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SV Ried: Die massive Nachwuchs-Trendwende

Coach Max Senft hat einen Gludovatz-Rekord gebrochen und es gar nicht bemerkt. Er führt im Innviertel eine Generation neuer Hoffnungsträger an die Profis heran.

SV Ried: Die massive Nachwuchs-Trendwende Foto: © GEPA

In Zeiten, in denen jede Bewegung mittels GPS getrackt wird, jede statistische Auffälligkeit irgendwo Alarmglocken schrillen lässt, ist es selten geworden, dass ein historisches Spiel spurlos an allen Beteiligten vorübergeht.

Aber es passiert. Am 26. September 2023 hat die SV Ried bei der 1:2-Niederlage in der 2. Cup-Runde die jüngste Startelf ihrer Geschichte auf den Rasen geschickt. 22,6 Jahre waren die "Wikinger" am Feld durchschnittlich alt.

"Mir war dieser Rekord damals nicht bewusst, ich habe das erst im Winter erfahren", sagt Trainer Max Senft.

Trainer-Ikone Gludovatz abgelöst

Dabei hat er sich in dieser Partie nicht nur einen Eintrag in die Innviertler Geschichtsbücher gesichert, sondern mit Paul Gludovatz auch eine Trainer-Ikone abgelöst. Er hatte den Rekord nämlich seit dem 20. September 2011 inne, als er – ebenfalls in der 2. Cup-Runde – gegen Götzendorf mit einer Startelf auflief, die im Schnitt 23,1 Jahre alt war.

Es war ein Team, das Ried-Fans noch heute Tränen der Nostalgie in die Augen treibt. Marcel Ziegl (18 Jahre), Robert Zulj (19), Lukas Rotpuller (20), Marco Meilinger (20), Daniel Beichler (22), Anel Hadzic (22), Thomas Reifeltshammer (23) und Jan-Marc Riegler (23) waren damals unter anderem dabei.

Nun schickt sich eine neue, junge, talentierte Generation an, in die Fußstapfen dieser Herrschaften zu treten. "Wir haben einige sehr vielversprechende Spieler, denen ich in Zukunft den Weg mit uns nach oben zutraue und in weiterer Folge dann sicher noch die eine oder andere Station noch eine Ebene weiter oben", sagt Senft.

Kein Zufall

Der 34-Jährige hat in dieser Saison mehrmals bewiesen, dass er gewillt ist, den Youngsters Chancen zu geben. Er ist für drei der sechs jüngsten Ried-Startelfs in der Geschichte verantwortlich. Sieben Spieler waren noch keine 20 Jahre alt, als sie in dieser Saison ihr Debüt in der ADMIRAL 2. Liga gegeben haben. Keines der Top-Teams in der Liga ist so jung wie die Rieder.

Das ist kein Zufall, sondern Strategie. Senft erklärt: "In unserem Zwei-Jahres-Plan gibt es fünf Maßnahmen, und eine davon ist die Einbindung der Akademie – auf Staff-Ebene und speziell auf Spieler-Ebene. Uns war vor der Saison wichtig, das ganz bewusst zu forcieren. Gleichzeitig haben dann einfach einige der jungen Spieler über der Erwartungshaltung performt."

Der 18-jährige Malic ist Rieds Dauerbrenner
Foto: © GEPA

Einer davon ist Arjan Malic. Der Slowene hat erst im Winter 2022/23 den Sprung aus der eigenen Akademie zu den Jungen Wikingern, so heißt das Rieder Amateure-Team, geschafft. In dieser Saison ist er in der Innenverteidigung gesetzt. Kein anderer Kaderspieler der Oberösterreicher hat so viele Einsatzminuten gesammelt wie der 18-jährige Slowene.

"Malic hat uns in der Vorbereitung dermaßen überzeugt, dann ist der Ausfall von Marcel Ziegl dazugekommen und er hat sich reingespielt. Er kann mit seinen 18 Jahren schon eine Kurve über seine Körpersprache mitnehmen", berichtet Senft.

Auch Spieler wie Jonas Mayer (19), Belmin Beganovic (19), Fabian Rossdorfer (18) und Gontie Diomandé (20) haben in dieser Saison schon deutlich mehr als zehn Pflichtspiele für die Ried-Profis gemacht. Eine Handvoll weiterer U21-Spieler hat ebenfalls schon Einsätze bekommen.

Massive Trendwende

Nachdem der Output der Rieder Akademie ein Jahrzehnt lang praktisch nicht vorhanden war – Stefano Surdanovic, Felix Seiwald und Matthias Gragger waren die prominentesten Namen –, kann getrost von einer massiven Trendwende geschrieben werden.

Dass es jahrelang alles andere als gut mit der Ausbildung eigener Talente geklappt hat, liegt auch (aber natürlich bei weitem nicht nur) an den Nachbarn. Senft sagt: "Geographisch hat unsere Akademie einen schwierigen Standort zwischen Red Bull Salzburg und dem LASK. Gleichzeitig sehe ich das auch als Chance, Spieler zu bekommen, die es vielleicht bei Red Bull nicht schaffen, Benny Sammer zum Beispiel."

Der 19-Jährige ist 2021 von der Red Bull Akademie in jene der Rieder gewechselt und hat im März sein Profi-Debüt gefeiert.

"Es ist kein Zufall, dass die Spieler, die bei uns raufkommen, eine große Widerstandsfähigkeit und Resilienz mitbringen. Das Innviertel ist ja bekannt für harte Arbeit."

Chefcoach Max Senft

Die eingesetzten Youngster in dieser Saison kommen fast ausschließlich aus der eigenen Akademie. "Es ist kein Zufall, dass die Spieler, die bei uns raufkommen, eine große Widerstandsfähigkeit und Resilienz mitbringen. Das passt gut zur Vereinskultur und zur Identität. Das Innviertel ist ja bekannt für harte Arbeit", sagt Senft.

"Ried lebt von dieser hohen Identifikation. Um erfolgreich zu sein, braucht Ried Spieler, die hier verwurzelt sind und gleichzeitig trotzdem die Tugenden verkörpern, die im modernen Fußball wichtig sind", so der Coach.

Das Spielkonzept für alle

Die Voraussetzung, dass die Talente rasch bei den Profis eingebaut werden können, ist das durchgängige Spielkonzept ab der U15, also der jüngsten Akademie-Mannschaft.

Senft erläutert: "Wir haben das 3-4-3 in allen Teams als Grundformation. Diese Basis dient als Grundlage für Scouting und Spielerprofile. Wichtig ist außerdem, dass in allen Teams dieselben Verhaltensweisen gecoacht werden. Das Spielkonzept ist überall gleich. Entscheidend ist, dass es wirklich alle Trainer im Verein leben. Das funktioniert nur, wenn es einen regelmäßigen Austausch gibt."

Und den gibt es. In Workshops in der Akademie verfeinern die sportlich Verantwortlichen rund um Sportvorstand Wolfgang Fiala, der gemeinsam mit Akademie-Mitarbeiter Lukas Brandl federführend für die Erarbeitung des Konzepts verantwortlich zeichnet, immer wieder die Details.

Sportvorstand Wolfgang Fiala ist seit 2020 im Verein
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Weil alle in dieselbe Richtung rudern, ist die Durchlässigkeit hoch und klappt vor allem problemlos. "Die Spieler, die zu uns raufkommen, hören dasselbe wie unten. Die Spieler können nahtlos anschließen", sagt Senft.

Oft ist das Raufkommen aber gar nicht das große Problem, schwieriger wird es – vor allem für die Psyche – wenn ein Junger dann wieder unten ran muss.

"Wir sind in unseren Entscheidungen sehr transparent und kommunizieren viel mit den Spielern. Für sie ist es ein Stück weit normal, über Phasen hinweg oben dabei zu sein, dann aber auch wieder mal unten. Widerstandsfähig zu sein, sich immer wieder einen Platz erkämpfen zu müssen, das sind wichtige Fähigkeiten", meint Senft.

Der schwere Kampf der Jungen Wikinger

In den kommenden Wochen werden einige Youngster wieder öfter bei den Amateuren drankommen. Denn die Jungen Wikinger stecken in der Regionalliga Mitte als 14. im Kampf gegen den Abstieg. Zwar wird aktuell über potenzielle Partnervereine gesprochen, doch ein Abstieg der zweiten Mannschaft in die vierthöchste Spielklasse täte den Riedern schon ziemlich weh.

Das ist auch Senft klar: "Das große Ziel mit den jungen Wikingern ist der Klassenerhalt. Es ist ein Drahtseilakt, den Jungen oben eine Chance zu geben, sie aber in dieser wichtigen Phase auch das Regionalliga-Team unterstützen zu lassen. Das Coole daran ist, dass sie jetzt schon eine gewisse Drucksituation in der Regionalliga haben, die für ihre Entwicklung sehr förderlich ist."

Julian Baumgartner, Coach der Jungen Wikinger, ist Rieder Urgestein

Seit kurzem ist Julian Baumgartner Trainer der Jungen Wikinger. Der 29-Jährige ist eine wichtige Identifikationsfigur im Verein. Er durchlief einst selbst die Akademie, hat mit 17 Jahren sein Bundesliga-Debüt für die SVR gegeben. Verletzungsprobleme verhinderten eine größere Karriere.

"Julian Baumgartner schafft eine super Bindung zwischen Kampfmannschaft, jungen Wikingern und Akademie. Er kann den Jungen sehr gut vermitteln, was es braucht, um den nächsten Step zu machen, weil er selbst auch so ein Typ ist, der hat, was es braucht", sagt Senft.

Baumgartner teilt sich ein Büro mit den Trainern der Profis, die Wege sind kurz.

Aus Simmering ins Innviertel

Einen etwas weiteren Weg hat Mateo Zetic hinter sich. Der 18-jährige Offensivspieler hat erst am vergangenen Wochenende sein Profi-Debüt gegeben. Mit acht Toren ist er erfolgreichster Torschütze der Jungen Wikinger. Er ist kein Eigenbauspieler, sondern im Sommer vom 1. Simmeringer SC aus der Wiener Stadtliga gekommen.

Senft sagt über ihn: "Er hat in sehr jungen Jahren schon in der Wiener Liga gespielt, kennt schon eine andere Seite des Fußballs als nur die Akademie. Das sind Spieler, die oft Charaktereigenschaften mitbringen, die es in Ried braucht."

Zusätzlich zu den Akademiespielern wollen die Rieder auch "den einen oder anderen hochtalentierten Spieler über die Jungen Wikinger für die Kampfmannschaft entwickeln". Wolfgang Fiala helfen dabei seine guten Kontakte ins Wiener Unterhaus. Erst im Winter schlug er erneut zu, lotste Joris Boguo (16) vom SV Donau ins Innviertel. Das Talent hat mit 15 Jahren schon bei den Erwachsenen in der 4. Liga gespielt.

"Wir sind überzeugt, mit dieser Philosophie um den Aufstieg spielen zu können"

Es ist aber natürlich nicht so, dass nur Junge im Ried-Trikot über den Rasen laufen. Routiniers wie Andreas Leitner (30), Nikki Havenaar (29) und Oliver Steurer (29) sind wichtige Eckpfeiler des Teams, ebenso Kicker im besten Fußballer-Alter, etwa Mark Grosse (25), Nik Marinsek (25) und Nemanja Celic (24).

"Den Routiniers, die wir dazugeholt haben, haben wir unseren Weg ganz klar kommuniziert. Sie identifizieren sich zu 100 Prozent damit, führen die Jungen jeder auf seine eigene Art und Weise", freut sich Senft.

Es sollen eben immer auch Talente eingebaut werden. "Wir wollen mutige Entscheidungen treffen. Wir nehmen auch in Kauf, dass junge Spieler ihre Leistung nicht so konstant bringen und auch mal etwas schiefgeht. Es ist wichtig, dass Spieler wissen, dass sie Fehler machen dürfen. Dieser Weg birgt ein gewisses Risiko, aber wir gehen ihn bewusst", so der Coach.

Die Perspektive

Er ist sich sicher: "Die Fans honorieren unseren Weg. Nach der sehr bitteren Niederlage gegen den GAK haben sich die Spieler von den Rängen stehenden Applaus abgeholt."

Klar ist aber auch, dass der Anhang der SV Ried mit dem Status quo in der 2. Liga unzufrieden ist. Die Innviertler Zuschauer haben sich in den vergangenen Jahrzehnten zu sehr an Bundesliga-Nachmittage gewöhnt, als dass sie mittelfristig Lust auf eine junge Elf eine Liga darunter hätten.

Das ist Senft freilich bewusst: "Wir sind überzeugt, mit dieser Philosophie um den Aufstieg spielen zu können, sonst würden wir es ja nicht machen. Es braucht einen Mix aus Routiniers und Jungen. Die Spielzeit in diesem ersten Jahr ist für die Jungen sehr wertvoll für die nächste Saison. Trotzdem zählt bei uns das Leistungsprinzip."

Denn: "Nach einer Niederlage interessiert es niemanden, wie jung die Spieler waren." Man denke nur an das eingangs erwähnte Cup-Duell mit dem WAC, dessen historisches Ausmaß allen erst viel später bewusst wurde.


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