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Kommentar: Rangnick eine gute Wahl, Herr Schöttel!

Der ÖFB-Sportdirektor fällte eine mutige, aber richtige Entscheidung. Kommentar:

Kommentar: Rangnick eine gute Wahl, Herr Schöttel! Foto: © GEPA

Mit Ralf Rangnick als neuen Teamchef hat der ÖFB einen mutigen Schritt in die Zukunft gesetzt. Einen, den man den von außen meist in ihrer Komfortzone gemütlich wirkenden Entscheidungsträgern so gar nicht zugetraut hätte.

Denn der Trainerguru steht nicht nur für pressingorientierten Fußball, sondern auch für Kontrolle. Der 63-jährige Deutsche gibt gerne die Richtung vor, beim ÖFB möglicherweise auch bald über seinen ursprünglichen Kompetenzbereich hinaus. Ob das jedem schmecken wird, bleibt abzuwarten.

Was sportliche Kompetenz betrifft, ist Rangnick sowieso über jeden Zweifel erhaben.

Defensivfußball vs. Gegenpressing

Mit dem Blick auf vergangene Teamchefs und Namen, die als Nachfolger von Franco Foda durch die Medien geisterten, wirkt die Ernennung des Deutschen wie ein Stilbruch.

Franco Foda, Vladimir Petkovic und Peter Stöger stellen mit ihren defensiv geprägten Fußball-Philosphien die diametralen Gegensätze zum geordeneten Chaos des Red-Bull-Fußballs von Rangnick dar. Ob eine konkrete Vorstellung, welchen Fußball das ÖFB-Team spielen soll, Einfluss auf Schöttels Vorstellungen hatte, darf angesichts der kolportierten Leider-Nein-Kandidaten zumindest bezweifelt werden.

Das Personal, um seine Art Fußball zu spielen, hat der Rangnick jedenfalls in Hülle und Fülle zur Verfügung. Nicht zuletzt seine zu Red Bull Salzburg gebrachten Ideen sind es, die Nationalspieler wie Konrad Laimer, Xaver Schlager oder Martin Hinteregger nachhaltig prägten.

Die neue Generation der Seiwalds, Adamus und Konsorten trägt diese vom Deutschen initiierte Red-Bull-DNA ebenfalls in sich.

Umbruch im Kader notwendig

Ein Teamchefwechsel bringt auch immer die Möglichkeit eines Umbruchs im Kader mit sich. Lieblinge des Vorgängers, die ihre Kaderplätze möglicherweise nicht immer mit entsprechenden Leistungen bei ihren Verein untermauerten, werden wohl nachhaltig aus dem Aufgebot verschwinden.

Das könnte auch Vertreter der alteingesessenen ÖFB-Garde erwischen. Ein Teamkader ohne Stefan Ilsanker, unter Franco Foda bis zuletzt unvorstellbar (beim letzten Lehrgang rutschte der Salzburger, der in Frankfurt im Jahr 2022 sechs heiße Minuten gespielt hat, über die Abrufliste in das Aufgebot), wäre jedenfalls eine längst überfällige Wohltat.

Ralf Rangnick könnte gleich mit seinem ersten Kader für die Nations-League-Duelle im Juni ein Ausrufezeichen für die Zukunft setzen.

Schöttel konnte sich auszeichnen,...

Ein großer Gewinner der Ernennung Rangnicks zum ÖFB-Teamchef heißt wohl Peter Schöttel.

Nicht wenige haben vom ÖFB-Sportdirektor erwartet, dass dieser einen der üblichen Kandidaten in den Chefsessel hieven wird. Der ehemalige Nationalspieler, der 1998 mit Österreich zur WM gefahren ist, konnte mit seiner Wahl einige Kritiker wohl für einige Zeit verstummen lassen.

Mit Rangnick gelang es Schöttel, einen über die Grenzen des deutschsprachigen Raumes anerkannten Fußballfachmann zu holen, der außerdem mit dem heimischen Fußball vertraut ist.

Das Zeugnis für den Sportdirektor fällt insgesamt zwar gut aus, in der Haltungsnote muss es aber Abzüge geben.

..., hinterließ aber einen fragwürdigen Eindruck

Bei der Präsentation Rangnicks konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Schöttel wie die Jungfrau zum Kind kam.

Nicht selten betonte der Sportdirektor, dass er es sich nie erträumen hätte können, dass sich Ralf Rangnick tatsächlich auf den Teamchefposten einlassen würde. Es mutete fast so an, als hätten der 63-Jährige und dessen Umfeld Schöttel davon überzeugen müssen, nicht umgekehrt.

Ein im "Kurier" Anfang April thematisiertes Treffen zwischen Rangnick und Schöttel, das bereits vom ÖFB dementiert wurde, stellte auch der Sportdirektor in Abrede. Auch Verhandlungen mit dem neuen Teamchef soll es zu diesem Zeitpunkt noch nicht gegeben haben.

Vielleicht haben ja die Kollegen vom "Kurier" Schöttel den Denkanstoß gegeben, das Werben um die Personalie Rangnick zu vertiefen. Ein Unterfangen, das dem Sportdirektor ursprünglich eigentlich aussichtslos erschien.

Kann man diesen Ablauf der Geschichte wirklich ausschließen? Diese Frage sollte jeder für sich selbst beantworten.

Aber gut, auch wenn sich der Sportdirektor auf dem Rechenweg vertan haben könnte, unter dem Strich stimmt das Resultat. Alleine über diesen Umstand sollte Fußball-Österreich dankbar sein.

Statler schreit von außen rein

Dankbar sollte Fußball-Österreich auch darüber sein, dass Fußball-Dinosaurier wie Hans Krankl in den Schaltzentralen dieses Landes ausgedient haben.

Die in der Vergangenheit gefangene Legende betonte schon bei vorangegangenen Teamchefbestellungen mit der Penetranz eines feststeckenden Furbys, dass er sich einen Österreicher als Trainer für das ÖFB-Team wünsche.

Auch nach der Präsentation Rangnicks gab die Stürmerlegende wieder ihre antiquitierten Ansichten wie Statler aus der Muppet Show zum Schlechtesten.

Dass im Jahr 2022 für manche immer noch der Reisepass das entscheidende Kriterium bei der Teamchefwahl sein soll, ist zum Himmel schreiender Irrsinn. Es kann niemals zielführend sein, den wohl am besten qualifzierten Kandidaten auszuschließen, nur weil er Ausländer ist. Das betrifft auch Bereiche außerhalb des Fußballs.

Es gibt selbstverständlich genügend Österreicher, denen der Teamchefposten ebenfalls gut zu Gesicht stehen würde, einige davon haben sich aber schon im Vorhinein aus dem Rennen genommen. Die Möglichkeit, Ralf Rangnick zu installieren, war zu gut, um sie ungenützt zu lassen. Das weiß auch Schöttel.

Mit dem 63-Jährigen übernimmt jemand den Teamchefposten, der den österreichischen Fußball kennt, aber keiner Seilschaft verpflichtet ist. Kein "Hawara", wie man so schön sagt. Ein Umstand, der durchaus begrüßenswert ist.

Genug Zeit für alle Verpflichtungen

Rangnick wird mit Ende seiner Trainertätigkeit bei Manchester United dem Klub für maximal sechs Tage im Monat als Berater zur Verfügung stehen.

Eine Tatsache, die Gary Neville und Lothar Matthäus sauer aufstößt. Zugegeben, die Konstellation ist alles andere als ideal, auch wenn eine Beschäftigung eines Teamchefs bei einem Klub alles andere als sonderbar ist.

So coachte etwa Pal Dardai eine zeitlang diverse Mannschaften bei Hertha BSC und die ungarische Auswahl.

Es ist nicht zu erwarten, dass Rangnick wegen seiner Position bei Manchester United dem ÖFB-Team einen Deut weniger Aufmerksamkeit schenken wird als notwendig und umgekehrt.

Der Teamchefposten ist bestenfalls ein Teilzeitjob. Etwaige Beobachtungen von Spielern kann auch der Trainerstab bis zu einem gewissen Grad mitübernehmen.

Schiefe Optik möglich

Viel interessanter ist ein möglicher Interessenskonflikt zwischen dem Teamchef Rangnick und dem Berater Rangnick.

Konrad Laimer zum Beispiel ist fixer Bestandteil des ÖFB-Teams und wird wohl auch unter dem neuen Teamchef forciert werden. Der Leipzig-Kicker ist in den vergangenen Wochen mit den "Red Devils" in Verbindung gebracht worden.

Ist Manchester United dann ein Thema zwischen Spieler und Teamchef? Wird Rangnick gar Lobbyarbeit für seinen anderen Arbeitgeber betreiben?

Sollte es ein Spieler einmal zu den "Red Devils" schaffen, wird er dann im ÖFB-Team weiter in den Vordergrund gedrängt oder vom Teamchef geschont, um für Manchester United fit zu sein?

Hier sollten die handelnden Personen so bald wie möglich Klarheit schaffen, denn Raum für schalen Beigeschmack bietet die Teamchef-Berater-Konstellation zur Genüge. Jede Entscheidung Rangnicks könnte durch dieses Prisma beäugt werden.

Österreich wird nicht Weltmeister

Mit dem neuen Teamchef geht naturgemäß gestiegene Erwarungshaltung von außen einher.

An dieser Stelle sei nur zur Sicherheit gesagt: Das ÖFB-Team wird sich in Deutschland wohl nicht zum Europameister küren oder 2026 Weltmeister werden.

Vernünftige Beobachter des österreichischen Fußballs werden dies vom Deutschen auch nicht verlangen.

Verlangen kann man vom 63-Jährigen aber durchaus, dass das Spiel des ÖFB-Teams dem Zuschauer keine körperlichen Schmerzen mehr bereitet. Das Offensivspiel unter Franco Foda war teilweise so schlecht, dass es sich auf einer Beliebtheitsskala irgendwo zwischen eingewachsenen Fußnägeln und unangekündigten Finanzamt-Prüfungen befand. Von Rangnick darf erwartet werden, die Attraktivität des Spiels nach vorne erheblich zu steigern.

Das wäre ein erster Schritt, um auch die Massen wieder ins baufällige Ernst-Happel-Stadion zu locken. Da Rangnick bei aller fußballerischer Kompetenz kein Zauberer ist, werden sich der ÖFB und die Zuschauer mit der in die Jahre gekomme Schüssel weiter herumärgen müssen.

Lobenswertes Angebot an Rangnick

Dafür könnte der Deutsche auf lange Sicht Einfluss auf die sportlichen Strukturen des ÖFB nehmen. Sportdirektor Peter Schöttel ließ dafür die Tür offen, zuerst solle sich der 63-Jährige aber auf seinen Job als Teamchef konzentrieren.

Alleine der Umstand, dass der Sportdirektor ganz offen angibt, dass Rangnicks Imput in ferner Zukunft wertvoll für den Verband sein könnte, ist ein wichtiger erster Schritt.

Ein Schritt, für den wohl viele in Schöttels Position zu stolz wären. Dafür gebührt erste Anerkennung. Es geht dann jedoch auch um konkrete Umsetzung etwaiger Vorschläge, bis dahin wird es aber noch dauern.

Schöttel könnte mit seiner Ansage, Rangnick in Zukunft auch abseits des Teamchefpostens zu Rate zu ziehen, allerdings auch die Büchse der Pandora geöffnet haben.

Der Deutsche mischte schon bei seinen vorigen Stationen kräftig um. Verstaubte Sturkturen kämen dem 63-Jährigen da gerade recht.

Neue Strukturen, aber mit Bedacht!

Es liegt an Sportdirektor Peter Schöttel, die Zusammenarbeit mit Rangnick gut zu moderieren. Wird der akribische Visionär den hohen Herren im ÖFB zu unbequem, könnte ihm dasselbe Schicksal wie einst Willi Ruttensteiner drohen. Etliche Landesfürsten von damals sind noch in Amt und Würden.

Alles in allem hat die Ankündigung, Ralf Rangnick als ÖFB-Teamchef zu installieren, in weiten Teilen Fußball-Österreichs für Furore gesorgt. Dass die Bevölkerung vom Trainer der Nationalmannschaft abgeholt wird, ist ein nicht zu unterschätzender Faktor, den der ÖFB selbst während der EURO 2020 nicht uneingeschränkt auf seiner Seite hatte.

Peter Schöttel, Gerhard Milletich und Co. haben jedenfalls eine mutige Entscheidung getroffen. Eine Entscheidung, die den ÖFB im besten Fall auf lange Sicht maßgeblich zum Besseren verändert und das Nationalteam endlich wieder zum Stammgast bei Endrunden macht.

Möge die Übung gelingen!

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