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Hakan Calhanoglu: Endlich angekommen?

Die Karriere des Inter-Stars nahm so manche Wendung, unter der auch sein Image gelitten hat. Auf dem Platz zeigt er mehr denn je.

Hakan Calhanoglu: Endlich angekommen? Foto: © getty

Die einen lieben dich, die anderen hassen dich. Soweit keine ungewöhnliche Situation für einen Fußballer in Mailand.

Die Seiten zu wechseln und es trotzdem zu schaffen, sich in die Herzen der "anderen Seite" zu spielen, ist etwas anderes.

Aber dass Hakan Calhanoglu polarisiert, ist für den Türken nichts Neues. Es ist eine Eigenschaft, die der Karriere des nunmehrigen Inter-Stars schon seit ihrem Beginn wohl unfreiwillig anhaftet.

Mit nun 29 Jahren ist der in Deutschland geborene Kapitän der türkischen Nationalmannschaft wohl nicht in jenen Sphären angekommen, in denen er sich schon bei seinen ersten Profi-Schritten zukünftig wähnte: Bei den ganz Großen, in einer Reihe mit Lionel Messi oder Cristiano Ronaldo.

Das kündigte er einst, mit dem Hamburger SV im deutschen Abstiegskampf steckend, selbstbewusst an. Und wurde dafür nicht ernst genommen. Zumindest erscheint die Ansage zehn Jahre später nicht mehr gar so lächerlich.

Ein Talent wie Mesut Özil

Außerordentliches Talent, das konnte Calhanoglu von Beginn weg zugeschrieben werden.

Drei Tage fehlten ihm auf seinen 18. Geburtstag, als er am 5. Februar 2012 sein Debüt für den Karlsruher SC in der 2. Bundesliga gab.

Erste Schritte beim KSC
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Prompt assistierte er beide Treffer zum 2:1-Erfolg über Erzgebirge Aue und war in weiterer Folge fixer Bestandteil der Startelf.

Ein Senkrechtstart, der ihm von Trainer Jörn Andersen einen Vergleich mit einem jungen Mesut Özil bescherte – aber dem Klub noch nicht half. Es folgte der Abstieg in die 3. Liga.

Doch der HSV hatte schon genug gesehen, um sich bereits im Sommer 2012 für 2,5 Millionen Euro die Rechte an Calhanoglu zu sichern. Die damalige Bundesliga-Institution "parkte" ihn aber noch ein weiteres Jahr in Karlsruhe.

Im Endeffekt ein Segen für den Youngster, der aus der Mannheimer Jugend in jene des KSC gewechselt war.

Tat sich Calhanoglu mit dem Scoren in der 2. Liga noch schwer, explodierte er eine Stufe weiter unten. Und schoss die Karlsruher mit 17 Toren und 12 Assists sofort wieder rauf. Spieler der Saison. Weitere Erfahrungen in der 2. Bundesliga musste er daraufhin nicht mehr sammeln.

Ein Freistoß wie Juninho

Und Calhanoglu machte einfach weiter, brauchte in der Bundesliga keine Anlaufzeit.

Beim HSV nicht lange geliebt
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Sein Instinkt und seine Präzision verzauberten die HSV-Anhänger – seine Freistöße sowieso. Die hatte er sich auf YouTube von Juninho abgeschaut, neben Andres Iniesta das große Vorbild.

Das How-To kam von seinem Vater, der Calhanoglu beim Training am Käfigplatz lieber das Gestänge anvisieren ließ.

Mit diesem Talent musste auch Roman Weidenfeller unliebsame Bekanntschaft machen, der beim Bundesliga-Duell seiner Borussia Dortmund mit dem HSV von Calhanoglu mal eben einen Freistoßtreffer aus 40 Metern Distanz kassierte.

Die erste Delle im Image

Zu diesem Zeitpunkt war die Welt zwischen dem aufstrebenden Bundesliga-Kicker und den Hansestädtern noch rosig. So rosig, dass Calhanoglu im selben Monat seinen Vertrag verlängerte. Und große Ansagen machte: In die Champions League sollte es mit dem HSV gehen.

Die Realität war eine andere. Und brachte die erste große Kontroverse sportlicher Natur in der ruppigen Laufbahn mit sich.

Denn auch Calhanoglus Aufblühen konnte die bis dahin schlechteste Saison in der Geschichte des HSV nicht verhindern, es kam zur Relegation gegen Greuther Fürth. Und die Treuebekundungen waren auch auf einmal weggeblasen. Ausgerechnet unmittelbar vor diesen schicksalsträchtigen Spielen.

Denn mit Bayer Leverkusen klopfte schon länger ein Konkurrent an, der an der "Königsklasse" deutlich näher dran war.

Sogar die Psychologin half

Dass die "Werkself" für Calhanoglu nach nur einem Bundesliga-Jahr schon den nächsten Schritt nach oben darstellen sollte, daraus machten weder der Spieler, noch sein Berater Bektas Demirtas einen Hehl. Über alle Kanäle wurde den Wechselbestrebungen Nachdruck verliehen.

Und der Kredit bei den HSV-Fans binnen kurzer Zeit komplett verspielt. Calhanoglu wurde zur Reizfigur in einer Stadt, in der ihn Wochen zuvor noch (fast) alle liebten.

Letztlich ging der Wechsel durch. Auch dank zweifelhafter Mittel. Calhanoglu ließ sich von einer Psychologin Arbeitsunfähigkeit bescheinigen und vom Trainingsbetrieb krankschreiben.

Vielleicht hatte der damals erst 20-Jährige einfach seine Probleme mit den Einflüsterern von außen. Es war nicht die erste Transferposse, wie sich später herausstellen sollte. Auch sei die Verlängerung ja nur eine Art "Freundschaftsdienst" gegenüber HSV-Sportdirektor Oliver Kreuzer gewesen.

Ein vergangenes Vergehen holt ihn ein

14,5 Millionen waren Leverkusen seine Dienste wert. Womöglich hätte der FC Bayern noch mehr gezahlt, doch im Angesicht dieses möglichen Schrittes setzte dann doch kurz die Bescheidenheit ein. Zu groß sei die Konkurrenz beim Bundesliga-Krösus, Einsatzminuten vorerst wichtiger.

Bayer statt Bayern
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Falsch war die Entscheidung wohl nicht. Denn Calhanoglu konnte in Leverkusen zwar nicht an seine Scorerzahlen beim HSV anknüpfen, aber erste Erfahrungen in Champions und Europa League sammeln.

115 Pflichtspiele brachten nicht nur 28 Tore und 29 Vorlagen, sondern auch die AC Milan auf den Plan. Aber zuvor eine andere Kontroverse ans Tageslicht.

Denn im Frühjahr 2017 wurde Calhanoglu von der FIFA zu vier Monaten des Zusehens verdammt und gesperrt.

Wie sich herausstellte, hatte sein Vater Jahre zuvor schon ganz andere Pläne für die Karriere geschmiedet. Und seinen Sohn 2011 zur Unterschrift eines Vertrags mit Trabzonspor gedrängt, den er in der Folge bekanntlich nicht einhielt.

Die Türken bekamen recht – und langsam, aber sicher haftete Calhanoglu ein wenig das Image eines Skandal-Profis an.

Zur falschen Zeit am falschen Ort

Denn ganz ungeachtet all dieser Vorkommnisse rund um seine Verträge war der heutige Kapitän beim türkischen Nationalteam schon 2013 in einen brisanten Vorfall verwickelt.

Einer Eifersuchts-Affäre zwischen Ömer Toprak, dem Zimmerkollegen Calhanoglus, und Mitspieler Gökhan Töre. Oder besser: Freunden dieser Beiden. An deren Ende sogar mit Waffengewalt gedroht wurde.

VIDEO: Die Überläufer-Elf zwischen Milan und Inter

So waren es wohl nicht nur sportliche Gründe, die im Sommer 2017 den Abschied von Bayer Leverkusen mit einleiteten. Sondern eben auch die Nebengeräusche, die zum dauerhaften Begleiter wurden.

Der Wechsel zur AC Milan war sportlich gesehen zu diesem Zeitpunkt nämlich sicher kein Fortschritt. 23,3 Millionen Euro blätterten die Modestädter hin, um Calhanoglu – der zuvor dreimal in Folge mit Leverkusen an der Champions League teilnahm – ins Mittelfeld der Serie A zu ziehen.

Der Druck der Kaká-Nummer

Und die ersten Schritte in Italien: Sie waren holprig. Calhanoglu sah sich selbst nach seiner Zwangspause auch psychisch beeinträchtigt, auch physisch sei er nicht auf dem höchsten Level gewesen.

Keine guten Voraussetzungen, um die hohen Erwartungen zu erfüllen. Er bekam mal eben die Nummer 10 verpasst, die vor ihm etwa ein Kaká trug.

Kein Wunder, dass die Umstellung nicht auf Anhieb gelang. Auch eine neue Rolle unter Trainer Vincenzo Montella, der für ihn die Aufgabe etwas weiter hinten, hin und wieder auch auf der linken Seite anstelle des vorderen Zentrums vorsah, kam dem Milan-Neuzugang nicht entgegen.

Das Blatt wendet sich

Bei Milan nur auf das Wappen gebissen...
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Eine Situation, die sich unter Gennaro Gattuso schon ab November ändern sollte. Die Klub-Legende bedachte Calhanoglu wieder mit offensiveren Aufgaben und brachte ihn auch physisch auf Vordermann.

Im defensiveren System des neuen Trainers ließ die große Leistungsexplosion aber weiter auf sich warten. Die Erwartungen an die Nummer 10, sie waren bis dahin nicht erfüllt.

Das alles sollte sich unter Stefano Pioli ändern.

Pioli wird zum sportlichen Ziehvater

Der bis heute im Amt gebliebene Trainer setzte Calhanoglu nicht nur auf jene offensive Position, die seiner Rückennummer entspricht, sondern fand auch menschlich einen Zugang zu ihm.

Dort – und in der generell offensiveren Herangehensweise – fühlte sich der Türke auf einmal deutlich wohler. Und der Funke sprang über. Nicht nur zwischen Calhanoglu und der AC Milan, sondern auch deren Fans, die sich endlich in ihren Spätzünder verliebten.

Und das, obwohl der Durchbruch ausgerechnet im fanlosen Corona-Jahr kommen sollte. Allein im "Frühjahr 2019/20", ausgetragen im Sommer nach der Zwangspause, gelangen ihm sechs Tore und acht Assists, Milan musste in diesen zwölf Spielen keine einzige Niederlage hinnehmen.

In der Folgesaison blieb Milan sogar lange im Rennen um den "Scudetto", Calhanoglu hatte als wichtigster Kreativspieler der Serie A seinen Anteil daran – die Statistiken unterstrichen dies.

Und es waren zwar weder Messi noch Ronaldo, aber ein anderer der Allergrößten adelte ihn endlich: Mitspieler Zlatan Ibrahimovic.

Es schien, als wäre Calhanoglu endlich angekommen: Bei einem Verein. Bei einem Ziel. Und zwar noch nicht in der Riege der absoluten Weltspitze, aber auf einem guten Weg.

Und wieder kam es anders.

Und wieder ein unschöner Abschied

Denn anstelle einer Vertragsverlängerung bei der AC schien der Ruf des Stadtrivalen verlockender.

Inter hatte 2021 gerade Christian Eriksen verloren – die tragischen Umstände dieser Geschichte sind bekannt. Ein neuer Mittelfeld-Motor musste her. Und in Calhanoglu wurde ein passender Kandidat verortet. Nicht zu Unrecht, wie er bis heute laufend beweist.

...bei Inter in die Supercoppa-Medaille
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Ein höheres Gehalt und höhere Bonuszahlungen sollen den Ausschlag für die blaue Seite der Stadt gegeben haben.

Die sportlichen Geschehnisse straften Calhanoglu vorerst noch für diese Entscheidung, denn ausgerechnet im ersten Jahr nach seinem Abschied gelang der AC Milan die Beendigung der "Scudetto"-Durststrecke.

Grund genug für Häme in seine Richtung. Angestoßen auch auf der Meisterfeier vom einstigen Lobpreiser Ibrahimovic.

Wieder: Statt Happy End bei einem Klub verbrannte Erde.

Ein neues Treueversprechen

Calhanoglu wird es verkraften. Das Engagement beim Stadtrivalen wurde vom ersten Moment an zu einer Liebesgeschichte für alle Seiten, Interisti inklusive.

Und der Klub spricht aktuell ein gewichtiges Wörtchen mit, ihm den ersten Meistertitel in einer obersten Liga überhaupt zu bescheren. Und die "Scudetto"-Schmähungen der Gegenseite vergessen zu machen.

In der Champions League wäre es schon in der Vorsaison beinahe soweit gewesen und Calhanoglu hätte sich zum ersten türkischen Sieger der "Königsklasse" küren können. Ausgerechnet in Istanbul. Es sollte nicht sein.

Dennoch - oder gerade deswegen: Die Verbindung zwischen Inter und Calhanoglu wirkt nun endlich wie eine, die auf Bestand ausgelegt ist. Der gemeinsame Vertrag wurde gar schon bis 2027 verlängert.

Aber Calhanoglus Karriere hat sich eben auch schon öfter schnell in andere Richtungen entwickelt.

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