news

Kein Familienfoto bei der Siegerehrung

Kein Familienfoto bei der Siegerehrung

Seine Geschichte hat Millionen berührt. Über Nacht ist Gewichtheber Matthias Steiner 2008 zum Liebling der deutschen Sportnation avanciert. Nach dem Olympiasieg im Superschwergewicht waren es vor allem seine Emotionen, die aus Peking um die Welt gingen.

Vier Jahre später zählt der gebürtige Niederösterreicher, der nach einem Zerwürfnis mit dem österreichischen Verband 2005 nach Deutschland ausgewandert ist, aber nicht zu den Topfavoriten.

Nach OP zu Olympia

Gold scheint für Steiner am Dienstagabend (20.00 Uhr MESZ) in der ExCel Arena von London außer Reichweite. "Ich träume von einer Medaille", erklärte der 29-Jährige. Grund für seine niedrigere Erwartungshaltung ist eine Verletzung, die er sich im September des Vorjahres zugezogen hatte.

Einriss der Quadrizepssehne im linken Bein - hört sich harmlos an, im Gewichtheben ist dieser Bereich zwischen Knie und Oberschenkel aber der am meisten beanspruchte.

Steiner musste sich einer Operation unterziehen, sonst wäre seine Karriere wohl zu Ende gewesen. Die 461 kg, die er beim Olympiasieg in Peking im Zweikampf zur Hochstrecke gebracht hat, sind diesmal nicht erreichbar.

"Wer verlangt, dass ich Weltrekord stoße, der hat keine Ahnung von diesem Sport", betonte der Titelverteidiger. "Ich habe nicht das Fundament von damals." Mehrere Trainingsmonate fehlen ihm.

Vorbereitung in der Steiermark

Zumindest 450 kg dürften für eine Medaille notwendig sein. "Das wird für mich schwer zu erreichen", gestand Steiner.

Seine Saisonbestleistung steht seit Platz zwei bei der EM im April in Antalya bei mageren 424 kg, in London hat er sich dennoch mit einem Startwert von 445 kg eingeschrieben. "Ich muss von unten angreifen", sagte der Wahl-Deutsche, der aus Obersulz im Weinviertel stammt.

Neue Energie hat sich der 140-kg-Koloss, der seit seiner Jugend an Diabetes leidet, in der alten Heimat geholt. Zwei Wochen schuftete Steiner zuletzt in seiner unmittelbaren Olympia-Vorbereitung im Bundessportzentrum Schielleiten in der Steiermark.

"Ich habe Ruhe gebraucht", erklärte der gelernte Installateur, der in Deutschland zum Superstar geworden ist.

Geschichte ist erzählt

Sportler des Jahres, Silbernes Lorbeerblatt, Talkshowauftritte - mit Auszeichnungen war Steiner nach seinem überraschenden Gold nur so überhäuft worden.

Die Tränen des Kraftprotzes auf dem Siegespodest samt Foto seiner ein Jahre davor bei einem Autounfall verstorbenen Frau Susann sind unvergessen. Gerne spricht Steiner nicht mehr darüber. "Die Geschichte ist auserzählt", meinte der Olympiasieger. In einem Buch etwa.

Mittlerweile wird Steiner von seiner zweiten Frau Inge Posmyk begleitet, mit der er in Heidelberg lebt. Mit der TV-Moderatorin, die nun Steiner heißt, hat er einen zweijährigen Sohn, Felix.

Bilder der jungen Familie wird es auf dem Siegespodest in London keine geben, versicherte Inge Steiner der "Welt am Sonntag". "Das würde ihm auch keiner abnehmen. Das mit Susi war etwas Einmaliges."

Eine Medaille im Visier

Zuerst muss es Steiner ohnehin einmal in die Nähe der Medaillen schaffen. Neben dem Sehneneinriss haben ihn in der Vorbereitung auch grippale Infekte, Schulter- und Handverletzungen sowie ein Hexenschuss zurückgeworfen, nach dem er ins Krankenhaus musste.

Der Titelverteidiger weiß um eine Vielzahl von Athleten, die derzeit über ihm stehen. Topfavorit ist der Iraner Behdad Salimikordasiabi, der heuer bereits 451 kg gestemmt hat.

Bei der WM im Vorjahr in Paris erzielte "Salimi", wie der 22-Jährige genannt wird, mit 214 kg einen neuen Weltrekord im Reißen. Gold scheint er sich in London nur abzuholen müssen.

"Das Feld ist eng wie lange nicht mehr", meinte Steiner, 2004 in Athen im Schwergewicht (bis 105 kg) noch Siebenter für Österreich. "Ich weiß nicht, was mich erwartet." Nur eines weiß er sicher: "Den Olympiasieg, den kann mir niemand mehr nehmen."