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Zidanes eigenartiger Weg an die Spitze

Wie ein Sturkopf, Ballflüsterer, Kontroll-Freak zu Reals neuem Hoffnungsträger reifte.

Zidanes eigenartiger Weg an die Spitze

Nicht von dieser Welt!

Nicht aus dieser Galaxie!

Um den Spieler Zinedine Zidane zu beschreiben, bedarf es durchaus dem einen oder anderen Superlativ. Keine Frage, „Zizou“ zählte zu den Größten der kickenden Zunft.

Seit 2006 jagt der Franzose aber nicht mehr selbst dem Ball nach. Er lässt jagen. Als Trainer, künftig als Chefcoach von niemand geringerem als Real Madrid.

>>>Zidanes Debüt gegen La Coruna im LAOLA1-LIVE-Stream, Samstag, 20:30 Uhr<<<

Der Weg dorthin war ein steiniger. Plötzlich zählt es nicht mehr, was einmal war, welche Titel der mittlerweile 43-Jährige sammelte, wie viele Gegenspieler er mit unvergleichlichen Tricks zum Narren hielt und welche Ikone er im Laufe seiner aktiven Karriere wurde.

„Als Trainer leide ich viel mehr, wie als Spieler“

Plötzlich ist er Trainer, steht im Fokus, ist der Kritik ausgesetzt, ohne selbst auf dem Platz agieren zu können. Eine Zwangsweste, an die sich der Weltfußballer der Jahre 1998, 2000 und 2003 erst gewöhnen musste.

„Als Trainer leide ich viel mehr, wie ich als Spieler gelitten habe“, gab der algerisch-stämmige Ex-Profi bereits als Betreuer der Castilla zu Protokoll.

Reals Entscheidung, Zidane emporzuhieven und mit dem Cheftrainer-Posten zu belohnen, war keine gewöhnliche. In den letzten Jahren setzte das „weiße Ballett“ durch die Bank auf gestandene Trainerfüchse, die sich ihren Sprung nach Madrid bereits verdient hatten.

„Zizou“ hingegen gilt auf diesem Sektor als unbeschriebenes Blatt, hat noch nie eine Profi-Mannschaft betreut und wird demnach wohl noch kritischer beäugt. Vor allem soll die Frage beantwortet werden, ob er zu jenen ehemaligen Stars zählt, die auch das Zeug zum Coach haben oder ob er einer jener ist, die ihrem Namen auf der Bank nie gerecht werden konnten.

Der nie gestillte Hunger des „Ballflüsterers“

Der Ballzauberer vergangener Tage muss noch viel lernen. Das gab er bei seiner Antritts-Pressekonferenz zu: „Ich gebe mich aber nur damit zufrieden, alles zu gewinnen.“

Als Fünfjähriger kickte er in La Castellane, einem Arbeiterviertel von Marseille, mit seinen Brüdern zwischen Hochhäusern, umgeben von Armut und Kriminalität. Den damals entwickelten Überlebenswillen hat er nie verloren.

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Posted by Real Madrid C.F. on Donnerstag, 7. Januar 2016

Das imponierte damals auch seinem Entdecker Jean Varraud, der ihn nach Cannes brachte. „Er hat mit dem Ball gesprochen. Zidane hatte die Kämpfer-Qualität seiner verarmten Umgebung. Er war hungrig.“

Zidane diente sich hoch und startete eine eindrucksvolle Welt-Karriere, ausgezeichnet durch WM-, EM-, Champions-League- und Meistertiteln.

Ein Sturkopf ohne Trainer-Ambitionen

Oftmals wollte das Aushängeschild der „Grande Nation“ mit dem Kopf durch die Wand.

Sein Temperament äußerte sich nicht nur in 14 Roten Karten während seiner Karriere, auch der Schlusspunkt im WM-Finale 2006 ging mit dem Kopfstoß gegen Marco Materazzi in die Geschichte ein.

Danach herrschte Leere, der Sohn algerischer Eltern genoss die Ruhe vom Fußballl, wusste aber nicht genau, wie es weitergehen sollte.

„Als ich zurückgetreten bin, wollte ich eigentlich gar kein Trainer werden“, gab Zidane im Nachhinein zu. Die Verbundenheit zum runden Leder ließ aber nie nach.

„Zizou“ vermisste etwas

Spätestens als er 2009 von Real in beratender Funktion in den Klub, der ihm so viel bedeutete, zurückgeholt wurde, war sein Weg vorgepflastert.

Präsident Florentino Perez war es, der den Franzosen als geborenen Gewinner bezeichnete, der ihn unbedingt im Verein integrieren wollte und ihn 2011 zum Sportdirektor beförderte.

Eine vertrauensvolle Position bei einem der größten Klubs der Welt. Doch Zidane vermisste etwas, wie sein Bruder in „FourFourTwo“ verriet. Diesen Druck, diese Angst vor jedem Spiel – all das, was man nur als Spieler oder eben Trainer empfinden konnte.

Das war unter Mourinho nicht möglich, deshalb engagierte er sich in der Jugend, kümmerte sich als Individualtrainer zum Beispiel um die Entwicklung von Alvaro Morata oder Jese.

Unter Ancelottis Fittichen zurück zur großen Liebe

2013 war es dann sein ehemaliger Juventus-Trainer Carlo Ancelotti, der ihn beförderte und an seine Seite bei den Profis holte – als Assistent.

Nur unter dem Italiener konnte er sich vorstellen, nicht die erste Geige zu spielen. Der Weg war damit gepflastert. „Das war, was ich machen wollte.“

„Als ich mit dem Fußball aufgehört habe, habe ich viele Sachen gemacht, viele Leute gesehen, viel über Fußball gelernt und einige Jobs gemacht, aber wenn es darauf ankommt, kehrst du dorthin zurück, was dir am meisten Energie gibt. Du musst tun, was du liebst. Für mich ist das Fußball.“

Als stiller Co-Trainer im Hintergrund erledigte er seine Aufgaben, lernte vom großen Maestro und vertiefte sich immer mehr in den Gedanken, als Trainer groß rauszukommen.

„Er hatte schon immer ein Gefühl für das Kollektiv“

Nach einem Jahr war es an der Zeit, das Gelernte in die Tat umzusetzen, selbst aktiv zu werden, die Zügel in die Hand zu nehmen und die akribische Arbeit als Chef umzusetzen.

Die Castilla war der perfekte Ort, um die ersten Schritte zu machen, auch wenn der Start alles andere als erfolgreich verlief. Doch mit taktischen Schachzügen und einem Gefühl für das vorhandene Spielermaterial fand er in seine neue Berufung hinein.

„Er hatte schon immer ein Gefühl für das Kollektiv. Er löste Probleme auf dem Feld intuitiv und holte gleichzeitig das Beste aus seinen Mitspielern heraus“, blickte Guy Lacombe, sein erster Coach an der Akademie in Cannes und persönlicher Förderer, auf dessen aktive Zeit zurück.

„Als Trainer braucht er mehr als Intuition, aber er hat diese Fähigkeit, das kollektive Denken des Teams zu spüren. Er hat andere Spieler immer schon verstanden.“

Benitez profitierte von Zidanes Zielverfehlung

Seine Tätigkeit hätte abrupt enden können, als er aufgrund der fehlenden UEFA-Pro-Lizenz suspendiert wurde. Nur weil er sich nicht für die spanische Kurzversion von wenigen Wochen sondern für die dreijährige Ausbildung in seiner Heimat Frankreich entschied.

Viele forderten eine Arbeitserlaubnis für Zidane, das Sportgericht hatte schlussendlich ein Einsehen. Viel mehr als diesen Zwischenfall wurmte ihn jedoch das Verpassen der ausgegeben Ziele.

Die Playoffs wurden mit der Castilla verpasst, eigentlich ein No-Go für das erfolgsverwöhnte weiße Ballett. Das war mitunter auch ein Grund, warum er im Sommer 2015 noch keine Chance auf den Trainerposten bekam. Carlo Ancelotti wurde entlassen, Rafael Benitez kam.

Zizou hingegen musste warten. „Real glaubt noch nicht, dass mein Moment gekommen ist. Ich hätte das Angebot aber angenommen“, wurde dieser zitiert.

Ein Kontroll-Freak im Reifeprozess

Somit ging er in eine weitere Saison in der Segunda B, Angeboten von seinen Ex-Vereinen Bordeaux hielt er stand. Niederlagen haben ihn geformt und reifen lassen. Nichts wollte er dem Zufall überlassen.

„Ich habe es so mitbekommen, dass er alles unter Kontrolle haben wollte“, wurde Ruben Jimenez von der spanischen Sportzeitung „Marca“ zitiert.

Der brodelnde Vulkan wurde ruhig, sperrte die Medien vom Training aus und vermied Pressekonferenzen. Er konzentrierte sich auf das Wesentliche, ging dabei akribisch vor.

Es war die Zeit, als in einem weniger talentierten Jahrgang als dem davor auch sein Sohn Enzo unter ihm zu seinem Debüt kam. Später trug er sogar die Kapitäns-Schleife.

Die „natürliche Autorität“ des Anti-Pep

In einem seltenen Interview mit „France Football“ verriet er seinen Umgang mit Spielern: „Wenn du soft bist, funktioniert das nicht. Ich habe entdeckt, dass du den Spielern sagen musst, was sie nicht erwarten.“

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Oft hält der ehemalige Klasse-Kicker seinen Schützlingen jedoch keine Standpauken. Dies ist seiner Meinung nach nicht notwendig. „Ich denke, ich habe eine natürliche Autorität. Man muss die Spieler nicht immer anbrüllen.“

Aufgrund seiner ausbleibenden Erfolge im Nachwuchs und seiner Verschwiegenheit wurde Zidane als „Anti-Pep“, als Gegenteil von Josep Guardiola gehandelt. Zizou wollte nicht große Töne, sondern seine Leistungen als Trainer sprechen lassen.

„Zidane ist kein Lautsprecher“, stellte auch sein Mentor Lacombe klar. Ganz anders als Mourinho oder Ancelotti. Und trotzdem bekam er von Perez den Ritterschlag.

„Perez veränderte alles“

Als der Präsident Benitez nach wenigen Monaten vor die Tür setzte, hatte Zidanes Stunde geschlagen. Plötzlich sollte der namhafte Ex-Star die Profis von Real übernehmen.

Ein Freundschaftsdienst der Vaterfigur Perez? Schon 2013 merkte der Franzose an: „Perez veränderte alles.“

Er holte ihn zum Klub, setzte ihn auf verschiedenen Positionen ein und zeigte den Mut, Zidane zum Cheftrainer zu befördern – trotz der kritischen Stimmen ehemaliger Real-Legenden, ehemaligen Trainern und Liga-Kennern.

Andere wiederum glauben, dass die untypische Wahl durchaus richtig war, auch wenn Zidanes Vita noch keine Profi-Vereine aufweist.

Zidane-Mania nicht aufzuhalten

6.000 Zuschauer verfolgten das erste Training, noch viel mehr lauschten seinen Worten bei der ersten Pressekonferenz.

Spieler schauten bei der Begrüßung zu ihm auf. Auch Gareth Bale, dem nachgesagt wird, aufgrund des Abschieds von Benitez betrübt zu sein. Auch Cristiano Ronaldo, dem Ex-Coach Vanderlei Luxemburgo in der „Marca“ nahelegte: „Cristiano muss verstehen, dass er nicht der Trainer ist, sondern Zidane.“

Respekt vor dem Spieler Zidane werden wohl die meisten haben, denn in dieser Hinsicht war er nicht von dieser Welt, nicht aus dieser Galaxie.

>>>Zidanes Debüt gegen La Coruna im LAOLA1-LIVE-Stream, Samstag, 20:30 Uhr<<<

Darauf baut die Vereinsführung. Plötzlich steht kein Oberlehrer vor ihnen, sondern eine Identifikationsfigur, der Real Madrid aus eigenen Erfahrungen besser kennt als so mancher aktueller Leistungsträger.

Die Zidane-Mania ist nicht mehr aufzuhalten. Bleibt zu hoffen, dass der große Stern des ehemaligen Ausnahmekönners durch seine Trainertätigkeit nicht den einen oder anderen Kratzer abbekommt.


Alexander Karper

 

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