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Ziemlich beste Feinde

Ziemlich beste Feinde

Alles für das Team und alles für die Show.

Diesem Credo gerecht zu werden, ist ein Drahtseilakt für Mercedes.

Von Beginn der Saison an rühmten sich die Silberpfeile damit, keine Form der Teamorder einzuführen. Schweren Herzens blieb man auch nach dem letzten negativen Höhepunkt der Beziehung von Nico Rosberg und Lewis Hamilton in Spa dabei.

Ob das die richtige Entscheidung war, weiß man selbst nicht genau. Jetzt steht erst einmal die Beruhigung der Lage im Vordergrund.

Aber wie konnte es überhaupt soweit kommen? Ein Blick zurück das bisherige Silber-Duell. Von "Wir haben absolute Harmonie" bis "Wir sind Freunde, bla bla bla".

FEBRUAR

Zeit der Vorbereitung. Schnell wird klar, dass der WM-Titel nur über Mercedes führen wird. Das Team versucht, die drohende Dominanz herunterzuspielen. Von persönlichen Problemen zwischen beiden Piloten gibt es keine Spur. „Wir haben absolute Harmonie. Das funktioniert wirklich gut“, sagt der Aufsichtsratsvorsitzende Niki Lauda bei „Servus TV“. Helmut Marko traut dieser Aussage schon damals nicht. „Wenn sie beide um die WM kämpfen, dann ändert sich das ziemlich schnell“, warnt der Red-Bull-Motorsportberater. Hamilton reagiert auf Vorwürfe, wonach Rosberg der fleißigere Fahrer ist, etwas gereizt: „Es ist schon seltsam in diesem Sport. Im vergangenen Jahr hat Nico bei einigen Rennen vielleicht eine halbe oder eine ganze Stunde länger mit den Ingenieuren verbracht, aber ich habe normalerweise das Gleiche erreicht“, verteidigt sich der Brite bei „F1Racing“.

MÄRZ

Es geht los. Vor der Saison wird der gegenseitige Umgang im Rennen abgesprochen. Man fühlt sich für alle Eventualitäten gerüstet. „Es ist wichtig, dass man so etwas anspricht. Es waren gute Gespräche. Unsere Jungs sind nicht nur talentiert und schnell, sondern auch intelligent“, sagt ein stolzer Teamchef Toto Wolff. Ex-Pilot David Coulthard ist sehr angetan von der Fahrerpaarung bei den Silbernen. „Die Dynamik zwischen den beiden ist faszinierend. Nico ist unglaublich lebhaft und beantwortet jede Frage, Lewis gibt etwas kürzere Antworten. Es wird interessant, welchen psychologischen Effekt das hat“, ist der Schotte gespannt. Beide haben zu Beginn Erfolg. In Australien siegt Rosberg, während Hamilton mit einem Defekt ausscheidet, in Malaysia führt der Brite einen Mercedes-Doppelsieg an.

APRIL

Die gesunde Rivalität entwickelt sich prächtig. Hamilton gewinnt in Bahrain und China, Rosberg bleibt jeweils Platz zwei. Besonders der packende Fight im Wüstenstaat lässt Fahrer, Fans und Teamverantwortliche frohlocken. Man sieht knallhartes Racing ohne Zwischenfälle - genau so, wie man es sich wünscht. „Je mehr Erfolg wir haben, desto komplizierter wird unsere Beziehung“, weiß Rosberg aber schon damals. Hamilton ist mit einer breiten Brust ausgestattet und teilt gegen seinen Teamkollegen aus. „Jedes Mal, wenn Nico, oder wer immer gerade hinter mir war, etwas schneller wurde, dann konnte ich die Zeit, die ich brauchte, herausholen. Wenn es nötig war, dann hatte ich immer noch genug im Köcher“, gibt er sich siegessicher.

MAI

Sorgenfalten hat nur die Konkurrenz. In Barcelona zerstört Silber den Rest der Welt. Hamilton fährt 0,6 Sekunden vor Rosberg ins Ziel, Ricciardo hat als Dritter fast 50 Sekunden Rückstand. Alles gut, alles schön. "Ich war heute nicht schnell genug. Nico war schneller", adelt Sieger Hamilton sogar seinen Teamkollegen. Doch dann kommt Monaco. In Q3 verbremst sich Rosberg. Gelbphase. Hamilton kann keine Bestzeit mehr nachlegen. Die wichtigste Pole-Position des Jahres geht - wie später auch der Rennsieg - an den Deutschen. "Es gibt nicht viel zu sagen. Das Ganze ist Ironie. Ich war zwei Zehntel vorne und das wäre meine Runde gewesen", spricht der Frust aus dem Briten. Nach dem Grand Prix gibt es kein Händeschütteln, keine Gratulation. "Wir sind keine Freunde. Wir sind Kollegen und wir arbeiten, um dem Team so viele Doppelerfolge und Punkte wie möglich zu bescheren", erklärt Hamilton. Es ist kein Knistern mehr. Es wird zum Krieg.

JUNI

Alles halb so schlimm. Findet zumindest Niki Lauda. "Ich kann Ihnen versichern, alles ist voll unter Kontrolle. Alles ist wieder in Ordnung", beteuert der ehemalige Weltmeister. Auch Hamilton schlägt plötzlich den Kuschelkurs ein. "Wir sind seit einer langen Zeit Freunde und als Freunde hatten wir unsere Höhen und Tiefen", postet er auf Instagram ein gemeinsames Foto aus alten Zeiten. Also doch Freunde. Zumindest vorübergehend. Rosberg lässt die emotionale Achterbahnfahrt seines Stallkollegen relativ kalt. Er kenne das beleidigte Verhalten noch von früher. "Dann lassen wir es etwas ruhen, setzen uns wie immer zusammen und reden darüber", sagt der Wiesbadener. Lauda freut sich über die neue, alte Eintracht und hält einen Crash für unmöglich. "Wenn die beiden jetzt schon so hart gegeneinander fahren, dass einer rausfliegt, macht einer 25 Punkte und die WM ist vorentschieden. Deshalb werden sie es ja auch nicht tun, sie würden damit ja selbst ihre WM aufgeben." In Montreal reißt die Sieges-Serie. Ricciardo siegt, Hamilton scheidet aus und Rosberg rettet Platz zwei ins Ziel. Auch in Spielberg wirkt sich die Anspannung auf die Leistung aus. Besonders bei Hamilton. Er schmeißt mit einem Fehler die Pole Position weg, beendet das Rennen aber hinter Rosberg noch auf Platz zwei.

JULI

Hamilton steht unter Druck. 29 Punkte fehlen ihm vor dem Heimrennen in Silverstone schon auf Platz eins in der Fahrer-Wertung. Seine Crew ist ihm im Qualifying keine Hilfe. Bei Regen wird entschieden, keine schnelle Runde mehr zu drehen. Statt Platz eins ist es Platz sechs vor dem Rennen. Dort dreht sich der Spieß wieder um. Rosberg muss mit Getriebeproblemen aufgeben und Hamilton gewinnt. "Wir reden sehr viel über das Momentum. Es schwingt hin und her. Nico hat das Ganze heute aber sehr ruhig aufgenommen. Beide sind auf einem ähnlichen Level und hochkonzentriert", sagt Toto Wolff. Vor Rosbergs Heimspiel steigt Hamiltons Lust auf Sticheleien wieder. "Um ehrlich zu sein, Nico war nie in Deutschland, also ist es nicht sein Heimrennen. Er ist deutsch-finnisch-monegassisch oder so etwas", meint der 29-Jährige in einem Interview. Dort geht seine Quali dann wieder einmal schief. Mit Bremsdefekt kracht er in die Streckenbegrenzung. Getriebetausch. Es geht fünf Plätze nach hinten. Rosberg - der geheiratet und seinen Vertrag verlängert hat - bleibt ruhig und fährt den Sieg nach Hause, während Hamiltons Aufholjagd auf Platz drei endet. In Ungarn geht es ähnlich weiter. Rosberg holt die Pole, während das Auto seines Teamkollegen in Q1 abbrennt. Wieder kämpft sich Hamilton durch das Feld und wird Dritter. Vor Rosberg, der Vierter wird, aber die WM-Führung (+11) behält. Eigentlich hätte Hamilton seinen Temkollegen vorbeilassen sollen, weigert sich aber, da Rosberg seiner Meinung nach nicht nah genug an ihm dran ist. Sichtlich angesäuert lässt sich dieser dennoch kein böses Wort entlocken: "Ich will nicht darüber reden. Wir müssen das intern klären."

AUGUST

Pause. Zeit, um abzukühlen. Ungarn ist vergessen und Toto Wolff sieht sich gegenüber den Fans in der Pflicht. "Ich denke, wir schulden jedem, dass sie frei fahren dürfen - besonders in einer Saison, in der nur unsere beiden Autos an der Spitze sind", sagt der Wiener. 28 Tage nach Budapest sind alle Klarheiten beseitigt. Oder so. Rosberg spricht zerknirscht von einer Aussprache. An die kann sich Hamilton nicht erinnern. "Für mich ist alles klar", sagt er. Und: "Es gibt keine Spannung und keine negative Stimmung." Naja. Es folgt der vorläufige Höhepunkt. Der Knall in der zweiten Rennrunde von Spa. Hamilton scheidet aus, Rosberg wird Zweiter und am Podium ausgebuht. Viel Staub wird aufgewirbelt. Von Absicht spricht Hamilton, weil Rosberg ihm etwas beweisen hätte wollen. Die Teamführung tobt und hat mit dem WM-Leader einen Schuldigen gefunden. Dieser spricht zunächst von einem "Rennunfall", nimmt die Schuld dann aber auf sich und bekommt eine Disziplinar-Strafe. Absicht soll es aber keine gewesen sein. So oder so. Ein neuer Beziehungs-Tiefpunkt ist erreicht. "Wir sind Freunde, bla bla bla. Früher hatten wir unglaublich viel Spaß, damals in der Kartzeit. Jetzt ist das anders", keift Hamilton.

SEPTEMBER

Alles ist möglich. Bei der Fahrer-Pressekonferenz vor dem Rennen in Monza würdigen sich die Piloten keines Blickes. Fernando Alonso nimmt zwischen den beiden als "Prellbock" Platz. Vertragsverhandlungen mit Hamilton werden ausgesetzt. Zum Wohle des Teams, wie es heißt. Die Wortwahl ist da wie dort sehr bedächtig. Mit Sätzen wie "Ich schaue nach vorne und freue mich auf das, was kommt" weicht Hamilton tiefgehenden Fragen aus. Rosberg lobt das gesamte Team: "Wir hatten bisher in diesem Jahr eine gesunde Rivalität. Deshalb stehen wir da, wo wir stehen". Kann man jetzt noch immer von "gesunder Rivalität" sprechen? Das kann keiner der beiden sagen. Auch die Teamleitung nicht. Toto Wolff lässt sich auf Fragen nach weiteren Konsequenzen bei weiteren Berührungen ein. Das Wort Rausschmiss fällt. Auf der Strecke in Monza gehen sich beide ebenfalls aus dem Weg. Erst verpasst Hamilton nach einem Sensordefekt eine Stunde des zweiten Trainings am Freitag, dann muss Rosberg im Abschlusstraining aufgrund von Getriebeproblemen zusehen. Im Qualifying die Ansage von Hamilton. Platz eins in allen Sessions. Pole Position vor Rosberg. Und nun? "Ich habe überhaupt keine Sorgen für das Rennen. Ich sage mal, beide Fahrer sind auf der gleichen Strategie. Es wird alles normal ablaufen", sagt Niki Lauda. Warten wir die ersten Kurven einmal ab...

 

Andreas Terler