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Tour 2015: "Fab 4" und der härteste Fahrer im Peloton

Tour 2015:

Drei Wochen Speichenspektakel stehen vor der Tür.

Am Samstag startet die Tour de France, ihres Zeichens größte jährliche Sportveranstaltung der Welt, in die 102. Auflage.

Mit dabei: Das ausgeglichenste Favoritenfeld seit einer gefühlten Ewigkeit, ein Debütanten-Trio aus Österreich und der härteste Hund im Peloton.

LAOLA1 mit den wichtigsten Fakten, Regeländerungen und Schmankerl zur "Grande Boucle": 

  • Afrikaner im Spitzenradsport sind zwar immer noch eher selten, der „schwarze Kontinent“ schickt sich jedoch an, zu einer echten Macht zu werden. Mit MTN-Qhubeka steht in diesem Jahr erstmals ein in Afrika lizensiertes Profi-Team (Barloworld startete mit britischer Lizenz, Anm.) beim „Grand Depart“ in Utrecht am Start. Damit nicht genug, waren bisher vier Afrikaner im gesamten Peloton Rekord bei einer Tour. Dieser fällt, denn alleine MTN stellt mit Louis Meintjes, Reinardt und Jacques Janse van Rensburg (alle Südafrika) sowie Daniel Teklehaimanot und Merhawi Kudus (beide Eritrea) fünf. Hinzu kommt Daryl Impey aus dem Orica-Rennstall.
     
  • Apropos Teklehaimanot und Kudus. Für die beiden Eritreer ist es keine Selbstverständlichkeit, an der „Grande Boucle“ teilnehmen zu dürfen. In ihrer Heimat führt Präsident Isayas Afewerki das nordostafrikanische Land derart autoritär, dass sich die Fußball-Nationalmannschaft vor einigen Jahren absetzte. Die Angst vor einer Wiederholungstat ist bei den Staatsbossen allgegenwärtig, in diesem Fall wollen sie jedoch die Gunst der Stunde nutzen und die beiden Radprofis als „Werbeträger“ für sich nutzen. „Die beispiellosen Erfolge der Radfahrer zeigt, welch hohes technisches Niveau der Radsport in unserem Land erreicht hat“, verkündete das Oberhaupt und überreichte Teklehaimanot und Kudus „Rennräder und weitere Geschenke“. Deren Tour-Teilnahme soll „die Jugend, die diese Radprofis als Vorbilder sieht, inspirieren“.

Hat Sagan weiter Grün gepachtet?
  • Peter Sagan … und dann lange nichts. Der Kampf um das Grüne Trikot wurde in den letzten drei Jahren zur One-Man-Show. Um den Kampf anzuheizen, änderten die Veranstalter das Reglement. Für reine Flachetappen erhält der Sieger ab sofort 50 (anstatt 45) Punkte, der Zweite nur noch 30 (anstatt 35). Die Ausgeglichenheit eines Sagan, der 2014 auf diversen Terrains punktete, aber keine Etappe für sich entscheiden konnte, fällt damit nicht mehr so stark ins Gewicht. Unterdessen blieb das Reglement für die Zwischensprints unberührt, sodass auch der Slowake sich weiter Chancen ausrechnen darf.
     
  • Nach acht Jahren sind sie zurück – die Bonussekunden! Ab sofort erhalten die Top-3 einer Etappe wieder Zeitgutschriften. Für den Gewinner gibt es zehn Sekunden, der Zweitplatzierte erhält sechs, der Dritte immerhin noch vier. Das soll den Kampf um das Gelbe Trikot in der ersten Rennwoche anheizen und dafür sorgen, dass sich Sprinter mit Zeitfahr-Qualitäten Chancen ausrechnen dürfen.
     
  • Eine dreiwöchige Rundfahrt verlangt den Athleten alles ab. Nur wenige spulen ein derartiges Programm zweimal pro Saison ab. Und dann gibt es noch Adam Hansen. Der Australier ist kein gewöhnlicher Profi, er ist der vielleicht härteste unter allen Pedalrittern. Seit der Vuelta a Espana 2011 hat er sämtliche dreiwöchigen Rundfahrten bestritten – und allesamt beendet. Bei der Tour will er das Dutzend vollmachen und mit Rekordhalter Bernard Ruiz (ESP/zwischen Giro 1954 und Vuelta 1958) gleichziehen. Diese Bestmarke sei erst seit dieser Saison ein Ziel, erklärte der 34-Jährige vor wenigen Wochen. „Ich habe das gemacht, weil ich es genossen habe (sic!)“, gab er an. Nun ist ein Eintrag ins Geschichtsbuch greifbar. „Du musst viel Glück (mit Stürzen) haben“, weiß er, dass ihm Fortuna in den letzten Jahren treu blieb. Mit der Einstellung des Rekordes hat Hansen allerdings noch nicht genug, die Vuelta steht längst auf seinem Rennplan.
     
  • „Fanta 4“ – das ist nicht nur eine Hip-Hop-Band aus Deutschland, die Bezeichnung steht auch für Nairo Quintana, Alberto Contador, Chris Froome und Vincenzo Nibali. Die „Fab 4“, wie sie auch genannt werden, gelten als nahezu ebenbürtige Favoriten auf den Tour-Sieg 2015. Wer schlussendlich den Titel holt, darüber scheiden sich allerdings die Geister. Contador hat den Giro in den Beinen, ist aber der routinierteste aus diesem Quartett. Nibalis Stärke liegt in seiner Rennintelligenz, dazu kommt er am besten mit dem Kopfsteinpflaster zurecht. Froome ist in der Kombination Zeitfahren plus Klettern der Beste, hat aber in den Abfahrten und auf Paves Probleme. Quintana gilt als Klettergemse mit kleinen Schwächen auf flachem Terrain. Hochspannung ist garantiert, zumal mit Tejay van Garderen, Thibaut Pinot, Romain Bardet, Joaquim Rodriguez oder auch Jean-Christophe Peraud eine ganze Horde an „Dark Horses“ auf ihre Chance lauert.

Drei Österreicher debütieren bei der Tour
  • Aller guten Dinge sind drei – lautet zumindest das Motto aus österreichischer Sicht. Matthias Brändle (IAM Cycling), Marco Haller (Katusha) und Georg Preidler (Giant-Alpecin) wurden von ihren Teams ins jeweils neunköpfige Tour-Aufgebot nominiert, für alle drei stellt die Teilnahme eine Premiere dar. Noch etwas hat das Trio gemeinsam – sie sind vorwiegend als Helfer vorgesehen. Brändle wird Kapitän Mathias Frank bei seinem Angriff auf die Top-10 angreifen, Haller soll Alexander Kristoff auf dem Weg zu Sprintsiegen unterstützen und Preidler wird für John Degenkolb und eventuell auch Warren Barguil arbeiten. Klar ist aber auch, dass alle drei in Fluchtgruppen (plus Brändle im Einzelzeitfahren) das Zeug haben, selbst auf Etappensieg oder zumindest ein Spitzenresultat zu fahren.
  • Der legendäre Col du Galibier zählt zu den prestigeträchtigsten Anstiegen der Tour de France. In diesem Jahr sollte der Alpenpass auf der 20. Etappe, die mit der Bergankunft in Alpe d’Huez endet, das Dach der Tour darstellen. Doch daraus wird leider nichts. Der Chabron-Tunnel, der passiert hätte werden müssen, ist einsturzgefährdet, wodurch eine Passierung unmöglich wird. Die Tour-Organisatoren hatten jedoch einen Plan B in ihrer Schublade und mit dem Col de la Croix de Fer rasch einen würdigen Ersatz präsentiert.

Ein Dutzend Statistik-Schmankerl zum Starterfeld 2015:

 Erstmals seit 2007 heißt der kleinste Tour-Teilnehmer nicht Samuel Dumoulin (Frankreich, 1,59 Meter), sondern Julian David Arredondo (Kolumbien, 1,64 Meter). Dumoulin wurde von AG2R La Mondiale nicht ins Aufgebot für die Frankreich-Rundfahrt genommen.

 Das US-amerikanische Kontingent bei der Tour beschränkt sich in diesem Jahr auf lediglich drei Fahrer (Tejay Van Garderen, Andrew Talansky und Tyler Farrar) und ist damit so gering wie seit 20 Jahren nicht mehr.

 Mit 21 Jahren und 184 Tagen bestreitet der Eritreer Merhawi Kudus die Tour als jüngster aller Teilnehmer. Matteo Tosatto, mit 41 Jahren und 73 Tagen deutlich der älteste Starter, könnte locker sein Vater sein. Im Schnitt ist das Peloton 29,67 Jahre alt.

 Mit einem Schnitt von 26 Jahren und 342 Tagen stellt Cofidis das jüngste Team bei der Tour, dagegen setzt Trek Factory Racing (32 Jahre, 22 Tage) auf die meiste Routine im Feld.

 Für 45 Teilnehmer ist es der erste Auftritt bei der Tour de France, darunter die drei Österreicher, der Brite Adam Yates, der Südafrikaner Louis Meintjes oder auch die französische Hoffnung Warren Barguil. Ältester Debütant ist der Deutsche Paul Martens (31 Jahre, 251 Tage).

 Wenig überraschend hat Tour-Senior Matteo Tosatto mit bisher 31 Grand Tours auch die meisten dreiwöchigen Landesrundfahrten am Buckel. Bei den Grand-Boucle-Starts liegt Sylvain Chavanel (bisher 14) an der Spitze. Start Nummer 15 hievt ihn in der ewigen Bestenliste auf Position fünf.

 Satte zwölf Mal hat sich Alejandro Valverde bislang in den Top-10 einer großen Landesrundfahrt klassiert und liegt damit auf Platz eins. Auf dem Tour-Podium landete der Spanier allerdings noch nie.

 Mit 34 Etappensiegen ist der „Kannibale“ Eddy Merckx immer noch Alltime-Leader im Rahmen der „Großen Schleife“. Mark Cavendish ist ihm jedoch auf den Fersen und will seinen Palmares (bisher 25) weiter ausbauen. Unter allen Tour-Teilnehmern folgt übrigens Fabian Cancellara (7) auf Position zwei.

 Gewinner von 17 dreiwöchigen Rundfahrten nehmen das Einzelzeitfahren in Utrecht in Angriff. Alberto Contador (7) zeichnet für die meisten verantwortlich, hinzu kommen Vincenzo Nibali (3), Ivan Basso (2), Nairo Quintana, Alejandro Valverde, Michele Scarponi, Ryder Hesjedal und Chris Froome (je 1).

 Insgesamt 32 Länder sind in diesem Jahr aktiv im Fahrerfeld vertreten. Den Löwenanteil machen freilich die Kernländer um Gastgeber Frankreich (41), Co-Gastgeber Niederlande (20), Italien (16), Spanien (15) und Belgien (11) aus.

 Bereits zum sechsten Mal nach 1954 (Amsterdam), 1973 (Scheveningen), 1978 (Leiden), 1996 (´s-Hertogenbosch) und 2010 (Rotterdam) findet in diesem Jahr der „Grand Depart“ in den Niederlanden statt. Keinem anderen Land (außer Frankreich) wurde diese Ehre öfter zuteil.

 32 Tour-Teilnahmen in Folge machen Movistar (inkl. Vorgänger-Teams wie Banesto und Caisse d’Epargne) zum Dauerbrenner der Tour. Obwohl inzwischen nur noch zweitklassig, ist auch Cofidis (seit 1997 ununterbrochen dabei) Stammgast – wie übrigens FDJ, das ebenso seit 1997 Jahr für Jahr neun Fahrer ins Rennen schickt.


Christoph Nister