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Benfica-Experte: "Salzburg kann Schmidt nicht überraschen"

Für den mittlerweile höchsterfolgreichen Coach schließt sich am Mittwoch ein Kreis. Warum er in Lissabon verehrt wird und wo Benfica gerade schwächelt:

Benfica-Experte: Foto: © getty

Unter Roger Schmidt hat alles begonnen.

Als der Deutsche 2012 als Wunschlösung von Sportdirektor Ralf Rangnick als neuer Trainer beim FC Red Bull Salzburg installiert wurde, war der Klub aus der Mozartstadt für vieles bekannt: Für viele alternde Legionäre, für überschaubaren internationalen Erfolg oder auch für biederen Ballbesitzfußball holländischer Schule.

Für eines waren die "Bullen" nicht bekannt: Für frisch-frechen Offensivfußball mit jugendlicher Power im Spiel gegen den Ball. Das änderte sich unter Schmidt.

Der damals 45-jährige Deutsche implementierte in Salzburg - unter kräftiger Mithilfe von Rangnick, der Schmidt mit Kickern wie Kevin Kampl, Sadio Mane oder Valon Berisha versorgte - jenen pressingorientierten Spielstil, der mittlerweile als das absolute Erkennungsmerkmal des Salzburger Kicks zu bezeichnen ist.

Am Mittwoch wird sich für Salzburg und Schmidt ein Kreis schließen: Die Mozartstädter, damals erfolglos nach der ersten Champions-League-Teilnahme ächzend, reisen als mittlerweile erfahrene "Königsklassen"-Mannschaft zum Champions-League-Gruppenauftakt zu Benfica Lissabon von Schmidt, damals ein unbekannter Trainerneuling, der sich mittlerweile in ganz Europa einen Top-Ruf erarbeitet hat.

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"Schmidtologia"! Das zeichnet Schmidt in Lissabon aus

Nach Stationen in Deutschland, China und Holland dürfte der mittlerweile 56-Jährige in die "Stadt der sieben Hügel" seine Fußball-Heimat gefunden haben. Der als aktiver Profi großteils unerfolgreiche gelernte Werkzeugmacher führte die "Aguias" in der Vorsaison zunächst ins Champions-League-Viertelfinale und anschließend zum ersten portugiesischen Meistertitel seit vier Jahren, wird in Portugals Hauptstadt beinahe hündisch für seinen attraktiv wie erfolgreichen Spielstil verehrt.

Das alles bewog Luís Mateus, seines Zeichens Journalist und Analyst bei der auflagestärksten portugiesischen Tageszeitung A Bola, dazu, in diesem Jahr ein Buch über Schmidt nach weniger als einem Jahr im Amt zu veröffentlichen.

"Schmidtologia. Die Ideen des Revolutionärs, der ankam, das Licht (nach dem "Stadion des Lichts" von Benfica, Anm.) sah und es eroberte", heißt das Werk, in welchem Schmidts bisheriges Schaffen mithilfe von Wegbegleitern, Ex-Spielern sowie Journalisten, unter anderem von LAOLA1, beleuchtet und zusammengefasst wird.

"Als Schmidt ankam, haben die Leute ihn als einen weiteren Coach, einen deutschen Coach - die Bilanz deutscher Coaches ist hierzulande nicht sehr erfolgreich - angesehen. Die meisten Leute wussten nicht viel von ihm. Seine Resultate, die Leistung des Teams und der Impact, den er hatte, haben mich dazu bewegt, ein Buch über ihn zu schreiben", erklärt Mateus.

Mateus mit seinem Buch über Roger Schmidt "Schmidtologia":

"Kein Alles-oder-Nichts-Pressing mehr"

Schmidt ist für den erfahrenen Journalisten deshalb ein Revolutionär, "weil die Mannschaft in den Jahren zuvor schlecht gespielt hat und er sich sofort mit den Spielern, dem Vorstand und den Fans verbunden hat und dem Verein ein Gefühl von neuer Identität gab: Der Benfica-Weg. Aber er ist auch revolutionär in Bezug auf den progressiven Angriffs-Fußball, den er gemeinsam mit Rangnick in Salzburg kreiert hat und mit nach Lissabon brachte".

Die schwer enttäuschten Schmidt und Kampl nach dem Aus gegen Basel 2014

Genau dieser Angriffs-Fußball ließ Salzburg einst erstmals groß träumen. Unter Schmidt erreichten die "Bullen" 2014 mit einem hochattraktiven Spielstil erstmals in ihrer Klubhistorie das Achtelfinale der Europa League, nachdem sie unter anderem Ajax Amsterdam mit einem 6:1 gesamt aus dem Weg räumten. Vor dem Achtelfinale gegen den FC Basel schien selbst der Titel in der Europa League nicht mehr unrealistisch.

Gegen die Schweizer dann die große Enttäuschung: Trotz drückender Überlegenheit setzte es ein Aus im Achtelfinale, die "Bebbi" kochten die damals oftmals naiv pressenden Mozartstädter schlicht ab und offenbarten Schwächen in Schmidts auf extremem Forechecking basierender Spielidee.

Mittlerweile habe Schmidt sich diesbezüglich weiterentwickelt, erklärt Mateus: "Sein Pressing ist heutzutage ausbalancierter, es ist kein Alles-oder-Nichts-Pressing mehr."

Benficas Pressing "momentan nicht auf dem höchsten Level"

Allerdings agiere Benfica aber nicht in Höchstform vor einem Jahr, es fehle momentan die für das nach vorne Attackieren notwendige Geschlossenheit: "Das hohe Pressing und Gegenpressing von Benfica ist momentan nicht auf dem höchsten Level. Ich glaube, Schmidt wird gegen Salzburg mehr auf Spielkontrolle und Positionsspiel setzen und weniger Spieler ins Pressing schicken."

Auch die "Pausen" im Benfica-Spiel, in denen der Ball in den eigenen Reihen zirkuliert und nicht wie wild gepresst wird, würden momentan nicht so funktionieren wie noch im Vorjahr, wodurch das Spiel manchmal "außer Kontrolle gerät".

Mateus macht den im Vergleich zum Vorjahr leicht schwächeren Eindruck der "Aguias" vor allem am Abgang von Top-Stürmer Goncalo Ramos (Paris Saint-Germain) fest, der neben seiner 27 Treffer aus der Vorsaison viele wichtige zurückgelegte Meter im Pressing beisteuerte.

Trotz Ramos's Abgang und jenem 121 Millionen Euro schweren von Enzo Fernandez im Winter 2023 findet Mateus, dass "Benfica jetzt bessere Spieler, aber bisher kein besseres Team hat".

Di Maria "macht den Unterschied", aber auch Probleme

Mit dem türkischen Spielmacher Orkun Kökcü und dem brasilianischen Top-Stürmer Arthur Cabral holte Benfica in diesem Sommer zwei Top-Verstärkungen um jeweils rund 20 Millionen Euro an Bord. Der größte Fisch wurde aber ablösefrei an Land gezogen: Angel Di Maria.

"Er ist erst vor ein paar Wochen gekommen und macht schon den Unterschied", berichtet Mateus vom mittlerweile 35-jährigen argentinischen Weltmeister.

Der durchaus bereits für Konflikte sorgte: "Er kann keine 90 Minuten mehr spielen, aber er ist schon an die Öffentlichkeit gegangen und hat gesagt, dass er nicht gerne ausgewechselt wird. Es ist eine Situation, die Schmidt so schnell wie möglich lösen muss."

Schmidt hat den Wünschen des Weltklasse-Flügelspielers, der vor 16 Jahren einst seine ersten Schritte im europäischen Fußball bei Benfica setzte, nachgegeben und ließ ihn in den letzten vier Spielen quasi durchspielen. Di Maria bedankte sich mit fünf Scorerpunkten.

Salzburg-Spiel kommt für Benfica "zwei bis drei Wochen zu früh"

Doch der Linksfuß bringt ein weiteres Problem mit sich: Genau so wie Linksaußen Rafa und Stürmer Cabral passt er nicht wirklich ins Schmidtsche Spielsystem. Einer der Gründe, warum es mit dem Pressing momentan noch nicht so wie gewohnt klappt.

Mateus dazu: "Diese Situation muss alsbald ausgeglichen werden."

Auch deshalb kämen die Champions-League-Spiele, im Speziellen jenes gegen Österreichs Meister, "zwei bis drei Wochen zu früh".

Dennoch ist sich Mateus sicher: "Benfica ist Favorit. Schmidt kennt Salzburg und die Philosophie des Klubs, er wird sich nicht überraschen lassen. Ich erwarte mir ein großartiges Spiel."

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