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Boll - Mehr Sex-Appeal als David Beckham

Boll - Mehr Sex-Appeal als David Beckham

Wir schreiben das Jahr 2003.

Im Pariser Palais Omnisport ringt Werner Schlager im Finale Joo Se-Hyuk aus Südkorea nieder und krönt sich sensationell zum Weltmeister.

Es ist ein Stück österreichische sowie europäische Sportgeschichte. Schließlich ist Schlager der bis heute letzte Nicht-Asiate, der bei globalen Titelkämpfen Gold holt. Zu dominant sind seither allen voran die chinesischen Zelluloid-Artisten.

Dementsprechend einseitig gestalten sich auch die Prognosen für die anstehenden Olympischen Spiele in London. Bei der Antwort auf die Frage, wer der asiatischen Übermacht am ehesten in die Suppe spucken kann, sind sich die Experten aber einig: Timo Boll.

„Dazu brauche ich aber so eine goldene Woche, wie sie der Werner damals hatte“, meint der Deutsche im Gespräch mit LAOLA1. Eine Kampfansage klingt zwar anders, aber große Sprüche sind ohnehin nicht das Metier des 31-Jährigen. Im Gegenteil: Seine Worte klingen bescheiden – ja, fast schüchtern. Typisch Boll eben.

Besondere Maßnahmen für ein besonderes Talent

Schüchtern hin oder her - Boll, der erstmals im zarten Alter von vier Jahren im elterlichen Hobbyraum an der Platte stand, ist der dominanteste Europäer der vergangenen Jahre. Insgesamt 15 EM-Goldmedaillen (davon jeweils fünf im Einzel, im Doppel und mit der Mannschaft) sprechen für sich.

Doch dass aus dem sensiblen Linkshänder überhaupt eine derart prägende Persönlichkeit wurde, bedurfte viel Fingerspitzengefühl. Fingerspitzengefühl, das sein Entdecker Helmut Hampl hatte. Er erkannte die charakterliche Beschaffenheit des technisch hochbegabten 8-Jährigen und ging einen neuartigen sowie sehr umstrittenen Weg.

Für gewöhnlich wurden Talente in ein Internat eines Bundesleistungszentrums gesteckt, doch Hampl war sich sicher, dass Boll daran zerbrochen wäre. Zu sensibel sei er gewesen.

Die Trainer-Legende holte Boll deshalb mit 14 Jahren zum Zweitligisten TTV Gönnern. Damit der Bursche nicht aus seinem familiären Umfeld gerissen wurde, wurden alle Vereinsspieler vertraglich verpflichtet, ins 170 Kilometer entfernte Höchst, der Heimat-Gemeinde Bolls, zu ziehen, um dort mit ihm zu trainieren.

Boll ist der erste dt. Weltranglisten-Erste

„Viele haben den Verein und vor allem meinen Trainer dafür kritisiert, aber es hat funktioniert und war wahrscheinlich auch die einzige Möglichkeit, dass ich so ein guter Spieler geworden bin“, ist der Star heute noch dankbar.

„Reichlich Proviant mit dabei“

Auch wenn Boll bei der Wahl zu Deutschlands Sportler des Jahres bereits fünf Mal unter den besten Drei landete, hatte er in jungen Jahren in puncto Athletik Aufholbedarf. „Ich war jetzt nicht dick oder so, aber meinen Babyspeck hatte ich relativ lange“, lacht der Hunde-Liebhaber, dessen Jack-Russell-Terrier-Dame Carry auch zu den Olympischen Spielen mitfährt.

Mitverantwortlich für den Babyspeck war auch seine Mutter. „Sie hat sich immer gesorgt um mich. Wenn ich in ein Trainingslager gefahren bin, hatte ich stets reichlich Proviant dabei.“

Apropos Kulinarisches: Bis zu seinem 15. Lebensjahr hatte Boll nie chinesisch gegessen. „Durch meine vielen Aufenthalte dort habe ich es aber lieben gelernt.“ Sein Leib-Gericht ist mittlerweile die Peking-Ente.

Vergesst Beckham!

Die Zeiten, in denen sich Mama Sorgen machen musste, sind längst vorbei. Ihr Timo ist heute ein Superstar. Allerdings nicht so sehr in Deutschland als vielmehr in China, wo Tischtennis zu den Hauptsendezeiten über die Mattscheibe flimmert.

Seit 31. Dezember ist Timo Boll mit Rodelia Jacobi verheiratet

Boll kann die Fans nur allzu gut verstehen, sammelte er in seiner Jugend doch selbst auch Unterschriften von Berühmtheiten.

Viele habe er damals aber nicht bekommen. „Weil ich mich meistens nicht fragen getraut habe.“ Typisch Boll eben.

Chinesische Boll-Kopien

Bei seiner ganzen Bescheidenheit machte Boll vor knapp einem Jahr dann doch die Ansage, in London den Olympia-Sieg ins Auge zu fassen. Zumal er als mehrfache Nummer eins der Weltrangliste (zuletzt im März 2011) das nötige Rüstzeug dafür mitbringt.

Die chinesische Dominanz zu durchbrechen sei natürlich schwer. „Sie haben derzeit viele Spieler auf einem hohen Level. Ein oder zwei haben immer eine gute Form. Der Abstand zum Rest der Welt ist spürbar.“

In China nehmen sie Bolls Worte überaus ernst. So sollen sogar mindertalentierte Spieler den Spielstil des Deutschen imitieren, damit sich die Top-Spieler besser auf die Begegnungen mit ihm einstellen können.

Boll lässt das kalt. Er konzentriert sich lieber auf seine Vorbereitung, um vielleicht so den Asiaten erstmals seit Werner Schlager ein Bein stellen zu können. Typisch Boll eben.

Reinhold Pühringer

Der dortige Hype um den Dritten der WM 2011 ist riesig. Ein Frauen-Magazin wählte ihn zum „Sexiest man alive“. Eine Zeitung kürte ihn zum „Attraktivsten Sportler der Welt“. Auf Platz zwei landete ein gewisser David Beckham.

Wie man mit so etwas umgeht? Boll überlegt kurz. Es wirkt, als würde ihm der ganze Rummel um seine Person unangenehm sein: „Man geht gar nicht damit um. Man fühlt sich wie vorher auch.“ Fest mit beiden Beinen auf der Erde. Typisch Boll eben.

Drama-Vermeidung

Boll, der derzeit beim deutschen Spitzenklub Borussia Düsseldorf unter Vertrag steht, war in der Vergangenheit bereits mehrfach als Gastspieler in der chinesischen Super League tätig. Einen längerfristigen Wechsel könnte er sich aber nicht vorstellen.

„So war das immer ganz spannend. Aber ich habe auch in Deutschland meine Verpflichtung, den Sport dort populär zu halten. Deshalb glaube ich, es wäre schon ein großes Drama, wenn ich die Liga verlassen würde.“

Auf der anderen Seite

Auftritte Bolls im Reich der Mitte versetzen Polizei und Sicherheitskräfte in Alarmbereitschaft. Um einen Blick oder ein Autogramm von ihm zu erhaschen, sind die Damen zu allem bereit, klettern mitunter sogar auf Bäume, um in seine Umkleide-Kabine sehen zu können.

„Da wird einem schon mal mulmig, wenn ein paar Fans eine Soldaten-Absperrung durchbrechen“, schildert Boll. Angst habe er deswegen aber noch nie gehabt. „Im Prinzip sind sie ja alle freundlich, wollen nur ein Autogramm oder ein Foto.“