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Brändle: "Mein Name ist sicher bekannter geworden"

Brändle:

Bis vor wenigen Monaten war Matthias Brändle einer von vielen im Radsport-Zirkus.

Ein talentierter Österreicher mit guten Leistungen im Einzelzeitfahren, der eines Tages den Durchbruch schaffen könnte.

Inzwischen kennt den 25-Jährigen jeder, der den Radsport regelmäßig verfolgt.

Zwei Etappensiege bei der Tour of Britain (back to back), Erfolge bei der Tour of Oman sowie der Belgien-Rundfahrt hinterließen Eindruck.

Vor allem jedoch sorgte der Vorarlberger mit seinem Stundenweltrekord, den er Altmeister Jens Voigt Ende 2014 abjagte und der bis Anfang 2015 hielt, für Furore.

Kein Wunder, dass sein IAM-Team nicht daran vorbeikam, Brändle erstmals in seiner Karriere für die Tour de France zu nominieren. 

Am 4. Juli wird er in Utrecht von der Startrampe rollen, um 3.360 Kilometer quer durch die Niederlande, Belgien und Frankreich nach Paris zu pedalieren.

Im Interview mit LAOLA1 spricht Matthias Brändle über seine Premiere, den Traum vom Gelben Trikot und darüber, warum er es "kurz und schmerzhaft" mag.

LAOLA1: Die erste Tour-Teilnahme – welche Bedeutung hat sie für dich?

Matthias Brändle: Sie ist natürlich etwas Besonderes, ist die Tour doch das größte Rennen im Radsport und zählt mehr als Olympia oder die Weltmeisterschaft. Nachdem ich mittlerweile im sechsten Jahr Profi bin, war es höchste Zeit, dass ich mal dabei bin.

LAOLA1: Welche Rolle wirst du während der drei Wochen ausfüllen?

Brändle: Unser Ziel als Team ist eine Top-10-Platzierung in der Gesamtwertung durch Mathias Frank. Dafür wird das gesamte Team hart arbeiten.

LAOLA1: Gleich zum Auftakt steht in Utrecht eine 13,8 km lange Prüfung im Einzelzeitfahren, deiner Lieblingsprüfung, auf dem Programm. Womit dürfen wir rechnen?

Brändle: Der Prolog ist etwas länger als jener bei der Tour de Suisse (Rang drei, Anm.) und der Belgien-Rundfahrt (Brändle gewann, Anm.) und daher ein bisschen anders. An einem guten Tag ist aber sicher alles möglich, wenngleich der Sieg sehr schwer wird. Es gibt einen Tony Martin und einen Tom Dumoulin, die in einer anderen Liga unterwegs sind, dahinter ist aber vieles offen. Voraussetzung sind eine super Tagesverfassung und, dass man alle Kurven optimal erwischt. Gelingt dies, ist vieles möglich.

LAOLA1: Wie im letzten Jahr gehört auch 2015 eine Kopfsteinpflaster-Etappe zum Repertoire der Tour-Organisatoren. Speziell unter den Klassementfahrern ist sie umstritten. Braucht es diesen zusätzlichen Risikofaktor?

Brändle: Ein Fahrer, der die Tour de France gewinnen will, muss komplett sein. Dazu gehört eben auch das Kopfsteinpflaster. Klar ist es gefährlich, aber das sind andere Etappen auch.

LAOLA1: Du hast die Nordklassiker in diesem Jahr bestritten, aber nicht beendet. Was hast du daraus gelernt?

Brändle: Bei Kopfsteinpflaster spielt die Erfahrung eine große Rolle, da musst du genau wissen, wann du vorne zu fahren hast. Du kannst so stark sein, wie du willst, ohne dieses Wissen bist du chancenlos. Mein sportlicher Leiter hat mir das heuer so erklärt: Ich habe den Motor, um ganz vorne mitzufahren, aber mir fehlt das Navigationssystem, das unabdingbar ist. Wenn ich das noch schaffe, könne ich ganz vorne sein.

LAOLA1: Wie hält man einen Nicht-Kopfstein-erprobten Kapitän aus dem Gröbsten raus?

Brändle: Du musst ihn richtig positionieren, aber das ist nicht immer leicht. 200 Fahrer sind dabei, 200 Fahrer wollen vorne sein. Der Platz wird dadurch eng, daher kommt es darauf an, wer es am klügsten angeht und die stärksten Fahrer hat.

LAOLA1: Das große Peloton wird immer wieder diskutiert. Nachdem angedacht war, die Teams (derzeit jeweils neun Fahrer, Anm.) zu verkleinern, wollten Verantwortliche wie Oleg Tinkov und Jim Ochowicz die ProConti-Teams ausschließen. Wie stehst du zur Thematik?

Brändle: Das Problem ist bei der Tour de France der Stress. Jeder Fahrer hat einen Mann im Ohr, was aus meiner Sicht ein Problem darstellt. Jeder sportliche Leiter kennt die wichtigen Punkte, daher bekommt auch jeder Fahrer das gleiche gesagt. Dann wollen 200 Fahrer vor einer wichtigen Kurve nach vorne, es gibt aber zu wenig Platz – so passieren dann Stürze. Dazu ist jeder nervös und will sich von seiner besten Seite zeigen.

LAOLA1: Träumst du insgeheim vom Gelben Trikot?

Brändle: Das Gelbe Trikot ist für mich noch etwas weit entfernt. Träumen ist aber erlaubt, denn eines Tages ist es sicher das Ziel. Es wäre aber eine derartige Sensation, dass ich noch nicht davon träumen will. Mit einer Top-5- oder auch Top-10-Platzierung wäre ich schon sehr zufrieden und gut in die Tour gestartet.

LAOLA1: Deine Entwicklung zeigt stets nach oben, dein aktuelles Niveau hievt dich in neue Sphären. Was zeichnet dich derzeit aus?

Brändle: Das frage ich mich manchmal selbst. Nach der Tour de Romandie habe ich ein Höhentrainingslager gemacht und bin dort locker gefahren. Dann habe ich die Belgien-Rundfahrt bestritten und war dort von Beginn an richtig gut in Form. In den kurzen Zeitfahren war ich aber schon immer ganz gut, auch davor bei Tirreno-Adriatico (Rang fünf, Anm.) und der Katar-Rundfahrt (Platz sechs, Anm.) war ich nur sehr knapp hinter dem Sieger.

LAOLA1: Je kürzer das Zeitfahren, desto stärker bist du. Was fehlt dir noch, um auch über 20 oder 40 Kilometer mit den Besten mithalten zu können?

Brändle: Das ist eine gute Frage. Bei den kurzen kann ich mich einfach am besten fokussieren, da fahre von Kurve zu Kurve – und das immer Vollgas.  Da weiß ich vorher, dass der ganze Schmerz nach fünf oder zehn Minuten vorbei ist. Wenn ich aber eine Stunde auf der Zeitfahrmaschine sitze, tun dir die Beine schon nach zehn Minuten furchtbar weh, dann musst du den Rest durchbeißen. Dafür bin ich nicht so sehr der richtige Typ, ich mag es lieber kurz und schmerzhaft.

LAOLA1: Stürze gehören bei der Tour zum täglichen Brot, dein Kapitän Frank musste letztes Jahr deshalb aufgeben. Gibt es einen Plan B und wenn ja, wie sieht er aus?

Brändle: Es kommt eben alles auf ihn an. Ist er in der Lage, ganz vorne mitzufahren, wird alles darauf ausgerichtet sein. Kommt es anders, gibt es sicher die Möglichkeit, auch mal in Fluchtgruppen zu gehen, dann werden wir versuchen, generell offensiv zu fahren. Wenn möglich, wäre dann ein Etappensieg das Ziel. Wir haben für fast jedes Terrain – bis auf den Sprint – Leute hier und sind entsprechend gut aufgestellt.

LAOLA1: Drei dreiwöchige Rundfahrten, zweimal Giro und einmal Vuelta, hast du bereits bestritten, dabei allesamt beendet. Welche Ziele willst du bis Paris abhaken?

Brändle: Natürlich das eingangs erwähnte Zeitfahr-Resultat ganz vorne, dazu will ich gesund bleiben, nach Möglichkeit nicht stürzen und Paris erreichen. Das sind die Grundziele, alles Weitere ist ein Bonus – dazu gehören Spitzengruppen und die Möglichkeit, vielleicht einmal um den Tagessieg mitfahren zu können. Ich muss mir aber erst einmal selbst ein Bild davon machen, da ich noch nie dabei war. Ich freue mich schon sehr auf die Kulisse.

<span style=\'color: #ffff00;\'>Matthias BRÄNDLE <span style=\'color: #ffff00;\'>Marco HALLER <span style=\'color: #ffff00;\'>Georg PREIDLER
Alter 25 24 25
Größe 189 cm 178 cm 190 cm
Gewicht 76 kg 72 kg 68 kg
Profi seit 2010 2012 2012
Team IAM Cycling Katusha Giant-Alpecin
Spezialdisziplin Zeitfahren Sprint Klettern

Brändle in Jubelpose: Der 25-Jährige will auch bei der Tour sein Können zeigen

LAOLA1: Was heißt das konkret? Bleiben oder gehen?

Brändle: Es gibt auch andere Mannschaften, die auf mich zukommen. Es gefällt mir aber super bei IAM, das Teamgefüge und die Organisation sind wirklich toll, zudem habe ich mit Rik Verbrugghe einen sportlichen Leiter, der echt auf mich setzt. Er meint, er könne aus mir einen großen Klassikerfahrer machen. Das ist natürlich sehr wichtig, weil man ansonsten oft die Helferrolle bei den Klassikern einnimmt. Dort hat man aber nur eine Chance in geschützter Rolle. Daher ist IAM die erste Wahl.

LAOLA1: Klingt ein bisschen nach Fabian Cancellara – Weltklasse im Zeitfahren und bei den Klassikern. Strebst du eine ähnliche Richtung an?

Brändle: Ja, das kann man gut verbinden. Die Klassiker Flandern und Roubaix haben mir echt Spaß gemacht, das sind die Rennen, in denen ich in Zukunft richtig gut fahren möchte. Darauf will ich mich auch mehr spezialisieren. Das wird dann auch das Ziel im nächsten Jahr sein.

LAOLA1: Bei der Tour wartet alles auf den Kampf der „Fantastischen Vier“. Wer ist aus deiner Sicht der große Favorit?

Brändle: Das ist schwierig zu sagen. Zunächst müssen Vincenzo Nibali, Alberto Contador, Nairo Quintana und Chris Froome heil durch die ersten zehn Tage kommen. Im letzten Jahr waren zu diesem Zeitpunkt Froome und Contador bereits aus dem Rennen. Will heißen, dass es auch das nötige Glück braucht, danach wird sich in der dritten Woche entscheiden, wer der Stärkste ist. Contador ist schwer einzuschätzen, weil er schon den Giro in den Beinen hat. Da stellt sich die Frage, ob er am Ende noch die nötige Kraft hat – die Erfahrung spricht hingegen für ihn. Nibali hat ein super starkes Team, Astana war bereits beim Giro eine Klasse für sich. Froome ist schwer zu schlagen und – wie man bei der Dauphine gesehen hat – in Topform. Dazu kommt Quintana, der meiner Meinung nach der stärkste Kletterer ist. Es wird bestimmt spannend, ich bin froh, dass es viele Favoriten gibt.

LAOLA1: Ein Zeichen dafür, dass sich der Radsport verändert hat und ausgeglichener geworden ist?

Brändle: Auf jeden Fall. Es sind ja nicht nur die vier Genannten, die man auf der Rechnung haben muss. Da kommen Thibaut Pinot, Romain Bardet, Tejay van Garderen oder auch Mathias Frank dazu. Früher gab es ein, zwei Favoriten mit riesigen Vorsprung, jetzt ist alles viel konstanter. Für mich ist das auch ein Zeichen, dass hoffentlich alle mit den gleichen Mitteln kämpfen.

LAOLA1: Vielen Dank für das Gespräch.


Das Interview führte Christoph Nister

LAOLA1: Auch der Mann im Ohr ist immer wieder ein großes Thema. Sind die Rennen ohne Funk spannender?

Brändle: Ich fahre lieber ohne Radio. Kleinere Rennen werden ja ohne bestritten, das finde ich besser. Da wird der Verstand des Rennfahrers gefragt. Das Problem ist, dass die sportlichen Leiter ihre Macht nicht abgeben und ihre Mannschaft aus dem Betreuerfahrzeug steuern wollen.

LAOLA1: Noch einmal zur Spannung. Macht es einen Unterschied?

Brändle: Ohne Radio geht der Kommunikationsprozess viel langsamer. Viele Fahrer sind froh, wenn sie den Mann im Ohr haben, ich entscheide lieber selbst. Wenn eine Spitzengruppe vorne ist, sehen die sportlichen Leiter in ihrem Auto im TV, wenn diese Vollgas fährt. Sofort kommt das Kommando, auch im Feld Vollgas zu fahren. Bleibt das aus, bekommen wir vielleicht erst zehn Kilometer den Zeitabstand mit und die Ausreißer haben möglicherweise schon drei Minuten mehr Vorsprung. Das würde das Rennen natürlich positiv beeinflussen.

LAOLA1: Stefan Denifl hat im LAOLA1-Interview erklärt, du hättest aufgrund deiner Tempoarbeit bei der Tour de Suisse bei ihm etwas gut. War das ein Freundschaftsdienst oder siehst du es als Teil deines Jobs?

Brändle: Für jeden Fahrer hätte ich das sicher nicht gemacht, Stefan ist mir aber sehr sympathisch und hat einen langen Leidensweg hinter sich, er war ja ein ganzes Jahr verletzt. Ich hätte sowieso nicht gewonnen, daher habe ich alles für ihn gegeben. Radsport ist ein Mannschaftssport, der Teamerfolg steht im Vordergrund. Er hat sich bedankt. Wenn er sich mal bei einer Etappe revanchiert, ist das schön. Sollte es eine Bergankunft geben, würde ich das gleiche wieder für ihn machen.

LAOLA1: Im letzten Jahr bist du auch Opfer teampolitischer Überlegungen geworden. Inwieweit hat dir dein Stundenweltrekord bei der diesjährigen Nominierung geholfen?

Brändle:  Mein Name ist dadurch sicher viel bekannter geworden, das steht aber nicht im Vordergrund. Im letzten Jahr war auch die taktische Ausrichtung etwas anders, dadurch wurden die Plätze anders verteilt. Dieses Mal bin ich oft für Mathias Frank gefahren. Er hatte einen Kern der Mannschaft um sich, dem er vertraut und wollte diesen dabei haben. Daher war meine Nominierung wohl auch schon länger absehbar.

LAOLA1: Die Werbung, die du derzeit für dich machst, hilft dir wohl auch angesichts deines auslaufenden Vertrags.

Brändle: Ja, der läuft aus, aber wir sind bereits in guten Gesprächen. Ich bin zuversichtlich, auch 2016 ein Team zu haben.