Gregoritsch dann im Juni auf ein eher teures Essen einladen wird, sollte das diese Mannschaft im Idealfall weiter "zusammenschweißen".

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